Kieler Bagaluten. Henning Schöttke

Kieler Bagaluten - Henning Schöttke


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aber jetzt meine ich nur das Shirt. Männer greifen in den Nacken, Frauen kreuzen die Arme vor der Brust, wenn sie T-Shirt oder Pullover abstreifen.

      Jürgen legt Frau Heerten freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Und was machst du hier?«

      »Ich suche einen gewissen Schuppi.«

      »Soso«, sagt Jürgen und nimmt die Hand wieder runter.

      Schade, denkt Frau Heerten, seine Hand hatte sich irgendwie gut angefühlt.

      Ich dagegen denke, sie sollte froh sein. Nachbarschaftliche Geselligkeit kann tödlich enden. Erst die dicksten Freunde, jeden zweiten Tag gemeinsames Grillen und hoch die Tassen, und dann geht man sich gegenseitig an die Gurgel, weil ein Zweiglein aus Nachbars Garten über den Zaun hängt, was bei Jürgen und ihr allerdings nicht passieren kann. Es liegen ja noch zwei Häuser dazwischen, so lange Zweige gibt es gar nicht.

      Jürgens Arme haben sich inzwischen in die Ärmel eines Sweatshirts geschoben, und mit einer geschmeidigen Bewegung zieht er es sich über den Kopf. »Was willst du denn von dem?«, fragt er, nachdem sein Gesicht das Halsloch gefunden hat und er wieder frei atmen kann. »Hier laufen jede Menge Männer rum, und du suchst den einzigen, der nicht da ist.« Er lächelt und legt den Arm um ihre Schulter.

      Wenn Karin sie so sähe, denkt Frau Heerten, wie sie von einem Mann umarmt wird, der ihr Sohn sein könnte. Nun gut, umarmt ist jetzt ein bisschen übertrieben. Ein bisschen sehr sogar. Im Grunde genauso übertrieben wie das Bild, das Karin nach Frau Heertens Meinung von ihrer Mutter hat: Als würde sie einsam und allein, träge und alt in einem viel zu großen Haus dem Tod entgegensterben.

      »Wie geht’s deinen Kindern?«, fragt Frau Heerten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen – und bereut es quasi im selben Augenblick. Wie soll es Felix und Mia schon gehen? An jedem Baum, an jedem Laternenpfahl, an allen Hauswänden und an allen Gartenzäunen derselbe Zettel – »MAUNZI, WO BIST DU?« – mit Bild von dem süßen Kätzchen und dem Text: »Wer unsere Maunzi gesehen hat, bitte melden.« Darunter Adresse und Telefonnummer.

      Jürgens Telefonnummer, denkt sie.

      Sie spürt, wie ihr Gesicht heiß wird, und hofft, nicht rot zu werden. »Sagt mal, Jungs«, fragt sie, »weiß einer von euch was über Schuppi?«

      Aber die sind schwer beschäftigt, wischen sich den Schweiß von allen möglichen und unmöglichen Körperstellen und graben in ihren Sporttaschen. Schuppi sei seit etwa drei Jahren nicht mehr auf dem Norder aufgetaucht, habe sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr blicken lassen, kann sie dem allgemeinen Gebrummel entnehmen. Wie vom Erdboden verschluckt, der Schuppi – da sind sich alle einig. Einer will sich dunkel erinnern, dass Schuppi nach Köln gemacht haben soll.

      Ein äußerst Verschwitzter mit roten Haaren schnäuzt sich in sein Handtuch und sagt: »Sie sind doch die Mutter von der Karin. Mit der hatte er auch mal was.«

      »Ach …«, sagt Frau Heerten, während sie leicht angewidert die Reise des Schnodders verfolgt. Der Mann wischt sich erneut die Hände im Handtuch trocken und verstaut es dann umständlich in seiner Tasche. Sie ist so gefangen von dem Schauspiel, dass sie beinah nicht gemerkt hätte, dass Jürgen ihre Schulter wieder losgelassen hat.

      Auch wenn die Herren Bolzer sich die Würmer einzeln aus der Nase haben ziehen lassen, geht Frau Heerten nach zwei verkürzten Halbzeiten mit einigen Informationen im Gepäck nach Hause.

      Großartig, dieser Tag. In Hochstimmung betritt sie ihr Haus, macht mit Handfeger und Kehrblech im Wohnzimmer klar Schiff und stellt die Ahnengalerie wieder senkrecht. Nun gut, Omi und Opi stehen praktisch nackt da – ohne Glas vor dem Sonntagsstaat –, aber das wird sich finden.

      Frau Heerten hat Wichtigeres zu tun.

      Die Polizei kommt

      1

      Ich weiß jetzt natürlich nicht, wie du so drauf bist. Vielleicht gehörst du zu denen, die die überfahrene Katze vom Nachbarn im Genick packen, bei ihm klingeln und sagen würden: »Guten Tag, Herr Nachbar, ich habe Ihre Katze totgefahren, weil ich zu tief ins Eierlikörgläschen geschaut habe.« Sicher würdest du dann zumindest noch ein »Tut mir wirklich leid« hinterherschieben und betreten gucken. Aber ich will dir eins sagen: Von der Sorte gibt es nicht viele, da wärest du ein bisschen die Ausnahme.

      So ist es nicht wirklich verwunderlich, dass Frau Heerten nicht zu diesen Ausnahmen gehört – aber Gott sei Dank auch nicht zur Mehrheit, die die Katze in so einem Fall kurzerhand in die nächste Mülltonne schmeißt (oder nicht mal das) und weiterfährt.

      Frau Heerten hat der Katze löblicherweise ein quasi-christliches Begräbnis zukommen lassen, obwohl ich denke: Etwas übergriffig war das schon. Wer weiß, vielleicht war es eine Perserkatze oder eine gänzlich atheistische Katze, vielleicht sogar ein bisschen mit dem Teufel im Bunde, wie man es manchen Katzen nachsagt, auch wenn die dazugehörigen Hexen heute recht selten geworden sind. Na, was soll’s? Beim Begraben geht es vor allem um die Lebenden. Den Toten ist ihr Begräbnis, soweit man weiß, ziemlich egal.

      Insofern alles in Ordnung mit Frau Heerten. Als sie jedoch die Katze eingebuddelt und das Kästchen ausgebuddelt hat, es sogar mit nach Hause genommen und obendrein die Ausweise darin gefunden hat, fing ich doch an, mich über sie zu wundern. Sie lebt nicht unter einer Brücke, wo man vielleicht sagen würde: So einen Pass kann ich gegen was Brauchbares eintauschen oder zukünftig selbst als Szupryczynski weiterleben. Obwohl mancher Obdachloser sich das bei einem solchen Namen sicher zweimal überlegen würde.

      Frau Heerten wohnt in Suchsdorf, und da ist es eigentlich üblich, dass man bei einem so merkwürdigen Fund zur Polizei geht. Zumal sie bei sich zu Hause ein Büfett mit silbern gerahmter Ahnengalerie im Wohnzimmer stehen hat und Armleuchter an den Wänden und Kandelaber auf dem Esstisch. Solche Leute haben den Spruch »die Polizei, dein Freund und Helfer« mit der Muttermilch eingesogen. Für die ist es mehr als selbstverständlich, zur nächsten Polizeiwache zu gehen, die jetzt allerdings etwas weiter weg ist. Die Suchsdorfer Polizeistation hat wegen Personal- und Arbeitsmangels (außer Einbrüchen nix zu tun) nur noch dienstags und donnerstags zwei Stunden geöffnet. Aber wann ist für einen Rentner schon mal Dienstag oder Donnerstag? Frau Heerten müsste sich mit ihrem Fund in die Innenstadt bemühen und sagen: »Seien Sie doch so freundlich und helfen Sie mir.«

      Aber siehst du, gerade die mit den Armleuchtern werden oft durch Eierlikör behindert, haben sie doch schon so viel über Marihuana gehört, das sich jahrelang in den Haaren verfängt, und befürchten, es könnte mit Eierlikör ähnlich sein.

      Frau Heerten ist eine Alt-68erin. Nicht dass sie damals mit Knarre im Hosenbund rumgelaufen wäre, das nicht, aber so ein bisschen hat sie schon mitgekriegt, dass Polizisten früher Bullen hießen und weibliche Polizisten ganz gendermäßig Bulletten und dass die auch mal ganz unfreundlich sein können, von Helfer keine Spur.

      Deshalb ist sie auch nicht begeistert, als tags darauf zwei Beamte in Uniform bei ihr klingeln und auch gleich mit einem Fuß in der Tür stehen.

      »Tach«, sagt sie.

      »Ist Ihnen doch sicher recht, wenn wir reinkommen«, sagt der Freund.

      »Wegen der Nachbarn. Muss ja nicht jeder sehn, dass Sie was mit der Polizei zu tun haben«, ergänzt der Helfer.

      Ist Frau Heerten aber gar nicht recht. Dabei denkt sie nicht mal an die vielen verkleideten Polizisten, die durch die Gegend laufen, sich bei einsamen alten Damen einschleimen und ihnen die Picassos von den Wänden klauen, während die Nichtsahnenden in der Küche Kaffee kochen. Sie denkt eher an die Fernsehkrimis, in denen Polizisten immer eine vermeintlich schwache Blase haben, nur mal schnell aufs Klo müssen und mit Haarbüscheln aus der Haarbürste wiederkommen. Dann wäre die Sache mit dem Eierlikör die längste Zeit ein Geheimnis gewesen.

      »Um was geht’s denn?«, fragt sie, obwohl sie natürlich weiß, dass es um die Katze geht und sie die beiden deshalb besser reinlassen sollte, damit der Herr Nachbar – ach nein, inzwischen der Jürgen – nichts mitkriegt. Aber was soll sie dann machen, wenn einer der Bullen tatsächlich


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