Schlaf schön. Andrea Revers
schilderte den Verlauf der Gesprächsrunde und die Ideen, die sie gesammelt hatten.
»Ihr wollt also gemeinsam recherchieren, und jeder hat Aufgaben übernommen«, fasste Frederike das Gehörte zusammen.
Klara nickte.
»Hat jemand bei euch zugehört? Möglicherweise hat euch jemand belauscht.«
»Wir waren nicht besonders leise«, gab Klara zu. »Allerdings war es ziemlich laut im Raum, Geschirrklappern und laute Gespräche. Die meisten hier hören nicht mehr besonders gut, deshalb reden wir alle recht laut.«
»Apropos – ist dein Hörgerät wieder aufgetaucht?«
»Nein, ist es nicht. Vor lauter Stress habe ich Verstopfung. Aber bleib beim Thema.«
Frederike akzeptierte den Verweis mit einem leichten Kopfnicken. Heute war kein guter Tag für Klara. »Ich dachte beim Lauschen mehr ans Personal. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass sich jemand der Bewohner auf seine alten Tage als Massenmörder betätigt.«
»Unterschätze die Alten nicht.« Klara sah sie aufmerksam an. »Manche sind hier ganz schön aggressiv.«
»Denkst du da an jemand Besonderen?«, hakte Frederike nach.
»Nein, tue ich nicht. Aber ich kenne auch nicht alle so gut, dass ich für jemanden die Hand ins Feuer legen würde.«
»Gut zu wissen«, bemerkte Frederike und nahm sich noch eine Tasse Tee.
Klara stand auf, um Gebäck zu holen.
»Mmh, Schokoladenplätzchen!« Frederike bediente sich und kaute erst mal eine Weile, bevor sie fortfuhr: »Wie ist es mit dem Personal? Jemand aus der Küche …«
»Du hast Heinz Fernmüller und seine Leute in Verdacht?«
»Ich haben jeden in Verdacht. Solange wir nicht wissen, was passiert ist, können wir nichts und niemanden ausschließen«, stellte Frederike klar.
»Mich kannst du ausschließen«, erklärte Klara bestimmt.
»Nein, ehrlich gesagt kann ich das nicht.« Frederike schaute Klara fest in die Augen. »Aber du stehst ganz unten auf meiner Liste.«
Klara lachte kurz auf. »Ich sollte jetzt beleidigt sein. Ich weiß nur noch nicht, weshalb. Weil du mich verdächtigst oder weil ich ganz unten auf deiner Liste stehe?«
Frederike zuckte mit den Schultern. »Denk drüber nach. Ich muss jetzt los. Bei Gelegenheit würde ich gerne deine nette Runde kennenlernen.« Sie erhob sich und ging zur Tür. »Bleib sitzen, ich finde schon allein raus.« Sie stockte kurz, bevor sie das Appartement verließ, und schaute Klara noch einmal an. »Passt auf euch auf. Bitte!«
Sie war beunruhigter, als sie zugab. Hatte Käthe Gilles möglicherweise gestern in ein Wespennest gestochen? Und was war dann mit den anderen der Caférunde? Waren auch sie in Gefahr? Sie wusste nicht, wo sie anpacken sollte. Aber sie spürte: Irgendetwas stank hier ganz gewaltig!
6. Kapitel
Drei Tage nach Käthes Tod gab es eine Trauerandacht. Die Leiche war noch nicht freigegeben, und Käthe hatte sich ein Urnenbegräbnis im Jünkerather Friedwald gewünscht. So feierten die Hinterbliebenen zunächst eine Totenmesse. Frederike entschloss sich, daran teilzunehmen. Sie wollte einen Blick auf die Trauernden werfen. Vor der Kirche stand Klara mit einigen Bewohnern des St. Ägidius. Sie löste sich von der Gruppe, als sie Frederike sah, und kam zu ihr herüber.
»Was für ein Tag! Sie fehlt mir so sehr«, sagte sie traurig. »Inzwischen wird schon ihr Appartement geräumt. Es bleibt so wenig von uns zurück, wenn wir sterben.«
Frederike drückte liebevoll ihren Arm. »Dir bleiben die Erinnerungen. Keiner geht so ganz, solange es Menschen gibt, die sich erinnern.«
Klara lächelte unter Tränen. »Ein schöner Gedanke. Ich hoffe, dass man sich auch an mich erinnert.«
Frederike nickte. »Lass uns reingehen und ein paar Spuren im Leben hinterlassen.«
Während der Trauerfeier saß Frederike in der vorletzten Bank und musterte die Besucher. Allzu viele waren es nicht. Die meisten waren aus dem Altenstift, Bewohner, Zimmernachbarn und Betreuer. Sie entdeckte auch ihren Zahnarzt. Plötzlich blieb ihr Blick an einem jungen Mann hängen, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Klara, die neben ihr saß, folgte ihrem Blick und flüsterte ihr zu: »Das ist Käthes Neffe.«
»Den habe ich schon mal gesehen. Ich weiß nur gerade nicht, wo ich ihn hintun soll. Wie heißt er?,« flüsterte Frederike zurück.
Doch da begann gerade die Wandlung, und alle knieten sich hin. »Später!«, hauchte Klara.
Nach der Messe gingen beide zurück zum Altersheim. »Erzähl mir von dem Neffen«, forderte Frederike. Sie hatte gehofft, sie könne nach der Feier noch einen Blick auf den jungen Mann werfen, doch der war in der Menge verschwunden.
»Ich kenne ihn nicht persönlich, habe ihn nur mal von Weitem gesehen. Käthe nannte ihn Jogi, mehr weiß ich auch nicht.«
»Standen sie sich nahe?«
»Ach, ich glaube, das ist zu viel gesagt. Sie freute sich, wenn er sie besuchen kam. Du weißt ja, wie das hier läuft. Selbst wenn das Verhältnis zur ›buckelijen Verwandtschaft‹ nicht besonders herzlich ist, freut man sich über Besuche, da man weiß, dass die anderen Bewohner diese neidvoll zur Kenntnis nehmen. ›Du hast ja noch Verwandtschaft‹, ist bei uns die Statusaussage schlechthin. Hier ist ja sonst auch nicht allzu viel los. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie ihn ein bisschen gönnerhaft behandelte.« Klara dachte nach. »Sie hat erzählt, dass er in Trier arbeitet. Warum fragst du?«
Frederike schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht … Er erinnert mich an jemanden, aber ich komm nicht drauf, an wen. Vielleicht ist er mir auch nur aufgefallen, weil er den Altersdurchschnitt der Trauergäste deutlich gesenkt hat.«
»Käthe bezeichnete sich mal als seine Erbtante. Ich glaube, sie vermutete hinter den Besuchen durchaus niedere Beweggründe. Das war für sie aber kein Grund, sich nicht auf ihn zu freuen.«
Frederike horchte auf. »War Käthe so gut betucht?«
Klara zuckte mit den Schultern. »Das Appartement von ihr ist das teuerste hier im Haus, und sie hat nie über Geldsorgen geklagt – im Gegensatz zu vielen anderen hier. Aber sie ist natürlich auch verwandt mit Andrea Bader, unserer Heimleiterin. Vielleicht bekam sie Sonderkonditionen.«
»Woher stammt Käthe?«
»Sie ist wohl ursprünglich aus der Eifel, hat aber lange in Meerbusch gewohnt. Ich habe immer gedacht, dass es ihr in der Stadt zu teuer wäre«, vermutete Klara. »Aber ich kann es dir nicht sagen. Für Käthe war Geld ein Tabuthema.«
»Ich schaue mal, was ich herausbekommen kann.«
Als Frederike Klara von der Seite ansah, fiel ihr der kleine Knopf in Klaras Ohr auf. »Ach, du hast ja deine Hörgeräte wieder. Sind das die besagten?« Ihr Mundwinkel zuckte leicht.
Klara blickte sie indigniert an. »Natürlich nicht! Die habe ich gestern zu meinem Hörgeräteakustiker gebracht.«
»Na, der war bestimmt begeistert. Was hat er gesagt?«
Klara kicherte. »Ich habe ihm die Geschichte erzählt. Da hat er ohne viel Federlesens das Döschen an sich genommen und gesagt, dass er die Dinger zum Hersteller schickt. Da könne er sowieso nichts machen.« Sie seufzte. »Aber ich habe nicht viel Hoffnung. Die sahen wirklich übel aus. Und dabei waren sie verdammt teuer!«
»Ich staune ja, dass du sie überhaupt wiedergefunden hast.«
Klara winkte ab. »Ich hatte Glück im Unglück. Das Gäste-WC im Foyer hat noch einen Flachspüler. Ich hatte schon Sorgen, dass ich tagelang auf eine Zeitung kacken müsste.«
»Ohhh, wie eklig. Sei still, ich will gar nichts mehr davon hören.« Frederike schüttelte