Schlaf schön. Andrea Revers

Schlaf schön - Andrea Revers


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ehrlich gesagt schon.«

      »Was ist anders?« Frederike hatte gelernt, dass es auf die Unterschiede ankam.

      »Wir wissen nicht, was es ist. Und es trifft nicht unbedingt die Leute, von denen man es erwartet.« Heike hatte offensichtlich beschlossen, nun die Karten auf den Tisch zu legen. Sie beugte sich zu den beiden herüber. »Es gibt zurzeit keinen Virus. Die Hitze ist zwar da, aber wir haben die Aufenthaltsräume klimatisiert und in den Zimmern Ventilatoren. Das sollte eigentlich reichen. Und die Küche …« Sie zögerte.

      »Was ist mit der Küche?«, fragte Frederike, als Heike nicht weiterredete.

      »Die meisten von uns glauben ja, dass das Problem in der Küche liegt. Das ist ein ziemlicher Sauhaufen!« Heike schnalzte mit der Zunge: »Heinz, unser Koch, ist nicht besonders beliebt bei den Angestellten und auch nicht bei den Bewohnern. Dem traut man so einiges zu.«

      »Was macht ihn so unbeliebt?«

      »Da kommt einiges zusammen. Er kocht ziemlich einfallslos, ist kein besonders netter Chef und streitet sich häufig mit der Heimleiterin. Die beiden können sich wirklich nicht riechen.« Heike lachte auf, es klang genervt. »Davon können wir alle ein Lied singen. Man muss höllisch aufpassen, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Wenn sie eine Anweisung erteilt, macht er schon aus Prinzip das Gegenteil.«

      Klara ergänzte: »Und er macht auch keinen Hehl daraus, wenn er sich über jemanden ärgert. Otto hat kürzlich mal laut in der Cafeteria die Reibekuchen kritisiert – da war aber was los! Heinz ist richtig ausgerastet. Solche Schimpfwörter habe ich schon ewig nicht mehr gehört.« Sie kicherte.

      Frederike nickte verstehend mit dem Kopf. »Das erklärt, warum er nicht sehr beliebt ist, ist aber kein Indiz dafür, dass es in der Küche zu einer Verkeimung oder Ähnlichem kam.«

      »Nein, das stimmt«, bestätigte Heike, »es wirft allerdings kein gutes Licht auf einen, wenn die Heimleitung die Order gibt, dass die Essensreste aufbewahrt werden sollen, um sie untersuchen zu können, und diese dann trotzdem vernichtet werden.«

      Frederike horchte auf. »War das jetzt hypothetisch oder ist das tatsächlich passiert?«

      Heike nickte verzagt. »Ich rede mich hier um Kopf und Kragen. Wenn das rauskommt, bin ich wegen übler Nachrede dran. Pflegekräftemangel hin oder her, meinen Job kann ich dann knicken.«

      Klara tätschelte beruhigend ihre Hand. »Keine Sorge! Du bist bei uns in guten Händen. Frederike wird das alles vertraulich behandeln, nicht wahr, Frederike?« Sie schaute ihre Ex-Nachbarin beschwörend an.

      »Äh, ja, vertraulich, natürlich.« Frederike kratzte sich am Kopf. »Gut, erzähle mal genauer, was passiert ist.«

      »Na ja, letzten Donnerstag sind ja gleich zwei gestorben, und beide hatten mittags das Gleiche gegessen. Da hat Frau Bader, unsere Heimleiterin, Heinz Fernmüller angewiesen, von allen Speisen Reste in einzelne Tupperdosen zu packen und diese zu verkleben und zu beschriften. Sie wollte die Proben untersuchen lassen. Doch Heinz hat einfach alles in den Bottich für die Biogasanlage geworfen und abtransportieren lassen. Er meinte, das wäre ein Misstrauensvotum gegen ihn und seine Küchenkräfte. Sie würden sauber arbeiten, er hätte schließlich die Verantwortung, und Frau Bader solle sich raushalten. Ihr könnt euch vorstellen, was da los war. Frau Bader war auf hundertachtzig und sprach von einer Abmahnung, die Pflegekräfte sind nun misstrauisch und die Küchenkräfte sauer, dass man ihnen unterstellt, sie wären für die Todesfälle verantwortlich. Gleichzeitig schimpfen sie auf Heinz Fernmüller, weil er die Essensreste vernichten ließ. Jetzt können sie nicht nachweisen, dass sie es nicht schuld sind. Sie verdächtigen jemanden von uns … Und so beäugen wir uns nun alle misstrauisch, und die Stimmung ist völlig im Eimer.«

      Sie wirkte niedergeschlagen. »Jetzt haben auch noch alle von der Chefin die Anweisung erhalten, nicht über die Sache zu sprechen, aber die Augen aufzuhalten. Ich fühle mich gerade ganz prima … Und jetzt muss ich los!« Sie stand auf, nahm ihre Tragetasche und wandte sich dem Eingangsbereich zu.

      »Danke«, rief Frederike hinter ihr her, doch Heike drehte sich nicht mehr um.

      Frederike wandte sich Klara zu. »Na, das war ja mal interessant. Den Heinz Fernmüller, den schau ich mir mal genauer an. Was hältst du von ihm?«

      Klara winkte ab. »Der perfekte Sündenbock! Der hat hier nicht viele Freunde. Das Essen ist eher mittelmäßig, und er zeigt auch keine Ambitionen, dass das besser wird. Mit Kritik kann er nicht gut umgehen. Und er nimmt kein Blatt vor den Mund. Damit hat er den einen oder anderen schon heftig vor den Kopf gestoßen.«

      Frederike hob verwundert die Augenbrauen. »Das spricht alles nicht für ihn. Trotzdem habe ich den Eindruck, du glaubst nicht, dass er der Todesengel ist.«

      Klara schnaubte. »Schlechtes Essen hat noch niemanden umgebracht. Sonst wäre ich schon längst tot.«

      Frederike grinste. »Stimmt, deine nicht vorhandenen Kochkünste sind legendär – mal abgesehen von deinen Plätzchen und Marmeladen.«

      »Eben. Heinz ist ein sehr direkter Mensch, der sich damit Feinde gemacht hat. Aber ehrlich gesagt: Zu mancher Beleidigung habe ich ihm nachträglich gratuliert. Wir haben hier auch einige echte Miesepeter. Otto ist auch so ein Fall. Was der sich aufgespielt hat wegen der Reibekuchen. Das war echt unter der Gürtellinie. Ich habe nur darauf gewartet, dass ihm Heinz eins mit dem Bratpfanne überzieht. Da hätte ich noch Beifall geklatscht!«

      Frederike lachte. »Ich habe den Eindruck, du magst Heinz.«

      Klara zögerte kurz. »Behalte es bitte für dich. Manchmal lässt er mich in der Küche backen. Eigentlich darf er das nicht wegen der Hygienebestimmungen. Wenn die Bader das erfährt, ist er seinen Job los. Aber er weiß halt, wie gerne ich Plätzchen backe.«

      Frederike seufzte. »Verstehe. Na gut, ich habe jetzt einen Eindruck bekommen. Mal sehen, was sich noch so tut. Jetzt muss ich los.«

      Auf dem Weg zum Auto dachte sie über das Gehörte nach. Heinz Fernmüller nahm es anscheinend mit den Hygienevorschriften nicht allzu genau. Möglicherweise lag ja hier wirklich die Ursache für die Todesfälle. Es beunruhigte sie, dass anscheinend manche Heimbewohner – speziell auch Klara – Zugang zur Küche hatten und damit eventuell sogar eine Mitschuld an den zahlreichen Todesfällen trugen. Das würde Klara umbringen.

      Klara traf sich nachmittags mit ihrem Freundeskreis zum Kaffee. Es gab frisch gebackenen Pflaumenkuchen. Das war ein Service des Hauses, den sich keiner entgehen ließ. Im bereits gut gefüllten Frühstücksraum war für die kleine Runde ein Ecktisch reserviert.

      Zum Kreis gehörte Käthe Gilles, die seit knapp zwei Jahren neben Klaras Appartement eine kleine Zweizimmerwohnung bewohnte. Sie war eine vornehme, große Dame, die Haare immer gut frisiert und ein wenig geziert in den Bewegungen. Heute trug sie einen schlicht geschnittenen lavendelfarbenen Hosenanzug mit weißer Bluse. Der Dritte im Bunde war Horst Blume, ein ehemaliger Steuerberater, groß und hager, mit einem warmen Lächeln, der leider nicht mehr allzu gut zu Fuß war. Er trug stets ein weißes Hemd und oft auch einen Strohhut. Original Panama, wie er gerne betonte. Da er seine Hüte stets an der Krone packte, sah das Stroh dort immer etwas zerfleddert aus. Doch hielt er es für unmännlich, Hüte mit beiden Händen an der Krempe zu fassen. Auf der kleinen Bank saßen Ursula und Helga Mauer, zwei unverheiratete Schwestern aus Berndorf, die einander glichen wie ein Ei dem anderen, nur dass sich Ursula die Haare rot färbte und eine Vorliebe für wallende Batikgewänder hatte, während Helga, eine ehemalige Chefsekretärin, ihr kurz geschnittenes Herbstblond mit Würde trug und meist ganz pragmatisch in Jeans und T-Shirt unterwegs war. Die Zwillinge waren charakterlich sehr unterschiedlich: Ursula, die Extravertierte, stand gerne im Mittelpunkt, Helga zählte zu den ruhigen Vertreterinnen, war eher zurückhaltend und sachlich.

      Klara war noch ein wenig aufgedreht von dem Gespräch mit Frederike. Ihr ging es nahe, dass Heinz Fernmüller in Verdacht stand, für die Todesfälle verantwortlich zu sein. Als Todesengel konnte sie sich ihn nun so gar nicht vorstellen. Mangelnde Hygiene wäre da sicher schon eher ein Thema, aber sie hatte erlebt, wie pingelig er immer hinter ihr her geräumt hatte, wenn sie ihre


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