Schlaf schön. Andrea Revers
lehnte sich im Gartenstuhl zurück und ließ die Gedanken wandern. Soso, die Kleine war verliebt. Es war schön, sie so strahlend zu erleben. Seit Toms Tod, ihrer ersten großen Liebe, hatte sie um Männer einen Bogen gemacht. Frederike hatte Tom kaum gekannt, aber er musste ein Goldschatz gewesen sein. Angela hatte ihr wahre Wunderdinge von ihm erzählt. Sie hatte lange um ihn getrauert. Frederike war froh, dass sie heute ein so fröhlicher Mensch war.
Jochen also, gut aussehend, arbeitsloser Chemielaborant, der allein in Gerolstein auf der Kirmes ein Bier trank. Ein echter Strahlemann! Er sah ja ganz gut aus. Nur sein Auftreten war ihr eine Spur zu forsch. Er war eingetreten, als würde ihm der Garten gehören. Schön haben Sie es hier. Und auch Angela … Wie er sie am Arm gepackt hatte! Der Typ war eher eine Berg-Flockenblume als Rittersporn. Sah gut aus, aber machte sich breit, sodass man ihn kaum wieder loswurde, und schleppte Mehltau ein. Mensch, warum musste sie immer gleich so kritisch sein und das Schlechteste annehmen? Er muss mir nicht gefallen, dachte sie. Hauptsache, er macht sie glücklich. Ach was, sie gehen nur miteinander schwimmen, und ich denke schon über eine feste Beziehung nach. Halt den Ball flach.
Vermutlich war sie einfach nur eifersüchtig, weil Angela sie sitzengelassen hatte. Dabei war Angela es doch gewesen, die angeregt hatte, heute eine kleine Wanderung zum Schützenplatz zu machen. Nun ja … Wahrscheinlich war Jochen total nett und würde ihrer Nichte guttun. Frederike riss sich zusammen und beschloss, sich zu freuen und statt zu grübeln lieber die Büsche zu schneiden.
Seufzend erhob sie sich und ging ins Haus, um Gartenschere und Handschuhe zu holen. Doch ihre Gedanken blieben bei Jochen. Sie war allergisch gegen Märchenprinzen. Jochen erinnerte sie ungut an ihren ersten Mann. Auch so eine Flockenblume.
5. Kapitel
Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, und es waren bereits über zwanzig Grad, als Frederike sich ins Auto setzte und Richtung Hillesheim fuhr. Die Hitze würde ihr heute Nachmittag zu schaffen machen, aber im Moment war es sehr angenehm, und sie genoss den Sonnenschein. Die Eifel ist einfach schön, dachte sie, als sie am Golfplatz vorbeifuhr, die Hügel in sanftem Grün. Zwei Golfer kreuzten mit ihren Wägelchen die Straße und grüßten freundlich.
Im St. Ägidius traf sie Klara in ihrem Zimmer an. Sie beschlossen gemeinsam, die morgendliche Frische zu nutzen und in die angrenzende Grünanlage zu gehen.
Klara setzte sich mit einem Stöhnen auf die Bank. »Mein Hüfthalter bringt mich um.«
Frederike schaute sie prüfend an. »Echt jetzt? Du trägst einen Hüfthalter? Bei dem Wetter?«
Klara schnaubte: »Quatsch! Die linke Hüfte tut weh. Aber kannst du dich nicht mehr an die Reklame erinnern?«
»Dunkel. Ist aber schon lange her.«
Frederike setzte sich neben Klara auf die Bank und blickte sich anerkennend um. »Sehr gepflegt habt ihr es hier. Was sind das für Rosen?« Sie deutete auf einen Strauch lachsfarbener Rosen.
»Keine Ahnung. Frag an der Rezeption. Sind wir hier, um über Blumen zu sprechen?« Klara wirkte etwas ungehalten.
»Du liebe Güte, bist du heute aber mürrisch und unfroh! Was ist denn los?«
»Ach«, seufzte Klara. »Ich hab Mist gebaut!«
»Was ist passiert?«
»Ich habe heute Morgen aus Versehen meine Hörgeräte verschluckt.«
Frederike prustete los. »Wie in Gottes Namen hast du das denn geschafft?«
Klara kratzte sich verlegen an der Stirn. »Ich war am Abend ziemlich müde und bin früh ins Bett. Als ich schon lag, fiel mir auf, dass die Hörgeräte noch drin sind. Ich habe sie also rausgefriemelt und auf den Nachttisch gelegt.«
»Und?«
»Direkt neben meine Blutdrucksenker, die ich morgens als Erstes einnehme.«
»Und?«
»Na ja, als ich die Hörgeräte ins Ohr schieben wollte, lagen dort nur noch die Tabletten – die Hörgeräte waren weg. Ich bin aber sicher, dass ich meine Medis genommen habe. Also habe ich wahrscheinlich meine Hörgeräte eingeworfen.«
»Aber sind die denn nicht viel größer als die Tabletten? Das hättest du doch merken müssen?« Frederike war bemüht, ernst zu bleiben, giggelte aber die ganze Zeit.
Klara rollte mit den Augen. »Nichts da, ich habe doch diese niedlichen Innenohrdinger. Mit einem Schluck Wasser sind die schnell runtergespült.«
»Und jetzt?«
Klara hob die Schultern. »Jetzt warte ich auf meine Verdauung. Aber jetzt lass uns das Thema wechseln. Wir haben Wichtigeres zu tun. Ich war nicht untätig.«
»Ja, aber kannst du denn überhaupt etwas verstehen, so ohne Hörgeräte?«
»Häh?«, grinste Klara. »Nein, Spaß beiseite. Solange du deutlich sprichst und keiner hier reinquatscht, geht es.«
»Na, dann erzähl. Was hast du rausbekommen?«
Klara setzte sich zurecht und begann: »Also, ich habe mich gestern hauptsächlich in der Cafeteria und in der Lobby aufgehalten. Die Todesfälle sind tatsächlich überall Thema. Wenn auch meist hinter vorgehaltener Hand. Aber ich habe festgestellt, dass sich die meisten Bewohner Gedanken machen. Und auch innerhalb der Belegschaft wird gequatscht.«
»Was erzählt man sich dort?«
»Ich habe mich länger mit Heike unterhalten. Heike Simonis. Sie ist eine Pflegekraft bei uns, schon seit ein paar Jahren im Geschäft und eine der wirklich Netten hier. Sie tratscht auch ganz gerne und bekommt viel mit. Wenn sie morgens nach mir schaut, steht ihr Mundwerk nicht still.« Klara lächelte. »Ein wirklich hübsches Mädchen, hilfsbereit, flirtet gern. Sie hat mir erzählt … aber da ist sie ja.«
Klara winkte einer jungen Frau zu, die sich mit einer Tragetasche der Eingangstür näherte. »Heike! Hast du kurz Zeit?«
Sie wandte sich Frederike zu: »Ich glaube, es ist besser, wenn sie dir das selbst erzählt. Ich bringe sowieso das meiste wieder durcheinander.«
Heike nähert sich den beiden Damen. »Na, ihr beiden Hübschen. Genießt ihr die Sonne?«
»Morgen, Heike«, begrüßte Klara sie. »Ich habe dir doch von meiner alten Nachbarin erzählt. Das hier ist Frederike Suttner.«
»Ach, die Kriminalkommissarin a. D.«, sagte Heike mit gesenkter Stimme und gab Frederike die Hand. »Es ist gut, dass sich hier mal einer kümmert!«
»Setzen Sie sich doch«, lud Frederike sie ein.
»Mmh«, Heike guckte sich um, »aber nur ein paar Minuten.« Sie setzte die Tragetasche ab.
»Heike, erzähl doch mal, was du mir erzählt hast«, forderte Klara sie auf.
Heike lachte. »Du lieber Gott, wir haben so viel geredet. Frau Suttner, was wollen Sie wissen?«
»Du kannst gerne Frederike sagen«, lud Frederike sie ein. »Was hältst du von den Todesfällen?«
»Nun ja, es wird darüber gesprochen. Eine solche Häufung an Todesfällen erlebt man ja nicht so oft. Das ist schon merkwürdig«, äußerte sich Heike sehr vorsichtig.
»Was heißt ›nicht so oft‹? Du hast das also vorher schon mal erlebt?«
Heike überlegte ein paar Sekunden und schüttelte dann den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Wir hatten hier mal eine Grippewelle, das war auch heftig, aber das jetzt … das ist noch heftiger!«
»Aber grundsätzlich kann das durchaus passieren, dass es zu einer Epidemie kommt?« Frederike ließ nicht locker.
»Na ja«, Heike zuckte mit den Schultern. »Möglich ist das schon. Virusinfektionen, die hoch ansteckend sind, lange Hitzewellen oder auch Probleme in der Küche – EHEC, Salmonellen. Viele der alten Leutchen haben ja körperlich nichts