Schlaf schön. Andrea Revers
von denen ich weiß.« Frederike erschrak selbst, als sie sich die Zahl nennen hörte.
Klaus Wieland sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Das ist eine ganze Menge. Das sollte sich wirklich die Polizei ansehen.«
»Ich denke, das ist nur noch eine Frage der Zeit. Vor Ort läuft schon die Gerüchteküche heiß.«
»Wollen Sie, dass wir uns hier einschalten?«
»Nein, das ist ja nicht Ihr Bereich. Aber eine der Toten kommt aus dem Düsseldorfer Umland und hat anscheinend einiges an Vermögen hinterlassen. Das interessiert mich.«
Wieland schmunzelte. »Also daher weht der Wind. Vielleicht doch ein Erbfall? Wollen Sie, dass ich ein wenig recherchiere?«
»Lieb, dass Sie fragen. Ja. Können Sie mir Auskünfte einholen über die Vermögensverhältnisse einer Käthe Gilles, früher wohnhaft in Meerbusch?«
»Meerbusch? Die Hochburg der deutschen Millionäre?«
»Genau. Bei uns strolcht nämlich auch noch ein Neffe herum. Da lohnt sich vielleicht ein Blick.«
»Bauchgefühl? Ihr Riecher fehlt uns hier wirklich. Haben Sie nicht ab und zu Sehnsucht nach uns und Ihrer alten Tätigkeit? So etwas wie eine externe Beraterin? Ich räume für Sie auch gerne wieder meinen Schreibtisch«, scherzte er. »Wissen Sie eigentlich, dass man Sie intern immer noch als den ›Bluthund‹ rühmt?«
»Ach herrje, ist Ihnen allen da nichts Besseres eingefallen?«
»Zumindest nichts Passenderes! Wenn Sie an etwas dran waren, ließen Sie nicht locker, unter keinen Umständen! Das war schon beeindruckend und manchmal auch ein wenig angsteinflößend. Also überlegen Sie es sich. Wir hätten da gerade einen ganz besonders interessanten Fall!«
»Stopp! Das will ich gar nicht wissen. Ich komme gerne mal ab und an vorbei, um mit Ihnen einen Cappuccino zu trinken. Aber die Arbeit fehlt mir nicht. Mein Leben besteht nun aus Katzenpflege und Gartenarbeit. Das wöchentliche Highlight ist die Probe des Kirchenchors. Ich lese nicht mal Krimis.«
Klaus Wieland lachte. »Das kann ich gut verstehen. Wenn meine Frau abends den Tatort einschaltet, gehe ich ins Nebenzimmer und lese Zeitung.«
»Die ist doch auch voll von schlechten Nachrichten. Probieren Sie es mal mit Unkrautjäten – das macht den Kopf frei.«
»Ich werde es mir merken. Ist das jetzt Ihr neues Hobby?«
Frederike nickte. Sie tauschten sich noch eine Weile über die Entwicklungen der letzten Jahre aus, dann schaute Wieland auf die Uhr. »Ups, schon so spät. Ich muss los!« Er stand auf. »Ich melde mich, sobald ich etwas weiß.«
»Wird es lange dauern?«, fragte Frederike schnell.
»Also trotz der entspannenden Gartenarbeit immer noch ungeduldig! Es hätte mich auch gewundert«, grinste Wieland, »nein, ich melde mich heute noch. Versprochen.«
»Klasse! Dafür zahle ich Ihren Cappu.« Frederike schwenkte ihre Geldbörse, und Wieland verließ winkend das Lokal.
Frederike bummelte noch eine Weile durch die Altstadt, stellte aber fest, dass der Trubel um sie herum sie einfach nur noch nervte. Also machte sie sich auf den Heimweg. Sie war froh, in Kürze Informationen über Käthe Gilles zu bekommen. Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass hinter diesem Tod mehr steckte. Oder war es doch bloß Zufall? Wie passte das Ganze zu den anderen Todesfällen? Sie wusste es nicht und beschloss, sich von ihren Zweifeln erst einmal nicht abhalten zu lassen. Tja, vielleicht war das Bild mit dem Bluthund gar nicht so falsch! Und irgendwie waren das ja auch ganz liebe Tiere, oder?
Ihre Gedanken wanderten zu Angela und ihrem neuen Galan. Sie machte sich Sorgen. Ein arbeitsloser Chemiker – in einer Region mit einer Arbeitslosenquote unter drei Prozent und nachgewiesenem Fachkräftemangel. Wo gab es denn so was? Hatte sie etwa Vorurteile gegen gut aussehende junge Männer, die auf Kosten der Allgemeinheit lebten? Oder war sie einfach bloß eifersüchtig? Trotzig schüttelte sie diesen Gedanken ab.
Als sie zu Hause ankam, hatte Klaus Wieland ihr schon auf den Anrufbeantworter gesprochen und um Rückruf gebeten. Sie wählte seine Handynummer und lobte: »Das ging ja wirklich schnell.«
»Ja, ich habe eben nicht geschaltet, als Sie mir den Namen sagten. Käthe Gilles – die kennt hier jeder. Sie ist in Düsseldorf als Stifterin und Sponsorin eine große Nummer gewesen, hat jahrelang die UNICEF-Gala organisiert und war eine große Kunstmäzenin. Sie kennen sie übrigens.« Klaus Wieland wartete auf ihre Reaktion.
»Lassen Sie mich nachdenken. Der Name Gilles ist hier in der Region häufiger vertreten, sodass ich keine Verbindung hergestellt habe, und ich bin der Dame hier nie begegnet. Käthe Gilles … mmh … war da nicht irgendetwas mit der Kunstsammlung?«, dachte Frederike laut nach.
»Genau, wir sind ihr im Rahmen der Ermittlungen im Fall Küpper begegnet. Eine nette ältere Dame, sehr vornehm. Klingelt es jetzt bei Ihnen?«
Frederike nickte: »Ja, jetzt wo Sie es sagen. Das war also Käthe Gilles. Eine angenehme Person. Wie schade, dass ich ihr hier nicht mehr begegnet bin. Sie war sehr aufmerksam und hochintelligent.«
»Und schwerreich«, ergänzte Klaus Wieland. »Sie verfügte in Düsseldorf über mehrere Immobilien, teils sogar in Kö-Lage. Dazu gibt es auch noch eine exquisite kleine Kunstsammlung. Die Lady war millionenschwer.«
Frederike pfiff durch die Zähne. »Na, wenn das kein Motiv ist. Gibt es direkte Nachkommen?«
»Soweit ich weiß, nicht. Der Ehemann ist bereits vor zwölf Jahren verstorben, und das Paar war kinderlos. Es gibt natürlich Verwandtschaft. Da wird das Rennen auf das Erbe jetzt losgehen!«
»Haben Sie vielleicht etwas über den Neffen herausgefunden?«
»Nein, so genau habe ich aber auch nicht recherchiert.«
»Man müsste mal einen Blick ins Testament werfen.«
»Da müssen Sie bis zur offiziellen Testamentseröffnung warten. Ohne konkreten Anlass können wir hier keinen Einblick nehmen.« Anscheinend waren die Grenzen von Klaus Wielands Hilfsbereitschaft erreicht.
Doch Frederike wollte auch gar nicht mehr. »Nein, das ist klar. Ich bin froh über die Infos. Damit kann ich arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass zumindest der Neffe keine Zeit verlieren wird, einen Erbschein zu beantragen. Sollten Sie etwas hören oder lesen, vielleicht in der Rheinischen Post, lassen Sie es mich wissen.«
»Das mache ich. Es war schön, mal wieder mit Ihnen zu plaudern«, verabschiedete sich Klaus Wieland.
Käthe Gilles – Frederike erinnerte sich gut an die hochgewachsene stolze Frau mit dem klaren Blick und der melodischen Stimme. Ihre Begegnung war schon mehrere Jahre her. Das musste in den Neunzigern gewesen sein. Käthe Gilles entsprach überhaupt nicht dem blond gefärbten und braun gebrannten Klischee der typischen Düsseldorfer Hautevolee. Ihre Kleidung war schlicht und geschmackvoll, und sie hatte sich viel Zeit genommen für die Ermittler. Damals wieselte ein kleiner weißer Zwergpudel um sie herum, den sie sogar mit in die Kunstsammlung nahm. Das war aber auch das einzige Indiz, das für ihre Sonderstellung sprach, denn normalerweise herrschte hier striktes Hundeverbot. Frederike fühlte eine leichte Trauer, als sie sich an die Begegnung erinnerte. Sie hatte die Frau gemocht. Schade, dass es nun zu spät für ein Wiedersehen war. Es wäre schön gewesen, hier in der Eifel ein Gesicht aus der alten Heimat zu entdecken. Frederike fragte sich, was Käthe Gilles in die Eifel verschlagen hatte. Vielleicht war es Käthe ja genauso gegangen wie ihr – zurück zu den Wurzeln.
Sie atmete geräuschvoll aus, stand auf und ging in die Küche, um Hannelores Abendessen zuzubereiten.
Für den nächsten Tag hatte sich Frederike wieder Gartenarbeit verordnet. Dabei konnte sie ihre Gedanken fließen lassen. Jetzt, nachdem sie sich an die Begegnung erinnert hatte, war Käthe Gilles’ Tod zu etwas Persönlichem geworden. Sie würde keine Ruhe geben, bis sie das Geheimnis um den Todesengel gelüftet hatte. Und sie war sicher, dass es ein Geheimnis gab. Noch kannte sie nicht alle Fakten, aber