Elektra. Theo Brohmer
und angehalten. Da er von der Suchmeldung wusste, kam ihm das abgeknickte Schild mit einem Mal merkwürdig vor. Er habe angehalten und nachgesehen, das Wrack und die beiden Toten gefunden.
Wybrands nickte betroffen bei Frerichs Schilderung. Er kritzelte fleißig in sein Notizbüchlein und notierte sich Frerichs Personalien.
Wenig später traf auch der Mobilkran ein. Bis weit in den Nachmittag hinein dauerte die Bergung des Wracks und der beiden Toten.
Gretje
Gretje Adden besaß ein kleines, freundlich wirkendes Backsteinhaus mit kleinen Butzenscheiben. Jedes Fenster zierte eine andere Spitzengardine. Jedes Mal, wenn Frerichs es sah, musste er daran denken, wie Lübbe und er die Holzfenster gestrichen hatten. Lübbe, Gretjes Mann, drückte Frerichs einen kleinen Metalleimer Farbe und einen Pinsel in die Hand. Damit schickte er Frerichs ins Obergeschoss. Gerecht wie Lübbe war, hatte er die Arbeit aufgeteilt. Während er sich im Erdgeschoss um die Fenster kümmerte, sollte sein Freund Frerichs im Obergeschoss werkeln.
Das Haus erzitterte unter den Klängen der Schlager, die Lübbe so gerne hörte. Gretjes kleines Radio hatte herhalten müssen. Der Lautstärkeregler war ganz nach rechts gedreht.
Gretje hatte die Fensterrahmen angeschliffen und war dann weitergezogen. Das Haus der Addens besaß unglaublich viele Fenster.
Frerichs schnappte sich einen Pinsel und den Pott Farbe und stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Dort erwartete ihn bereits eine Bügelflasche Bier. Das zauberte ein Lächeln auf Frerichs Gesicht. Er hebelte mit einem Schraubendreher den Deckel des Farbpotts herunter. Mit dem Pinselstiel rührte er die Farbe um. »Dann mal Prost!«, schallte es von unten herauf.
Frerichs unterbrach seine Arbeit gerne. Er nahm das Fläschchen, das Lübbe ihm hingestellt hatte und rief seinem Freund zu: »Prost! Überarbeite dich nicht!« Dann trank er gut die Hälfte weg. Lübbe antwortete mit einem Lachen: »Pass du mal auf dich auf!«
Frerichs hatte das zweite Fenster gerade fertig, als er einen Ruf aus dem Garten vernahm. Er blickte hinaus und entdeckte Gretje. Sie stand mit offenem Mund da und machte ein seltsames Gesicht. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus. Sie lachte so sehr, dass sie sich ins Gras setzen musste.
Frerichs legte den Pinsel weg und ging hinunter in die Deele, wo er auf Lübbe stieß. Sein Freund reichte ihm ein frisches Fläschchen Bier.
»Weißt du, was sie hat?« Frerichs hob die Schultern. Gemeinsam gingen sie hinaus in den Garten. Die Sonne war warm. In der Luft hing der Duft von wilden Malven, Kornrade, Sonnenröschen und Glockenblumen. Von überall her drang das Gesumm der Insekten zu ihnen.
Gretje lag ausgestreckt auf dem Rasen. Ein wunderschöner Anblick, dachte Frerichs. Ihr Kleid war verrutscht, ihre Beine entblößt.
»Frau!«, rief Lübbe. »Was ist in dich gefahren?«, rief er vergnügt und zwinkerte. Gretje gluckste noch immer vor Lachen.
»Schon immer wusste ich, dass ihr Beiden einen tollen Humor habt. Aber das …« Sie zeigte zum Haus hin. »… hätte ich euch nie zugetraut!«
Lübbe und Frerichs wechselten einen fragenden Blick. Woraufhin Gretje einen neuen Lachanfall bekam und sich im Gras wälzte. Sie klopfte mit den Händen auf den Boden. »Setzt euch.«
Die beiden Freunde wandten sich zum Haus um. Einen Moment lang war Frerichs regelrecht schockiert, dann amüsiert und im nächsten prustete er los vor Lachen. Er hielt sich den Bauch. Lübbe neben ihm starrte ebenfalls fassungslos das Haus an. »Shit!«
Frerichs ploppte sein Bier auf und trank die Flasche bis zum letzten Tropfen aus. Er rülpste leise »Das ist Kunst!«
Lübbe, noch immer sprachlos, drehte sich zu ihm um. »Genau, das ist es. Die Farben habe ich doch gut ausgesucht, oder?«
»Das war nie und nimmer deine Absicht, Mann!«, widersprach Gretje lachend. »Grün, allein für sich, in Ordnung. Das gleiche gilt für blau. Aber zusammen? An einem Haus? Nee! Lieber Mann. So nicht!«
Frerichs war derselben Meinung. Klassisch war das nicht! Lübbe hatte ihm den Pott Farbe in die Hand gedrückt. Ohne Kommentar. Frerichs war einfach davon ausgegangen, dass er denselben Farbton hatte, wie Lübbe.
An diese Episode dachte Frerichs immer gerne zurück. An das, was folgte, nicht.
Ein Versprechen hatte ihm sein Freund Lübbe damals abgenommen. Nach dem Gespräch über Lübbes Bauchspeicheldrüsenkrebs, der nicht mehr operiert werden konnte. Frerichs erinnerte sich, als hätte es erst gestern stattgefunden. Er wusste noch, wie irritiert er nachgefragt hatte.
»Gretje wird einsam sein. Sei ihr ein guter Freund. Sie mag dich. Tu’, was ich auch tun würde, wenn du an meiner Stelle den Löffel abgeben müsstest.«
Versprechen muss man halten und das tat Frerichs seit Lübbes Tod, so wie heute.
»Al up steh, Gretje!«, rief Frerichs und betrat das Haus. Die zwei Briefe legte er auf den Küchentisch. Gretje schien ihn bereits gesehen zu haben, denn die Haustür war unverschlossen. Gretje stand in der Küche, wandte ihm aber den Rücken zu. »Moin, moin, Onno. Danke für die Post. Hast du Zeit für einen Tee?«
»Wenn du meine Gastgeberin bist immer!«, antwortete Frerichs gut gelaunt.
Mit einem strahlenden Lächeln drehte sie sich zu ihm um.
Sie trug wieder eine bunte Bluse mit Blumenmotiv. Die obersten drei Knöpfe waren offen. Ein Anblick, der sich lohnte. Frerichs genoss ihn still.
»Aber vorher bist du bitte so nett und hilfst mir bei einer Kleinigkeit, ja?« Frerichs folgte Gretje die Treppe hinauf. Wieder genoss er jede Sekunde ihres Anblicks. Im Flur drehte sie sich zu ihm um.
»Hilfst du mir beim Reißverschluss?«
Frerichs sah sie verdutzt an. Dann grinste er. »Gerne. Aber du weißt schon, dass du eine Bluse trägst, oder?«
Gretje zog die Augenbrauen hoch. »Ja, aber der Rock hat einen und außerdem ist es mal wieder Zeit!« Dem ließ sich nichts mehr hinzufügen. Ihr letztes Mal war bestimmt zwei Wochen her.
Feuchtes Grab
Nach der kleinen Auszeit bei Gretje setzte Frerichs seine Tour fort. Er hatte noch eine Menge Werbesendungen zu verteilen. Das meiste davon ging sowieso ungelesen in die Wertstofftonnen. Was für eine Verschwendung! Machte sich das denn niemand klar? Die Herstellung dieses Drecks kostete eine Unmenge an Rohstoffen und Energie. Außerdem war es eine bodenlose Sauerei, dass er den Mist auch noch verteilen musste!
»Komm Frerichs! Weg mit der miesen Laune!«, rief er sich selber zu. »Lass dir den Tag nicht verderben. Trag den Schrott aus. Dann is’ goot!«
Frerichs pfiff eine lustige Melodie, als er den Hof von Hilde Meents erreichte. Sämtliche Butzenscheiben des Fachwerkhauses waren dunkel. Das war ungewöhnlich. Hilde war eine echte Friesin. Hochbetagt endete ihre Nacht nie später als um sechs Uhr morgens. Nie hatte Frerichs sie krank oder gar mit schlechter Laune erlebt. Das unterschied sie deutlich von ihm selbst. Letzteres beschäftige ihn regelmäßig, montags und mittwochs. Das ging mit den Reklamesendungen einher.
Frerichs parkte sein Motorrad vor der Garage. Aus seiner Posttasche fischte er die Telefonrechnung, ein weiteres Kuvert und wandte sich zum Seiteneingang. Er betrachtete die ungelenken Buchstaben auf dem geblümten Umschlag. Vielleicht ein Geburtstagsgruß von der Enkelin? Aus der rechten Posttasche zog Frerichs noch eine Werbetüte hervor. Der Briefkasten war groß genug, um alle Post zu fassen. Obwohl keiner zu Hause zu sein schien, drückte Frerichs den Klingelknopf. Er war ein altmodischer Bote und überreichte die Post stets persönlich. Eine gewisse Fürsorgepflicht oblag ihm als Sheriff eben auch.
Zu Frerichs Verblüffung öffnete Hilde nicht. Frerichs klingelte nochmals. Wieder wartete er gut eine Minute. Die Zeit kam ihm wie eine Ewigkeit vor.
»Hallo Hilde, ich bin es, Onno!« Frerichs legte ein Ohr an die Tür. Doch es drang kein Laut zu ihm.
Er lenkte seine Schritte zur Rückseite des Hauses. Er hoffte auf ein Fenster, durch das er ins Haus