Elektra. Theo Brohmer

Elektra - Theo Brohmer


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bereute diese Maßnahme sofort. Der Hund konnte nichts für sein Herrchen! Das Tier wandte sich rasch ab, leckte sich über die Nase und hatte Frerichs Anwesenheit allem Anschein nach vergessen. In diesem Moment lief Frerichs zu seiner Maschine zurück. Er startete in Windeseile und brauste davon.

      Der nächste Hof auf seiner Tour gehörte den Hartwig-Lesben. Sie entstammten keiner der Familien aus Ölbenfehn, sondern waren aus Berlin zugezogen. Frerichs kannte die Gerüchte, wonach es drei Frauen sein sollten. Doch begegnet war er nie mehr als einer. Sie verließen nie gemeinsam das Haus. Denkbar war aber auch, dass es in Wahrheit nur eine einzige war. Vielleicht verkleidete sie sich, weil sie in einem Zeugenschutzprogramm lebte? Wenn sie sich mal zeigte, geschah das nie bei Tages­licht. Es gab Leute im Dorf, die sie für Vampire oder etwas ähnlich Schräges hielten. Vielleicht war da etwas dran? Vielleicht auch nicht. Frerichs interessierte sich nicht dafür. Sein Job war es, die Post auszutragen und das tat er.

      In seiner Posttasche fand sich ein Brief aus Berlin für eine der Frauen. Frerichs löste den Sicherheitsgurt, bockte sein Motorrad auf und ging den kiesbestreuten Weg bis zu dem geduckten Gebäude hin. Die Rabatten links und rechts des Wegs waren ordentlich geharkt. Die Stauden sauber geschnitten und mit Tannenzweigen winterfest gemacht. Eine der Katzen strich um seine Beine. Frerichs machte sich nicht die Mühe, sie zu streicheln. Er mochte keine Katzen. Die waren für Leute, die keinen Sinn in Erziehung sahen. Denn erziehen ließen sich die Stubentiger nicht. Ihr Wesen ließ sich nie wirklich erschließen. Ganz anders der Hund. Hunde unterwarfen sich dem Menschen. Das war in Ordnung. Das war berechenbar.

      Wie immer rührte sich nichts hinter den Fenstern. Egal wie angestrengt er die Gardinen auch anstarrte. Niemand interessierte sich für ihn. Niemand kam heraus, um zu grüßen oder ein paar Worte zu wechseln. Rasch warf er den Liebesbrief aus Berlin ein. Dann machte er sich aus dem Staub. Er ging zu seiner Maschine zurück. Wenn er ehrlich zu sich war, wollte er mit den Weibern gar nichts zu tun haben. Besser man verkehrte nicht mit ihnen. Schließlich wollte er nicht ins Gerede kommen.

      Sein Postjob war um vierzehn Uhr erledigt. Leider hatte er dann noch nicht Feierabend. Neben seinem Postbotenjob war Frerichs noch Hausmeister der städtischen Gebäude.

      Ölbenfehn war ein typisches Kleinstdorf. Mit weniger als 300 Seelen zählte es zu den bevölkerungsärmsten Dörfern Ostfrieslands. Es gab weniger erwerbstätige Erwachsene als vakante Stellen. Deshalb beschloss die Verwaltung in Wittmund, besonders befähigten Bürgern, ein breiteres Aufgabenspektrum zuzumuten, und vertraute ihnen zwei oder mehr Ämter an. Er gehörte zu dieser Gruppe.

      Frerichs war zweiundvierzig und körperlich fit. Er hatte selbst angeregt, den Postjob zu machen, weil er gerne herumfuhr und so das Dorf im Auge behielt. Sein handwerkliches Geschick qualifizierte ihn für den Hausmeisterjob. Die Arbeit war nicht schwer und wartete mit ein paar Privilegien auf, die ihm nützlich erschienen. So hatte er Zugang zu leer stehenden öffentlichen Gebäuden.

      Die Aufgabe des Postboten nahm die meiste Zeit des Tages in Anspruch. Die wenigen Verwaltungsarbeiten in der Poststelle bewältigte Frerichs in ein bis zwei Stunden täglich. Als Hausmeister arbeitete Frerichs nur etwa zwei bis fünf Stunden in der Woche, je nachdem was gerade zu tun war.

      Heute blieb zu seiner maßlosen Überraschung noch genügend Zeit Doc Bleeker aufzusuchen und sich die Wunden reinigen zu lassen.

      Anschließend fuhr Frerichs zum Gelände des stillgelegten Bauhofs. Der gute Fokko hatte ihn auf eine Idee gebracht. Er schloss die graue Stahltür des Gebäudes auf und ließ sie offenstehen, damit Licht ins Innere fiel. Elektrischen Strom gab hier keinen. Gut, das würde er ändern müssen. Es stank nach Verfall und Schimmel.

      Onno atmete ganz flach und ging weiter in die benachbarte Maschinenhalle. Hier war es hell, denn das Licht fiel durch das gläserne Dach. Statt der üblichen Metallhaut verfügte das Dach über Doppelsteg-Platten. Für seine Zwecke war das ideal. Hier würden sie ihre neue Plantage einrichten.

      Einhundert Quadratmeter Anbaufläche oder einhundert Pflanzen müssten doch genügen, um über den Winter zu kommen, oder?

      Ende eines Tages

      Pünktlich um sechs Uhr abends war sein Tagwerk erledigt. Frerichs fuhr auf seinen Hof. Regen und Wind hatten eine Menge Blätter und Eicheln herabgeweht. Die würde er zusammenkehren müssen. Aber dafür sollte die Witterung trocken sein. Dann arbeitete es sich leichter.

      In Gedanken notierte er sich den frühen Samstagmorgen. Lust dazu verspürte er nicht. Er hoffte, dass der Wind ihm in der Zwischenzeit einige Arbeit abnehmen würde.

      Frerichs schwang sich von seiner Maschine, schob sie in die Garage und verriegelte die Tür sorgfältig. Gelegenheit macht Diebe. Auch in Ostfriesland.

      Das Wohnhaus bestand aus zwei Gebäudeteilen. Nur im hinteren Teil brannte Licht hinter den Fenstern. Hier wohnte seine Schwester Anna. Bestimmt war sie bei der Vorbereitung des Abendessens. Anna war zwei Jahre älter als Frerichs. Noch zu Lebzeiten ihrer Eltern hatte sie oft gekocht und damit Mutter und Vater unterstützt, die auf dem Hof zu tun hatten. Dieser Tradition verdankte Frerichs es, dass er jeden Abend ein warmes Essen erhielt. Seine große Schwester war daran gewöhnt, ein Auge auf den Bruder zu haben. In Gesellschaft aß es sich auch netter, pflegte sie zu sagen.

      Außerdem versorgte Frerichs sie mit vertrauenswürdigen Neuigkeiten aus erster Hand. Frerichs genoss das Zusammenleben mit seiner Schwester.

      Anna teilte seine Meinung, dass jeder seine eigene Wohnung haben sollte. Selbstredend war Frerichs für seinen Wohnteil selbst verantwortlich, was ebenfalls hieß, dass er selbst für Ordnung zu sorgen hatte. Ein Vorteil, den er zu schätzen gelernt hatte. Aber es hatte lange gebraucht. Monate, ein dutzend oder so. Frerichs sah die Notwendigkeit zu waschen oft erst, wenn ihn die nahezu leeren Fächer des Kleiderschranks angähnten.

      In eine aufgeräumte Wohnung zurückzukehren war schön. Schöner war jedoch, alles dort zu finden, wo es seiner Meinung nach hingehörte. Den Kühlschrank im Wohnzimmer wollte er nicht mehr missen. Wieso das Bier in der Küche aufbewahren, wenn der kürzere Weg der Bessere war? Gut vorstellen konnte sich Frerichs auch eine Kombination aus Wohnzimmer mit integriertem Badezimmer. Da seine Füße noch ganz gut funktionierten, verzichtete Frerichs auf den Umbau.

      Er machte einen Abstecher in den Garten, den sich die Geschwister ebenfalls teilten. In großen Beeten wuchsen Kartoffeln, Möhren und allerlei Kohlsorten, alles, was sie beide gerne aßen. Anna zog Gartenkräuter und Heilpflanzen, während Frerichs, als Praktiker, in Eigenregie einen Folientunnel und zwei Gewächshäuser errichtet hatte.

      Dort wuchsen seine Lieblingsgemüse. Neben Tomaten und Chili gedieh dort auch dieses Jahr wieder Meerrettich. Es war noch immer angenehm warm im Innern. Genau das Mikroklima, das seine Gewächse benötigten. Die letzten Paradiesäpfel des Jahres verströmten noch ihren vielversprechenden Duft. Einige trugen ein wunderbares Dunkelrot. Frerichs pflückte eine Frucht, rieb die Schale an seiner Hose sauber und biss herzhaft hinein. Wunderbar süß! Er liebte Tomaten!

      Obwohl seine Schwester die Tomaten ebenfalls gerne aß, kamen diese nicht für sie auf den Tisch. Anna verabscheute den exotischen Beigeschmack, wie sie es nannte. Anfangs hatte Frerichs nicht gewusst, was sie daran störte. Erst nach und nach war er dahintergekommen, was es war.

      Da Onno Vaters Regel befolgte, wonach nie zwei gleiche Pflanzen nebeneinander wuchsen, wechselten sich die Tomaten mit einer anderen Pflanzenart ab.

      Zwischen den Paradiesäpfeln wuchsen breite, stark belaubte Büsche. Ein Unkundiger hätte sie leicht für Unkräuter halten können. Tatsächlich jätete Frerichs nicht wirklich gerne seine Gärten. Doch in seinem Reich, wo eh Platzmangel herrschte, war es nicht der Zufall, der hier waltete. Alles geschah mit Berechnung.

      Frerichs ließ eine Hand durch die mannshohen Büsche gleiten. Sie verströmten einen noch stärkeren Duft als die Tomaten. Etwas Süßlich-Herbes beinahe Wildes ging von ihnen aus. Schon nach kurzer Zeit klebte ihr Harz an seinen Händen. Frerichs strich es mit einem Messer von seiner schwieligen Haut. Anschließend formte er daraus eine kleine Kugel. Weil er seinen Korb vergessen hatte, klopfte er seine Taschen ab, fand ein Taschentuch und wickelte die Kugel darin ein. Danach pflückte er noch eine Handvoll roter,


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