Elektra. Theo Brohmer

Elektra - Theo Brohmer


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sie angewidert und schluckte sie trocken herunter. Aus schmerzhafter Erfahrung wusste er, dass die Linderung in etwa fünfzehn Minuten einsetzen und seine üble Laune halbieren würde. Die andere Hälfte würde er bis spätestens mittags Hinnerk Oldewurtel auf die Schultern geladen haben.

      Die Aussicht heute volle Erlösung zu finden, beflügelte Frerichs. Ein boshaftes Grinsen machte sich auf seinem hohlwangigen, wettergegerbten Gesicht breit.

      Frerichs war kein missgünstiger Mensch. Doch alle Regeln waren außer Kraft gesetzt, wenn es sich um Hinnerk Oldewurtel handelte. Die beiden Männer verband eine lange und tiefe Feindschaft. Oldewurtel war Schwarzbrenner. An sich hatte Frerichs nichts gegen Schwarzgebrannten. Er trank gerne und brannte sich auch seinen eigenen Schnaps. Doch Oldewurtel musste er stoppen. Der Mann stellte gefährlichen Stoff her.

      Zwei Nachbarn waren an dem Fusel schon krepiert.

      Und heute würde er in offizieller Mission an Oldewurtel herantreten müssen. Das gelbe Kuvert wies Oldewurtel als Empfänger aus. Oldewurtel, seines Zeichens Trucker war ein guter Konsument, doch ein lausiger Zahler. Unter Garantie handelte es sich bei dem gerichtlichen Schreiben um einen Mahnbescheid.

      Nichts ahnend von der nahenden Gefahr, in der er schwebte, blickte Frerichs zum Firmament hinauf. Er gab einen Stoßseufzer von sich.

      Und als sei das nicht genug, kam noch dieser trübe Tag hinzu. Frerichs stöhnte gequält auf, denn dieses Wetter reichte ihm. Einzig die Aussicht auf ein kühles Feierabendbier oder ein heißer Gewürzmet linderte seinen Ärger.

      Über ihm türmten sich graue Wolkenberge. Dramatisches bahnte sich an. Es sah ganz danach aus, als wolle der Himmel heute noch seine Schleusen öffnen. Und lange würde das Spektakel sicher nicht mehr auf sich warten lassen.

      Dem Wetterbericht hatte er keinen Glauben geschenkt. Zu oft irrten sich für seinen Geschmack die Wetterfrösche in letzter Zeit. Nun, für heute standen ihre Chancen gut, dass sie mit ihren Unkenrufen Recht behalten könnten, dachte er grimmig.

      Er zog seine Baseballkappe tiefer in die Stirn und schlug den Kragen seiner dünnen gelb-blauen Jacke hoch. Ärger wallte in ihm auf, den er jedoch rasch niedermachte. Er dachte an das Bier in seiner Garage und an ein großes Pilz-Omelett, das er heute Abend vertilgen würde.

      Vor seinem geistigen Auge entstand das Bild einer frischen Kiste Jever im Dämmerlicht seiner Garage. Sie stand dort inmitten von Gartenstühlen, einem halb verrosteten Grill und allerhand Kleinigkeiten, die entweder noch auf ihre Reparatur warteten oder deren letzte Bestimmung noch nicht geklärt war. Doch es war immer dasselbe: Der passende Moment zur Instandsetzung wollte sich einfach nicht ergeben! Irgendetwas kam halt immer dazwischen! Wenn er mal Zeit und Muße fand, ereignete sich immer irgendeine Katastrophe und es war an ihm, die Kastanien aus dem Feuer zu holen, meistens für einen der Klookschieter aus der Gemeindeverwaltung in Wittmund.

      Der heutige Abend versprach tollen Fußball. Das Erste übertrug die Begegnung St. Pauli gegen den HSV. Eine gute Gelegenheit, ein paar Fläschchen zu kippen, freute sich Frerichs. Der Gedanke an einen ordentlichen Rausch beflügelte und hob seine Laune noch einmal um ein paar Grad.

      Onno Frerichs startete seine gelbe BMW C1. Das Gewicht der Seitentaschen ausbalancierend, löste er mit dem Fuß den Ständer und gab Gas.

      Trotz der frühen Tageszeit und der Mühsal, die ihm das Aufstehen jeden Morgen bereitete, liebte er diese Landschaft. Er schaute über die Straße hinweg. Sein Blick fing sich in tausenden winzigen Reflexionen. Die Wasseroberfläche des Fehnkanals glitzerte voller Magie und Schönheit.

      Ringsum war alles ruhig. Frerichs setzte den Blinker rechts und lenkte seine Maschine vom Posthof auf das breite Band der Bundesstraße.

      Wie aus dem Nichts war das Geschoss herangekommen. Es näherte sich mit halsbrecherischem Tempo von links. Genau auf ihn zu! Alle Gedanken zerplatzten wie Seifenblasen.

      Es war ihm schon fürchterlich nah, ein Zusammenprall schien unausweichlich. Seine eigene Geschwindigkeit war längst nicht hoch genug, um ihn sicher aus der Gefahrenzone herauszubringen.

      Seine rechte Hand reagierte im Bruchteil einer Sekunde. Eine Drehung des Handgelenks und der Motor der Maschine heulte auf. Die C1 scheute, wie es ein Mustang tut, wenn er eine Schlange zu seinen Füßen erblickt. Einen Augenblick lang stand das Postmotorrad wie eingefroren auf dem Hinterrad.

      Ein Blick seitwärts. Anfangs ein verwischter rubinroter Fleck. Nach und nach fügten sich die Formen zu einem Ganzen und Frerichs erkannte den Fahrzeugtyp. Es handelte sich um einen SUV edler Abstammung. Ein seltenes Modell aus dem Silicon Valley. Im Dorf hatte bestimmt noch niemand einen solchen Schlitten gesehen. Geschweige denn gewusst, dass sie die Existenz ihrer geliebten Smartphones einem genialen Erfinder, gleichen Namens verdankten.

      Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen Tesla, ein X-Modell. Das Tückische an diesen Fahrzeugen war ihr Sound. Es gab praktisch keinen, von dem Abrollgeräusch der Reifen auf dem Asphalt einmal abgesehen, denn der Motor wurde elektrisch betrieben.

      Frerichs erschrak wegen der Situation und der Position, in der er und seine Maschine sich befanden. »Wheelies« vermied er seit Langem. Denn er war den Zwanzigern längst entwachsen, musste sich und den Ladies nichts mehr beweisen. Bei dem Anblick des Vorderrades, das auf gleicher Höhe war, wie sein Kopf, wurde ihm mulmig zumute. So geschah, was geschehen musste: Er verlor das Gleichgewicht und kippte mit seiner Maschine auf die Seite.

      Hart krachte er auf den Asphalt. Seine BMW begrub ihn unter sich. Aus einem Reflex heraus, versuchte Onno, sich noch mit den Händen abzufangen. Doch das misslang gründlich. Er zog sich Abschürfungen an der Hüfte und den Händen zu.

      Wenn er Handschuhe getragen hätte, wäre er sicherlich mit weniger Verletzungen davongekommen.

      Dank des Adrenalins in seinem Körper nahm Frerichs die Schmerzen kaum wahr. Nur am Rande seines Bewusstseins registrierte er das rohe Fleisch seiner Handballen.

      Ein nervenzerfetzendes Jaulen zerriss die Stille. Niemals zuvor hatte Frerichs dergleichen gehört. Das Geräusch entstand, als die Bremsklötze mit plötzlicher und unerwarteter Heftigkeit in die Keramik-Bremsscheiben bissen und so den Sportwagen in ein Geschoss verwandelten.

      Der Tesla vollführte ein eigentümliches Ballett. Nach rechts und links swingend, tanzte er über die Straße. Dabei malte er schwarze Schlangenlinien auf den Asphalt, die Onno an Mirò denken ließen. Wie durch ein Wunder verfehlte der Wagen das Post-Motorrad.

      Frerichs stemmte seine C1 hoch und kroch darunter hervor. Er robbte zum Straßenrand, musste erst einmal verschnaufen.

      Sein Schmerzzentrum feuerte wild. Den Hilfeschrei sandte sein blankes Fleisch aus. Rollsplitt und Dreck hatten sich hineingefressen, ließen es glühen. Doch nicht einmal die Hälfte der Impulse erreichte ihn. Gott Ibu sei Dank!

      Frerichs brüllte wütend: »Di sall de Kuckuck halen!«

      Der Tesla entfernte sich weiter und weiter. Nicht mehr lange und er würde verschwinden.

      Verdoomt noch mal! Frerichs verfluchte die Schwerfälligkeit seines Körpers. He denkt wat langsaam, murmelte er vor sich hin.

      Gefühlt mochten Minuten vergangen sein. In Wahrheit waren es sicherlich nur Bruchteile von Sekunden. Mühsam zog er sich in die Aufrechte. Abscheuliche Qualen schüttelten seinen Körper. Doch Frerichs hielt an seinem Plan fest. Er musste die Verfolgung aufnehmen! Auch wenn er gerne anders entschieden hätte. Die Stimme in seinem Kopf verlangte es.

      Ungelenk kam er auf die Füße. Mit schlurfenden Schritten bewegte er sich auf seine Maschine zu. Bestimmt glich er einem der Zombies, denen man in den Filmen des Spätprogramms manchmal begegnete, wenn man es nicht rechtzeitig in die Federn schaffte. Gottlob fehlte es an Zeugen und so würde diese filmreife Szene der Nachwelt nicht überliefert werden. Niemals sollte ihm freiwillig ein Sterbenswörtchen dieser Schmach über seine Lippen kommen, schwor er sich. Lieber würde er sich die Zunge abbeißen.

      Es bedurfte aller Willensanstrengung, die er zu mobilisieren fähig war und drei Versuchen, bis es ihm endlich gelang, das Motorrad aufzurichten. Mit kaputten Händen war das ein fürchterlich


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