Elektra. Theo Brohmer

Elektra - Theo Brohmer


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daneben gelegen. Er glaubte, dass seine Schwester Anna genauso handeln würde.

      Ein Gedanke alarmierte Frerichs. Er richtete sich auf. Er musste noch vor dem Eintreffen der Polizei, den Unfallort absichern!

      Frerichs hastete zur Straße zurück. Aus dem Kofferraum seiner C1, so nannte er den Kasten am Heck seiner Maschine, entnahm er rot-weißes Absperrband. Das führte er immer mit sich, schadete ja nichts. Er eilte zum Wrack zurück, knotete das Band in Bauchhöhe an den umstehenden Baumstämmen fest und sicherte dadurch einen Radius von etwa zwanzig Metern um das Unglücksfahrzeug herum. Frerichs stapfte zur Straße zurück. Dann begann wieder das Warten.

      »Sie schicken einen Wagen!«, informierte ihn Bleeker lakonisch mit einem Blick auf seine Seiko Uhr. »Eine halbe Stunde. Dann sind die da.«

      Frerichs nickte stumm anstelle einer Antwort. Dieses tatenlose Rumstehen ging ihm auf den Keks.

      Auf der Suche nach einer Packung Tabak klopfte er seine Taschen ab. Zu seiner maßlosen Überraschung fand er in seiner Windjacke noch eine alte Schachtel Camel. Es war schon Urzeiten her, dass er filterlose Zigaretten geraucht hatte.

      Wie alt mochten die Zichten sein? Vorsichtig befühlte er den Inhalt. Wenn er Glück hatte, war noch eine drin. Er hatte doppeltes Glück. Frerichs schüttelte eine heraus und betrachtete sie von allen Seiten.

      »Das ist meine«, befand Bleeker und entwand ihm geschickt die krumme Zigarette. Frerichs sah ihr enttäuscht nach. Doch er besann sich eines Besseren und ließ diesen gemeinen Mundraub ungesühnt. Wenn der gute Bleeker sich für die Kostprobe opfern wollte, würde er ihm nicht im Wege stehen. Schließlich war es nicht auszuschließen, dass Doc schlecht wurde.

      Bleeker steckte sie sich in den Mundwinkel. Krumm und schief, einem Tentakel nicht unähnlich, ragte sie aus seinem Gesicht. Der Anblick trieb Frerichs die Lachtränen in die Augen. Doch er zwinkerte sie fort, bemühte sich um Contenance. Aus einer Beintasche seiner Jeans förderte er ein Zippo zutage.

      Dieses besondere Benzinfeuerzeug symbolisierte den American Way of Life, jedenfalls für alle Raucher, die sich ein stabiles Feuerzeug wünschten.

      Es machte das typische, metallische KLONG, als er den Deckel mit dem Daumen öffnete und ein RITSCH, als das Rädchen in Bewegung gesetzt wurde, das über den Feuerstein fuhr und den Funken erzeugte. Die Flamme zitterte, ein Hauch von Benzin in der Luft hinterlassend.

      Bleeker bewegte seinen Kopf auf Frerichs zu. Die Augen zu Schlitzen verengt, die Lippen fest zusammengepresst. Er tauchte die Camel in die Flamme ein. Als sie aufglomm, zog er den Kopf zurück. Der Doktor sog den Rauch tief ein.

      Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, dachte Frerichs und ließ den Arzt nicht aus den Augen. Mit einem wohligen Seufzen entließ Bleeker den Rauch aus seinen Nasenlöchern.

      »Schmeckt sie noch?«, erkundigte sich Frerichs scheinheilig.

      Er rechnete fest mit dem Gegenteil und zählte im Stillen die verbleibende Zeit: »Fünf, vier …« In drei Sekunden wäre es soweit! Die Tränen würden ihm wie die Niagara-Fälle aus den Augen schießen! »Drei, zwei, eins!« Doch mit einem Mal beschlichen Onno Gewissensbisse.

      Den guten Doc so zu täuschen war eine überaus verabscheuungswürdige und schändliche Tat! Dafür würde er in der Hölle schmoren! Sein Wunsch nach Schadenfreude gehörte sich für einen Christen nicht! Um jeden Preis musste er diese Tat vor seiner Schwester Anna geheim halten. Was dachte er sich überhaupt?

      Überraschend schüttelte Bleeker den Kopf. »Sie schmeckt genau richtig. So muss eine Filterlose sein!«, entgegnete er.

      Dexel noch to! Hoffentlich ist mir mein Erstaunen nicht anzusehen, dachte Frerichs. Er konnte sich nicht gegen die Bilderflut wehren. Sein Verstand spulte ein ums andere Mal eine kurze Sequenz ab: Bleeker, wie er sich hustend und keuchend auf dem Asphalt wand.

      Und als sei eine nicht genug, fragte der Kerl auch noch nach einer weiteren Zigarette. Doch Frerichs verneinte. »Die gehört mir«, entgegnete er brüsk und schüttelte die letzte Camel aus der zerknitterten Verpackung. Die letzte Zigarette kam genauso erbärmlich daher wie die erste.

      »Wie sieht es mit einem Mobilkran aus? Müssen wir den organisieren oder macht das die Polizei aus Wittmund?«

      »Hm, ist eine berechtigte Frage«, antwortete Bleeker. »Weiß ich ehrlich gesagt nicht.« Grübelnd rieb er sich das Kinn. »Das haben wir nicht besprochen. Ich frage noch einmal nach.« Damit zog er sein Mobiltelefon aus der Tasche und telefonierte.

      Frerichs steckte sich seine Zigarette an. Das strenge Aroma der türkischen Tabakmischung entfaltete sich in Mund und Hals. Wie der Doc gesagt hatte, schmeckte die Camel gut. Außerordentlich sogar, dachte Frerichs. Da hatte der Doktor einmal nicht übertrieben! Wirklich erstaunlich!

      Frerichs hatte anfangs keine gute Meinung von Martin Bleeker gehabt. Dem Arzt hing etwas Arrogantes an. Wahrscheinlich ein Vorurteil, weil er aus einer Metropole stammte.

      Kameradschaft war eine neue Eigenschaft an Bleeker. So kannte man den Mediziner nicht. Er war ein schwer einzuschätzender Mensch. Er ließ niemanden an sich heran, zeigte nicht den Zipfel eines Gefühls. Auch Frerichs, der ihn regelmäßig sah, war noch nicht richtig mit ihm warm geworden. In all den Jahren hatte Frerichs ihn erst ein Mal im Moorblick gesehen. Er schien weder Bier noch Wein zu mögen. Oder er trank nicht in der Öffentlichkeit? Er war der einsame Wolf, der keinen Anschluss im Rudel suchte.

      Plötzlich kamen seine Gedanken ins Stocken. Widerstand regte sich. Frerichs glaubte zu fühlen, wie sich sämtliche Flimmerhärchen in seinen Atemwegen aufrichteten. Im gleichen Augenblick begann das Kratzen in seinem Hals. Es wollte gar nicht mehr aufhören.

      Frerichs stemmte sich dagegen. Doch es wollte aus ihm heraus. Ob es ihm passte oder nicht. Er begann zu schlucken, dann zu keuchen. Doch es nützte nichts. Er würde husten, vielleicht sogar kotzen müssen. Also exakt das, was er Doc Bleeker gewünscht hatte.

      Der Arzt tat, als sähe er nicht, was in Frerichs gerade vor sich ging. Er sprach mit der Leitstelle in Wittmund, schien ganz auf das Gespräch konzentriert.

      Frerichs drehte sich von ihm weg und hustete den vermaledeiten Rauch aus. Er würgte und spie Rotz und Wasser aus. Seine Lungen brannten. Eine Ewigkeit mochte sein Kampf dauern. Dann endlich war es vorbei und er zertrat die Camel wütend auf dem Asphalt.

      »Hättest sie mich rauchen lassen sollen. Ich bin an das Gift gewöhnt«, höhnte Doc. Doch zu Frerichs maßloser Überraschung legte dieser ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter. »Aber lass mal. Heute ist nicht dein Tag.«

      Frerichs nahm einen kleinen Schluck aus seiner Wasserflasche. Er nickte stumm.

      Auf der Straße stoppte ein Polizeiwagen hinter Bleekers Opel. Zwei uniformierte Beamte stiegen aus. Frerichs und Doc Bleeker gingen den Polizisten entgegen. Man begrüßte sich und tauschte Höflichkeiten aus.

      »Onno Frerichs! Ich habe den Wagen gefunden.«

      Einer der Beamten, er hatte sich mit Peter Wybrands vorgestellt, winkte Onno zu sich. »Haben sie den Tatort betreten?« Der Beamte war ein sympathisch aussehender Mann und trug den obligatorischen Oberlippenbart sauber gestutzt.

      »Tatort?«, echote Frerichs. »Heißt es auch bei einem Unfall ›Tatort‹?«, fragte er. Der Polizist bedachte ihn mit einem verständnislosen Blick. »Sind Sie denn sicher, dass es ein Unfall war?«

      Frerichs winkte ihn zu sich. »Kommen sie. Ich zeige Ihnen, was ich gefunden habe.«

      Vor dem abgeknickten Verkehrsschild blieb er stehen. »Sehen Sie? Hier ist der Wagen der jungen Leute von der Straße abgekommen. Ihr Wagen flog durch die Luft und krachte in das Wäldchen.«

      Wybrands wandte den Kopf in Onnos Blickrichtung, hockte sich vor das Schild und peilte die imaginäre Flugbahn an, genauso wie Onno es zuvor gemacht hatte.

      Wybransds wiegte den Kopf, sagte jedoch nichts. »Dann müssten die aber ganz schön schnell gewesen sein!«, gab er zu bedenken. Frerichs gab ihm Recht.

      »Na, dann erzählen Sie mal,


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