Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
Herr stieg aus.
»Ich wünsche dir viel Glück, Prinzessin«, sagte er, winkte ihr zu. Der Aufzug fuhr wieder los.
»Mami, die Leute sind hier richtig nett«, stellte Leonie fest. »Was für ein Glück, dass wir nach Deutschland gezogen sind.«
Gerda konnte die enthusiastische Freude ihrer Tochter nicht teilen. Aber sie bemühte sich wenigstens, deren Aussage ein wenig halbherzig zu bestätigen.
War es wirklich ein Glück, dass sie hergezogen waren?
Sie durfte sich nicht fertig machen, wahrscheinlich war es alles ohne Bedeutung. Sie war nur irritiert, weil es das erste Mal war, dass sie eine eigene Wohnung, sogar ein Haus, hatten, das sie nach eigenen Wünschen gestalten konnten. Und das konnte einen schon ganz schön überfordern.
Endlich waren sie oben angekommen.
Als sie aus dem Aufzug ausstiegen, waren sie von der Vielfalt des Angebots erst einmal erschlagen. Damit hatten sie nicht gerechnet, und Leonie begann quietschend von einer Ecke zur nächsten zu laufen.
Gerda folgte ihr langsam, blieb hier und da stehen. Es waren hübsche Sachen darunter, aber Leonie äußerte sich nicht. Nach einer Weile kehrte sie zu ihrer Mutter zurück.
»Mami, es ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe«, sagte sie und konnte nur mühsam Tränen der Enttäuschung zurückhalten.
Damit hatte Gerda nicht gerechnet. Sie hatte keine Ahnung, was Leonie sich vorgestellt hatte, aber in dem riesigen Angebot musste doch etwas zu finden sein. Es war für jeden Geschmack etwas dabei.
Gerda wies auf ein sehr hübsches Zimmer, vor dem sie gerade standen. Es war in einem hübschen Elfenbeinton gehalten.
»Sieh mal, Leonie, wie findest du das?«, erkundigte sie sich.
Leonie schüttelte den Kopf so heftig, dass die Locken nur so flogen.
»Doof«, sagte Leonie, und Gerda entschloss sich, überhaupt nichts mehr zu sagen.
Aber was wollte Leonie, deren Freude weg war, sie blickte nur noch enttäuscht und missmutig drein, was Gerda an ihrer Tochter eigentlich nicht kannte.
Eine Verkäuferin kam vorbei, und die hielt Gerda fest. Vielleicht wusste die Frau ja, wie man etwas aus Leonie herausbekommen konnte.
»Entschuldigen Sie bitte, wir suchen für meine Tochter eine Zimmereinrichtung«, sagte Gerda, »und ihr scheint nichts zu gefallen. Vielleicht haben Sie ja eine Idee.«
Die Verkäuferin hörte nur Zimmer, und sofort bekam sie glänzende Augen, denn das bedeutete einen Bonus, den man für jedes verkaufte Zimmer bekam.
Meistens kauften die Leute Einzelteile, und heute war überhaupt noch nichts gelaufen. Sie hatte gerade mal einen Stuhl und eine Spielzeugkiste an den Mann gebracht.
»Ich zeige Ihnen gern unsere Highlights«, sagte die Verkäuferin beflissen.
Sofort begann sie Gerda und Leonie herumzuführen, doch je länger sie unterwegs waren, umso missmutiger wurde Leonie.
Die Frau führte sie schließlich zu einem Zimmer, das man an einem besonders schönen Platz aufgebaut hatte.
»Das ist unser neuestes Modell«, sagte sie stolz, »es war auf der Messe und hat sogar einen Preis bekommen.«
Es war nett, aber Leonie warf kaum einen Blick auf die angepriesenen Möbel.
»Es gefällt dir nicht?«, erkundigte die Verkäuferin sich beinahe verzweifelt.
»Es ist so was von grässlich«, stieß Leonie hervor, dann wandte sie sich ab.
Gerda erkannte ihre Tochter nicht wieder, und die Verkäuferin schien mit ihrem Latein am Ende. Sie hatte sich doch so sehr bemüht, und welche schöne Sachen hatte sie diesem jungen Ding gezeigt.
Die Verkäuferin war geschafft. »Ja, dann weiß ich wirklich nicht, was Ihre Tochter eigentlich möchte. Ich habe ihr das Schönste gezeigt, was es derzeit auf dem Markt gibt, und andere Mädchen wären überglücklich gewesen, so etwas Tolles zu bekommen.«
Es war Gerda beinahe schon peinlich. Aber Leonie blieb unbeirrt. Sie schien wirklich eine ganz feste Vorstellung von dem zu haben, was sie sich wünschte.
Nur, was war es?
Leonie gesellte sich wieder zu den zwei Frauen.
»Was ist hinter dem Vorhang dort?«, wollte sie wissen. »Gibt es da auch Möbel?«
»Ja, die gibt es in der Tat dort«, bestätigte die Verkäuferin.
»Doch das sind welche, die wir nicht in unser Programm genommen haben. Es handelt sich dabei um eine Sonderanfertigung, von der wir uns eine Menge versprochen hatten, doch alles war zu teuer, um es in Produktion gehen zu lassen. Außerdem entspricht das alles wohl nicht dem allgemeinen Geschmack.«
»Was ist es denn? Darf ich es mal sehen?«, erkundigte Leonie sich mit neu erwachtem Interesse.
Die Verkäuferin warf Leonie einen zweifelnden Blick zu. Das junge Ding hatte bislang alles abgelehnt, was sollte das jetzt bringen. Sie war sauer, weil sie sich schnell ein gutes Geschäft versprochen hatte.
»Ich glaube nicht, dass es dir gefallen wird. Es ist etwas, was derzeit im Trend liegt, nämlich neuen Möbeln einen ollen Touch zu verleihen. Das muss man mögen, und ich weiß nicht …«
Die Verkäuferin wurde sofort von Leonie unterbrochen. Sie bekam glänzende Augen. »Meinen Sie den Shabby-Chic?«
Verwundert blickte die Verkäuferin Leonie an.
»Woher weißt du das?«, wollte sie wissen.
Gerda mischte sich in das Gespräch.
»Wir haben zuletzt in Schottland gelebt, und es gab ein ganzes Buch über Shabby. Das haben wir gesehen, in Schottland gibt es solche Möbel schon länger. Auf jeden Fall hat das meiner Tochter gefallen.«
»Bitte, lassen Sie mich die Möbel sehen«, rief Leonie ganz aufgeregt.
Die Verkäuferin zuckte die Achseln. Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an, aber sie war sich sicher, dass es nichts bringen würde. Dieses Mädchen war ja so schwierig. Also, wenn es ihre Tochter wäre …
Sie ging auf den Vorhang zu, zog ihn lustlos zurück, trat beiseite.
Leonie schob sich an ihr vorbei.
Vorbei war es mit ihrer schlechten Laune.
»Mami, das ist es!, rief sie begeistert, »genauso habe ich es mir vorgestellt. Oh, Mami, sieh nur, wie wunderschön alles ist. Darf ich es haben?«
Die Verkäuferin blickte ein wenig konsterniert, weil sie damit nicht gerechnet hatte.
Es war ein komplett eingerichtetes Zimmer, das ungefähr die Größe hatte wie der Raum, den Leonie sich im Sonnenwinkel ausgesucht hatte. Und die Möbel waren wirklich etwas ganz Besonderes. Man sah sofort, dass sie von höchster Qualität waren. Sie waren auf shabby gemacht, ganz wie es im Trend lag, doch wie es gemacht worden war, verriet höchste handwerkliche Kunst. Und die sehr dezente graublaue Farbe verlieh allem eine ganz spezielle Note. Es war sofort zu sehen, dass das alles hier nicht dem allgemeinen Geschmack entsprach, sondern dass es etwas für Menschen war, die das Besondere liebten.
Gerda konnte nicht fassen, dass ihre Tochter sich dafür so sehr begeisterte. Sie war außer sich, und die Verkäuferin wurde wieder sehr viel freundlicher, weil es jetzt doch noch zu einem Geschäft zu kommen schien. Und was für ein Geschäft. Für den Verkauf dieser Möbel gab es einen Sonderbonus, aber die Frau war sich nicht sicher, ob die Begeisterung sich nicht sofort wieder legen würde, wenn die Frau und das Mädchen den Preis hörten.
Aber der schien sie erst einmal nicht zu interessieren, dabei sahen die beiden nicht so aus, als brauchten sie nur eine Schublade aufzumachen, um das Geld bündelweise daraus hervorzuholen.
Leonie ging andächtig von Möbelstück zu Möbelstück, strich hier und da über das Holz, betrachtete