Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
lächelte ihn aufmunternd an.
»Ich weiß, mein Liebling. Aber ich bin an deiner Seite, und gemeinsam schaffen wir es. Da bin ich mir ganz sicher. Bitte entspann dich jetzt und lass uns weiterfahren. Ich habe nämlich eine unbändige Lust auf einen starken schwarzen Kaffee.«
Er nickte.
»Du hast recht«, sagte er, »fahren wir …, weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?«
Sie blickte ihn an, ehe sie losfuhr.
»Das weiß ich, mein Liebster, und das ist ein ganz großes Geschenk.«
So empfand sie es wirklich, sie hätte niemals für möglich gehalten, nach dem Tod ihres ersten Mannes noch einmal einen Partner wie ihn zu finden. Sie hatte ihn gefunden, und was für einen Mann! Er war das späte Glück ihres Lebens geworden.
Und sie waren so glücklich miteinander, und so sollte es auch bleiben.
Sie hatten eine zweite Chance bekommen. Carlo war am Herzen operiert, er war in seinen Aktivitäten deutlich eingeschränkt, aber er lebte, und sie konnten noch viele wunderbare Jahre miteinander verbringen, und was dabei ganz besonders zählte, das war das Miteinander. Zusammen waren jeder Tag, jede Stunde, jede Minute, ja, sogar jede Sekunde ein Geschenk. Das war Marianne so richtig bewusst geworden, als es bei ihrem Carlo um Leben und Tod gegangen war.
Sie mussten nicht mehr lange fahren, da kamen sie vor dem prächtigen Anwesen an, über dem stolz die Überreste der Felsenburg standen. Die Felsenburg wirkte noch immer imposant und geheimnisumwoben. Doch sie war auch ein deutliches, ein mahnendes Zeichen dafür, wie vergänglich doch alles war, auch scheinbar unzerstörbare Mauern.
Bei der Dependance war kein Auto zu sehen. Wahrscheinlich war Felix noch in der Firma, und Sandra war mit Manuel und den Zwillingen unterwegs.
Auch gut, da konnten sie in aller Ruhe erst einmal ankommen.
Marianne machte sich nicht die Mühe, beim Herrenhaus in die Garage zu fahren, sondern sie hielt unmittelbar neben dem schönen, schweren Eingangsportal.
So groß, so imposant hatte sie das Haus überhaupt nicht in Erinnerung gehabt.
Sie stieg aus, Carlo schaffte es allein aus dem Auto. Das Gepäck würde später jemand vom Personal aus dem Wagen holen und ins Haus bringen.
Nebeneinander gingen sie auf die Haustür zu, als die von innen geöffnet wurde.
Fanny, das Mädchen, begann zu strahlen.
»Gnädige Frau, Herr Heimberg«, rief sie, »herzlich willkommen wieder daheim. Warum haben Sie uns nicht von Ihrem Kommen unterrichtet? Wir hätten etwas vorbereitet.«
»Fanny, alles ist gut, und wenn Sie uns eine Freude machen möchten, mein Mann und ich würden uns über einen Kaffee sehr freuen.«
»Nichts lieber als das«, versprach Fanny sofort, »darf es auch etwas von dem Zitronenkuchen sein, den Sie beide so gern mögen? Wir haben ihn heute frisch gebacken.«
Es durfte auch der Zitronenkuchen sein. Fanny war wirklich ein ausgesprochen netter Mensch, immer freundlich, immer zuvorkommend, nie aufdringlich.
Sie gingen zusammen in den Biedermeier-Salon, der nicht ganz so groß war wie die übrigen Räume, und der vor allem durch die hübschen Möbel sehr anheimelnd wirkte. Marianne hielt sich hier gern auf. Es war, ehrlich gesagt, ihr Lieblingszimmer, sah man mal von der Wohndiele ab mit dem großen Kamin.
Aber einen richtigen Zugang hatte sie zum Herrenhaus niemals gefunden, und beinahe schämte sie sich schon dafür, dass sie nicht so beeindruckt war wie die Besucher, die herkamen und aus dem Stauen nicht herauskamen.
Sie musste sich und anderen Menschen nichts beweisen, und vielleicht lag ihr gestörtes Verhältnis zu diesem Haus, zu dem gesamten Anwesen, auch daran, dass sie und Sandra nie geduldet waren. Ihr Schwiegervater hatte seinen einzigen Sohn verstoßen, weil der es gewagt hatte, eine Bürgerliche zu heiraten. Und es hatte ihn auch niemals interessiert, dass er eine Enkelin hatte.
Es war nicht damit zu rechnen gewesen, dass ihr Schwiegervater Sandra und ihr das gesamte Anwesen vermacht hatte, und das konnte nur daran liegen, dass es sonst keinen Erben gab oder dass er vor seinem Ende noch so etwas wie ein schlechtes Gewissen bekommen hatte.
Das würden sie niemals mehr herausfinden, denn es gab nur ein förmliches, total unpersönliches Testament.
Warum musste sie gerade jetzt daran denken?
Und warum hatte sie ausgerechnet heute eine solche Distanz zu allem?
Weil so viel geschehen war, weil ihr so vieles bewusst geworden war?
Carlo setzte sich in einen Sessel, Marianne setzte sich neben ihn, ergriff seine Hand: »Du kannst dich gleich hinlegen, mein Schatz. Oder soll dir Fanny deinen Kaffee nach oben bringen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Danke, es geht schon. Aber was ist los mit dir, meine Liebe? Du wirkst nicht gerade glücklich, dabei sind wir doch unbeschadet hier angekommen, und gleich gibt es sogar den leckeren Zitronenkuchen.«
»Es ist das Herrenhaus«, sagte Marianne. »Es kam mir noch nie so groß, so unpersönlich und so kalt vor. Man verliert sich in diesen dicken Mauern.«
Carlo Heimberg blickte seine Frau ein wenig überrascht an. Er wusste schon, dass der Erlenhof nicht unbedingt ihre große Liebe war. Aber so hatte Marianne noch nie über das Anwesen gesprochen, zumindest nicht in seiner Gegenwart.
Fanny brachte den Kaffee und den Zitronenkuchen, zog sich diskret zurück.
Marianne trank einen Schluck. Ja, der Kaffee tat ausgesprochen gut.
Bedächtig stellte sie das hauchfeine Porzellan zurück, dann wandte sie sich an ihren Mann.
»Carlo, wir haben so vieles zu bedenken, wie es mit unserem Leben weitergehen soll.«
Sie blickte ihn ernsthaft an.
»Carlo, siehst du unsere Zukunft hier im Herrenhaus?«, wollte sie wissen.
Jetzt war er überrascht.
Marianne hatte hier und da schon einmal geschimpft, aber irgendwo hatte er doch immer das Gefühl gehabt, dass sie sich als Herrin dieses Anwesens doch recht wohlfühlte.
Richtig gesprochen hatten sie darüber niemals, weil er so häufig weg gewesen war, und wenn er dann daheim war, dann hatten sie wahrhaftig anderes zu tun gehabt, als sich über Häuser zu unterhalten.
»Marianne, du weißt, dass ich schon mal die Idee hatte, mit dir in ein lichtdurchflutetes komfortables Penthouse zu ziehen. Was du wirklich davon hältst, das ist mir niemals klar geworden. Ich muss hier nicht bleiben. Doch hängst du nicht an allem hier?«
Sie trank erneut etwas von ihrem köstlichen Kaffee, ehe sie antwortete: »Carlo, ich habe zu alldem hier keinen wirklichen Bezug. Es ist geerbt, mein Schwiegervater wollte uns zu seinen Lebzeiten niemals hier haben. Gut, es ist sehr angenehm, Sandra, die Kinder und meinen Schwiegersohn gleich nebenan zu haben. Aber das ist kein Kriterium, um hier oben unbedingt zu bleiben. Lass uns doch mal darüber nachdenken, was man mit dem Herrenhaus machen könnte. Es ist so groß, es gibt so viele Zimmer, man könnte es sogar zu einem Hotel umbauen, die Lage ist fantastisch.«
Er antwortete nicht sofort.
»Liebling, jetzt bist du als Architekt gefragt. Du hast den Sonnenwinkel geschaffen, da wird dir doch zu dem hier ebenfalls etwas einfallen, oder?«
Er lächelte sie an.
»Danke, dass du meine Fähigkeiten so hoch einschätzt, nun, einfallen wird mir etwas. Aber bedenke bitte, dass Sandra und Familie nebenan wohnen. Vielleicht wollen die das Herrenhaus haben, und vielleicht stört es sie auch, wenn gleich nebenan Fremde wohnen oder gar Hotelgäste sich tummeln.«
»Carlo, ich habe schon mal mit Sandra darüber gesprochen. Sie will auf keinen Fall ins Herrenhaus ziehen, was durchaus verständlich ist, Felix hat die Dependance für viel Geld zu dem machen lassen, was sie jetzt