Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
merkte. Für mich war alles, was ich tat, richtig, und ich war vermessen genug zu glauben, dass es für Kinder ausreicht, wenn sie ordentlich versorgt werden …, es soll keine Entschuldigung sein, aber ich wäre als Kind glücklich gewesen, wenn man mich gut versorgt hätte. Wenn ich daran denke …«
Ihre Stimme versagte, und sie streichelte wieder Beauty, die es sichtlich genoss, um sich ein wenig zu sammeln. Als sie sich aufrichtete, klang ihre Stimme wieder normal.
»Es sind olle Kamellen, vergesst es. Noch mal zu dir, Ricky, ich kann nur sagen … Hut ab.«
Die Worte ihrer Schwiegermutter freuten Ricky, aber sie musste noch an das denken, was Rosmarie sonst noch preisgegeben hatte.
Wahrscheinlich war es wirklich so, dass ein jeder Mensch nur das geben konnte, was ihm selbst mitgegeben worden war. Und das schien bei Rosmarie herzlich wenig gewesen zu sein.
Es war schon merkwürdig. Sie war nun schon so viele Jahre mit Fabian verheiratet, war hier und da mit den Schwiegereltern zusammengetroffen, doch so ehrlich wie heute hatte sie Rosmarie noch nie erlebt, nicht einmal ansatzweise.
Sie sah sie plötzlich in einem anderen Licht, und sie war fest entschlossen, Fabian zu bewegen, sein Verhalten seiner Mutter gegenüber grundsätzlich zu überdenken, und sie würde auch versuchen, offener mit Rosmarie umzugehen.
Welch ein Glück sie doch hatte, in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen zu sein. So konnte sie all ihre Liebe auch vorbehaltlos an ihren Mann und ihre Kinder weitergeben.
Das war ein großes Privileg!
Und Liebe und Geborgenheit brachten Sicherheit und waren für Kinder ein Geschenk fürs Leben. Es war etwas, was mehr zählte als alles andere auf der Welt.
Ricky war bisher ohne einen Studienabschluss durchs Leben gekommen, und das würde auch weiterhin keine Rolle spielen. Sie konnte so viel mehr geben als Kenntnisse in Deutsch und Biologie. Sie konnte Liebe geben, die Vertrauen schaffte. Und wer Vertrauen hatte, besaß auch das nötige Selbstbewusstsein, um durch alle Stürme des Lebens zu kommen.
Sie und Fabian tauschten einen Blick, und der sagte mehr als tausend Worte es vermocht hätten. Und weil sie so sehr von diesem unglaublichen Gefühl umhüllt wurden, fand Fabian sogar ein paar versöhnliche Worte für seine Mutter.
Welch ein Tag!
Zuerst der nicht stattgefundene Verkauf ihres Hauses!
Dann ihr Entschluss, nicht mehr studieren zu wollen!
Und Fabian und seine Mutter gingen ganz vorsichtig aufeinander zu.
Ricky wusste schon jetzt, was sie heute noch mit ihrem Fabian tun würde: Sie würde mit ihm Champagner trinken, denn dazu hatten sie allen Grund …
*
Carolo Heimberg und seine Frau Marianne von Rieding befanden sich auf dem Heimweg. Sie hatten beide nicht damit gerechnet, dass sie eine so lange Zeit von daheim weg sein würden. Aber so war es nun mal, das Schicksal ging seltsame Wege, und es gab Dinge, die man nicht voraussehen und auch nicht vorausberechnen konnte. Und plötzlich gab es Situationen, die ein ganzes Leben auf den Kopf stellten.
Marianne fuhr den schweren Tourenwagen, und Carlo saß neben ihr. Das war auch neu, denn normalerweise hätte er es sich niemals nehmen lassen, seinen Wagen selbst zu fahren. Nicht aus Eitelkeit, sondern weil es sich einfach so gehörte, dass der Mann am Steuer saß.
Es hatte sich viel in seinem Leben geändert, und er wusste noch nicht, wie er damit umgehen sollte.
Er, der scheinbar unverwundbare Architekt Carlo Heimberg war vom Leben ordentlich geschüttelt worden, und dass er überhaupt noch lebte, hatte er im Grunde genommen seiner Marianne zu verdanken.
Hätte die nicht dafür gesorgt, dass er zum Arzt ging, dann wäre …
Nein!
Er mochte daran nicht denken, dass es ihn vermutlich jetzt nicht mehr gäbe, wäre Marianne nicht gewesen.
Er hatte Glück gehabt, Glück in jeder Hinsicht, vor allem, dass die Frau Doktor Steinfeld ihn zu dem Kardiologen geschickt hatte, der eine Kapazität auf seinem Gebiet war. Und der hatte schließlich festgestellt, dass er nicht nur ein paar Stents brauchte, um wieder richtig funktionieren zu können, sondern dass es bei ihm um mehr ging, nämlich eine lebensbedrohliche Besonderheit, die eine Operation am offenen Herzen erforderlich machte, die man bislang kaum durchgeführt hatte.
Er hatte es überlebt.
Eigentlich musste er dankbar sein, und das war er auch, aber er konnte sich einfach nicht damit trösten, dass es hätte sehr viel schlimmer sein können.
Es hatte ihn getroffen!
Das war etwas, womit er niemals gerechnet hätte. Er war der Meinung gewesen, in seinem Leben immer weiter Höchstleistungen vollbringen zu können, hatte immer auf der Überholspur gelebt und geglaubt, es mit einem Dreißigjährigen aufnehmen zu können.
Wie vermessen war er doch gewesen.
Der Professor und Chirurg hatte ihm seine Grenzen ganz ernsthaft aufgezeigt, und die waren leider eng bemessen.
Wie sollte es nun weitergehen?
Er hatte keine Ahnung, aber er hatte das Gefühl, dass er es mit dieser wunderbaren Frau an seiner Seite schaffen würde.
Marianne war sein Fels in der Brandung, und sie war die ganze Zeit über bei ihm gewesen, im Krankenhaus, und später auch in der Reha.
Nach einer ganzen Weile des Schweigens sagte er plötzlich: »Marianne, fahr bitte rechts ran.«
Was sollte das denn? Sie waren kurz vor daheim, man konnte schon die Felsenburg sehen, und wenn sie gleich um die Ecke bogen, konnten sie die Dependance, in der Sandra und ihre Familie lebten und das Herrenhaus sehen.
Aber da Carlo seit seiner Krankheit reizbar und empfindlich geworden, war, erfüllte Marianne den Wunsch ihres Mannes, fuhr das Auto rechts an den Straßenrand, stellte den Motor ab und blickte ihn an.
»Wir sind gleich zu Hause«, erinnerte sie ihn, weil sie sich nicht erklären konnte, warum er jetzt anhalten wollte.
Er nickte. »Ich weiß, aber ich denke, wir sollten jetzt reden, ehe Sandra und Felix uns mit Fragen überfallen. Ich möchte nicht, dass sie mitleidvoll mit mir sind, wenn sie erfahren, was mit mir los ist.«
Das verstand Marianne nun überhaupt nicht.
»Carlo, mein Lieber, warum sollten sie Mitleid mit dir haben? Und warum sollen sie es nicht erfahren? Sie sind unsere Familie.«
Carlo antwortete nicht.
»Dass du im Krankenhaus warst, von einem großartigen Professor am offenen Herzen operiert wurdest, das wissen sie doch, auch von deinem Aufenthalt in der Reha. Jetzt bist du entlassen in ein Leben, das ein anderes sein wird als zuvor, aber ein Leben. Und darüber sind Sandra und Felix ebenso glücklich wie ich. Carlo, bitte versuche damit umzugehen und das Beste daraus zu machen. Erst wenn du es akzeptierst, können wir uns Gedanken darüber machen, wie es weitergehen soll. Der Professor hat nichts dagegen, wenn du deinen Beruf wieder ausübst, aber halt in Maßen.«
Er lachte bitter.
»Ja, Schmalspur, soll ich mich hinsetzen und ein Einfamilienhaus entwerfen? Kannst du dir das vorstellen? Ich habe niemals kleinklein gearbeitet, und das werde ich jetzt ganz gewiss nicht tun. Dann hänge ich meinen Beruf an den Nagel.«
»Du kannst Bücher schreiben, das wolltest du schon immer, hattest aber keine Zeit dazu. Jetzt hast du sie, und ich denke, du hast eine ganze Menge zu sagen. Außerdem kannst du als Dozent arbeiten, du mit deinem großen Wissen bist für jeden Student eine Bereicherung. Es gibt viele Möglichkeiten, es gibt viele Wege, du musst die Möglichkeiten nur ergreifen und die Wege beschreiten.«
Carlo Heimberg sah seine Marianne, seine späte Liebe, ganz zerknirscht an.
»Bitte entschuldige, mein Herz. Du bist die ganze Zeit über ohne zu murren an meiner Seite, und ich nöle dir die Ohren voll.