Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Von Anfang an, aber nun wirst du ja endlich auf mich hören. Es kann ja so nicht mehr weitergehen. Nun
siehst du ja, daß Annette nicht das geringste Interesse an dir hat. Sie fährt einfach weg. Sie brauche Tapetenwechsel, hat sie gesagt.«
»Wann ist sie gefahren?«
»Gestern. Sie hat sich nicht wohl gefühlt, und da habe ich Bettina vom Kindergarten abgeholt, um ihr das abzunehmen. Und darüber hat sie sich dann wieder aufgeregt. Man weiß ja gar nicht, woran man bei ihr ist. Sie ist dann tatsächlich mit Bettina weggefahren. Das arme Kind, was wird es aushalten. Du kannst dir wohl nicht vorstellen, wie elend mir heute war. Ich habe Dr. Norden kommen lassen, aber er hat mir empfohlen, mich in klinische Behandlung zu begeben.«
Sie drehte alles so zurecht, wie sie es wollte. Das hatte sie schon immer verstanden, aber sie hatte Heiner tatsächlich wieder schwankend gemacht, da von Dr. Norden die Rede war.
»Mir ist dann durch den Kopf gegangen, was sie bei dem Anwalt gemacht haben könnte.«
»Hat sie davon gesprochen?« fragte Heiner.
»Natürlich nicht, aber als ich gestern mit Bettina dort beim Einkaufen war, sagte mir das Kind, daß Annette in dem Haus gewesen sei. Nun, so bin ich gestern noch zu ihm gegangen. Er war zwar sehr reserviert, aber einige Auskünfte hat er mir doch gegeben. Bei einer Scheidung müßte Annette nämlich alles mit dir teilen. Also würdest du nicht draufzahlen. Und dadurch, daß sie dich böswillig verlassen hat, werden wir auch Bettina bekommen.«
»Hat das der Anwalt auch gesagt?« fragte Heiner sarkastisch, was ihr aber nicht bewußt wurde.
»Nein, das denke ich mir. Du hast sie ja nicht verlassen. Du hast dir die erdenklichste Mühe gegeben, die Ehe harmonisch zu gestalten, und schließlich wollte ich Annette ja nur entlasten, damit sie mehr Zeit für dich hat. Es wird am besten sein, wenn du auch gleich zum Anwalt gehst, Heiner.«
»Ja, das werde ich tun«, erwiderte er.
»Das ist gut, mein Junge. Dir wird ja nichts abgehen, du hast ja deine Mutter.«
Und was für eine Mutter, dachte er. Sie denkt und handelt für mich, selbstherrlich und skrupellos. Jetzt war es ihm so richtig bewußt geworden. Nicht ein einziges Mal hatte sie gefragt, ob er noch etwas für Annette empfände.
Er fuhr zur nächsten Telefonzelle, suchte die Nummer von Dr. Arnim heraus und rief ihn an. Ob er ihn heute noch sprechen könne, es sei sehr dringend, sagte er.
In diesem Fall machte Dr. Arnim eine Ausnahme, obgleich er noch mehr Termine hatte. Er bestellte Heiner Mosch zu halb sieben Uhr.
So hatte Heiner jetzt noch Zeit, zu Dr. Norden zu fahren, der ja bis sechs Uhr Sprechstunde hielt. Da rief er nicht vorher an.
Die ganze Familie kommt angekleckert, dachte Loni nicht gerade erfreut, aber Heiner Moschs Gesicht verriet ihr, daß er sehr mitgenommen war.
Von Dr. Norden erfuhr Heiner einiges mehr, nur nicht, wohin Annette gefahren war.
»Ich wollte ohnehin mit Ihnen sprechen, Herr Mosch. Ihre Frau bedarf dringend der Schonung. Selbst auf die Gefahr hin, Ihren Widerspruch herauszufordern, muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Mutter sich in einem Maße in die Belange Ihres Ehelebens einmischt, der für eine junge Frau, die ihr zweites Kind erwartet, unerträglich wird.«
»Annette erwartet ein Baby?« entfuhr es Heiner fassungslos. »Davon weiß ich nichts.«
»Sie hat die Bestätigung auch jetzt erst bekommen.«
»Aber wie kann sie dann auf Scheidung bestehen?«
»Ich glaube nicht, daß sie darauf besteht. Sie sieht darin, zumindest in einer räumlichen Trennung, wohl nur den einzigen Ausweg, sich den ständigen Nörgeleien und Sticheleien Ihrer Mutter zu entziehen.«
»Meine Mutter sagte mir, daß Sie ihr empfohlen hätten, sich in klinische Behandlung zu begeben.« Augenblicklich wußte Heiner wirklich nicht, was er glauben und denken sollte.
»Ja, das habe ich ihr empfohlen, damit ihr schwarz auf weiß bewiesen wird, daß sie simuliert und sonst kerngesund ist. Mein Eindruck ist wirklich, daß sie alles, was sie tut, mit kalter Berechnung tut. Sie zwingt Ihnen immer wieder ihren Willen auf.«
»Sie hat mir nach dem Tode meines Vaters leid getan und sich so sehr gewünscht, uns nahe zu sein«, sagte Heiner stockend.
»Um bei Ihnen das Regiment zu übernehmen, wie mir scheint. Entschuldigen Sie, daß ich das so unverblümt sage, aber leiden tut nur Ihre Frau. Sie wird systematisch zermürbt.«
»So habe ich das nie gesehen, aber ich werde mit Annette darüber sprechen und selbstverständlich auch mit meiner Mutter.«
»Ihre Mutter wird einen Ohnmachtsanfall bekommen und über Herzbeschwerden klagen«, sagte Dr. Norden, »aber ich versichere Ihnen, daß sie ein sehr gesundes Herz hat. Sie hat sich so in ihre Rolle hineingelebt, daß sie schon gar nicht mehr von sich aus zur Einsicht kommen kann. Man muß ihr sehr deutlich sagen, was wahr ist!«
»Ich werde mich danach richten. Wissen Sie, wo meine Frau hingefahren ist?«
»Sie hat angedeutet, daß sie ihren Vater besuchen wolle, aber ich weiß nicht, ob sie es auch getan hat.«
»Ich danke Ihnen, Herr Dr. Norden. Ich weiß, wie ich mit meiner Mutter reden muß. Jetzt weiß ich es.«
Na, hoffentlich fällt er nicht wieder um, dachte Dr. Norden.
Doch Heiner Mosch hatte einen gewaltigen Schuß vor den Bug bekommen. Und als er Dr. Arnim gegenübersaß, machte er auch einen entschlossenen Eindruck.
»Meine Frau war bei Ihnen, Herr Doktor«, sagte er heiser.
»Und auch Ihre Mutter«, sagte Dr. Arnim.
»Hat meine Frau die Scheidung eingereicht?«
»Nein, das nicht. Sie hat sich beraten lassen, was im Falle einer zeitlich räumlichen Trennung auf sie zukommen und was die Folge sein könnte. Und ich habe ihr Auskunft gegeben und ihr geraten, mit Ihnen darüber in aller Ruhe zu sprechen. Dann aber erschien Ihre Mutter.«
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das genau erzählen würden. Ich habe nicht die Absicht, mich von meiner Frau zu trennen, auch nicht auf Zeit, sozusagen zur Bewährung. Ich möchte, daß unsere Ehe gerettet wird. Ich liebe meine Frau.«
»Aber Sie fühlen sich Ihrer Mutter verpflichtet.«
»Ja, ich fühle mich ihr verpflichtet.«
»Älteren Menschen fehlt oft die Einsicht, daß die Jungen ein Anrecht auf ihr eigenes Leben haben«, sagte Dr. Arnim.
»Das ist mir auch klargeworden. Geben Sie mir einen Rat, wie ich mich verhalten soll.«
*
Helma Mosch stand am Fenster und trommelte ungeduldig an die Scheiben. Es dauerte ihr zu lange, bis Heiner zurückkam. Aber dann atmete sie auf, als sie seinen Wagen sah.
»Endlich«, sagte sie erleichtert. »Ich war schon ganz unruhig.«
»Weshalb, Mama? Ich bin kein kleiner Junge mehr«, erwiderte er.
»Für mich bleibst du das immer. Warst du beim Anwalt, Heinerle?«
»Ja, ich war beim Anwalt.«
»Und was hat er gesagt?«
»Daß einer konventionellen Scheidung nichts im Wege steht.«
»Siehst du, es ist ganz einfach.«
»So einfach nun auch wieder nicht, Mama. Das Haus und das Vermögen hat Annette in die Ehe gebracht. Es fällt nicht unter die Zugewinngemeinschaft.«
»Wieso nicht? Sie hat ja nicht mitgearbeitet für den Lebensunterhalt.«
»Jetzt laß mal die Kirche im Dorf, und höre mir zu. Für den Fall, daß ich mich scheiden lassen würde, behält Annette das Haus und auch das Kind, und