Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Ob sie die Scheidung wirklich gewollt hat? fragte sich Holger jetzt. Ihn beschäftigte gerade ein ähnlicher Fall, und die Klientin erwartete er nun.
Seine Sekretärin rief durch. »Frau Mosch möchte Sie sprechen, Herr Doktor«, sagte sie.
»Ja, sie ist doch angemeldet«, erwiderte er.
»Aber es ist die Mutter«, erwiderte seine Sekretärin mit einem vielsagenden Unterton.
»Na dann«, brummte er.
Helma Mosch war etwa im gleichen Alter wie Annedore Diehl, aber von ganz anderem Wesen, und diesmal handelte es sich um die Mutter des Mannes.
Sie hatte mit Annedore nur gemein, daß sie auch früh verwitwet war. Sie war gut versorgt zurückgeblieben und trug ihren Wohlstand auch zur Schau.
»Meine Schwiegertochter ist erkrankt«, erklärte sie. »So habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, mit Ihnen zu sprechen, Herr Doktor. Weil ich es für richtig halte, daß Sie auch meine Meinung zu dieser mißlichen Angelegenheit hören.«
Ihre Stimme war hell und hatte einen klagenden, weinerlichen Unterton. Sie war eine recht flotte Frau, zu der solcher Ton eigentlich nicht paßte. Sie war blond und hatte helle kühle Augen. Der schmallippige Mund verriet, daß sie gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen. Solches hatte Dr. Arnim schon von Annette Mosch gehört. Jetzt wußte er, daß die junge Frau Mosch nicht übertrieben hatte.
»Ich würde gerne erst mal wissen, was Annette Ihnen so alles erzählt hat«, begann Helma Mosch.
»Ich bin nicht berechtigt, darüber zu sprechen«, erwiderte er zurückhaltend.
»Ich kann es mir vorstellen. Natürlich bin ich an allem schuld, sie ist ja ein Engel. Aber das lasse ich nicht auf mir sitzen.«
»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Frau Annette Mosch vertrete«, warf Dr. Arnim ein. »Wenn Sie sich gegen etwaige ungerechte Vorwürfe zur Wehr setzen wollen, sollten Sie sich selbst einen Anwalt suchen.«
Sie starrte ihn an. »Ich will nur widerlegen, was Annette veranlaßt, die Scheidung einzureichen. Das ist doch mein gutes Recht. Man darf so was doch nicht einseitig sehen, Herr Doktor.«
»Aber ich kann wiederum nur erwidern, daß Frau Annette Mosch meine Klientin ist.«
Doch so schnell sollte er Helma Mosch nicht loswerden.
Inzwischen hatte Dr. Norden seine Unterhaltung mit Annedore Diehl beendet, da er dringend zu einem Hausbesuch gerufen wurde, eben zu jener Annette Mosch.
»Auch so ein Fall von zerrütteter Ehe«, sagte er zu Annedore, ohne den Namen Mosch zu erwähnen. »Da besteht allerdings ernster Anlaß zur Besorgnis. Sie verstehen, daß ich mich verabschieden muß.«
»Selbstverständlich. Ich bedanke mich herzlich, daß Sie mir so viel Zeit gewidmet haben, Herr Dr. Norden.«
»Sie fahren jetzt erst mal zur Insel und erholen sich, Frau Diehl. Ihre Tochter ist erwachsen und wird schon die richtige Entscheidung treffen. Ich weiß, daß Sie es gut meinen, aber manchmal ist es gut, wenn man sich überhaupt nicht einmischt.«
Daß Frau Moschs Einmischung tatsächlich der Grund zu schwerwiegenden Komplikationen in einer an sich ganz normalen Ehe geführt hatte, wußte er sehr gut. Für diese Frau hatte er weit weniger Verständnis als für Frau Diehl.
Bei Annette Mosch lagen die Verhältnisse anders als bei Sandra Diehl. Sie hatte Haus und Vermögen in die Ehe eingebracht. Heiner Mosch hatte zwar eine gutbezahlte Stellung als Diplomingenieur, aber er hätte Annette niemals das bieten können, was sie von Haus aus gewohnt war.
Dies hatte Annette jedoch nie hervorgekehrt. Es war alles gutgegangen, bis sich Helma Mosch mehr und mehr bei ihnen eingenistet hatte. Zwar hatte sie eine eigene Wohnung, aber nach dem Tode ihres Mannes hatte sie viel Zeit, und sie klammerte sich nun doppelt an ihren Sohn.
»Mein Heiner«, war ihr zweites Wort, und die kleine sechsjährige Bettina wurde ihrer Ansicht nach völlig falsch erzogen.
Ja, noch etwas verband Annette und Sandra, ohne daß eine von der andern um deren Probleme wußte. Annettes Tochter Bettina besuchte den gleichen Kindergarten wie Nico.
Annette Mosch befand sich in einem Zustand völliger Verzweiflung, als Dr. Norden kam.
»Ich weiß nicht mehr weiter, Dr. Norden«, schluchzte sie. »Ich weiß wirklich nicht mehr, wie es weitergehen soll. Gestern kam es wieder zu einer Auseinandersetzung mit meiner Schwiegermutter. Mein Mann ist gerade auf einer Geschäftsreise.«
»Jetzt beruhigen Sie sich doch erst mal, Frau Mosch«, sagte Dr. Norden.
»Wie soll ich mich beruhigen? Ich wollte Bettina vom Kindergarten abholen, aber meine Schwiegermutter hatte sie schon geholt, und jetzt weiß ich nicht, wo sie mit dem Kind ist. Sie will mich restlos fertigmachen und nutzt die Gelegenheit, wo Heiner nicht da ist, um das Kind gegen mich aufzuhetzen. Sie will nicht, daß es zu einer Versöhnung zwischen uns kommt.«
Dr. Norden hatte Helma Mosch kennengelernt. Er wußte, daß die junge Frau nicht übertrieb, aber er wollte die Glut nicht noch mehr schüren.
»Ist denn auch Ihr Mann zu einer Versöhnung bereit?« fragte er.
»Ach, es ist alles so verfahren. Heiner nimmt immer wieder Rücksicht auf seine Mutter. Er bedauert sie, weil sie ihren Mann so früh verloren hat. Er war ja erst fünfzehn, als sein Vater starb und seine Mutter hält ihm stets vor, was sie alles für ihn getan hätte. In alles mischt sie sich ein, aber jetzt – mein Kind lasse ich mir nicht wegnehmen! Es war alles in Ordnung, bis sie hierherzog.« Sie zitterte am ganzen Körper. »Das Schlimmste aber ist, daß ich ein Kind erwarte, Herr Doktor. Jetzt ist es gewiß. Und wenn sie es erfährt, wenn wir zusammenbleiben, wird es immer so weitergehen. Sie meint es ja nur gut, das bekomme ich immer wieder zu hören, wenn Heiner dabei ist. Und dann, wenn wir allein sind, gibt es nur Sticheleien. Ich habe sie mehrmals aufgefordert, nicht mehr zu kommen, aber dann heißt es nur, daß ich es immer wieder herauskehre, daß es mein Haus sei und daß Heiner sich dadurch gedemütigt fühlt.«
»Und was sagt Ihr Mann?«
»Er glaubt mir nicht, nein, er glaubt es mir nicht, er denkt, daß ich übertreibe. Ich will das Kind nicht, Dr. Norden, ich halte nicht mehr durch.«
»Denken Sie nicht daran, daß gerade das Kind Ihre Ehe retten könnte?«
Sie lachte blechern auf. »Sie würde Bettina doch nur einreden, daß ich nun nichts mehr für sie übrig hätte.«
»Soll ich mit Ihrem Mann sprechen, Frau Mosch?« fragte Dr. Norden.
»Würden Sie das tun?« fragte Annette leise. »Vielleicht hört er auf Sie. Sie können ihm doch sagen, daß seine Mutter ganz gesund ist, daß sie keinen Grund zum Jammern hat, daß sie nur simuliert, um ihn weichzustimmen.«
»Sie ist in den Wechseljahren, da sind viele Frauen unberechenbar, Frau Mosch. Ich weiß, daß es kein Trost für Sie sein kann, aber das sind Vorgänge, die auch einem Arzt Rätsel aufgeben. Sie haben sich jetzt aufgeregt, weil Ihre Schwiegermutter Bettina aus dem Kindergarten geholt hat. Sie kann Ihnen das Kind nicht vorenthalten.«
»Sie wird Bettina wieder etwas kaufen, was ich abgelehnt habe. Vielleicht ein Fahrrad. Oh, sie weiß, wie sie es anfangen muß. Und Sie wissen doch, wie zart Bettina ist.«
Ja, das war ein schwieriger Fall, und Dr. Norden wußte nicht, wie er Annette jetzt beruhigen sollte, da man bei einer Schwangerschaft auch sehr vorsichtig mit Beruhigungsmitteln sein mußte. Vielleicht sah auch Annette in ihrem Zustand alles noch düsterer. Doch bald sollte Dr. Norden erfahren, wie begründet alle Ängste dieser jungen Frau waren.
*
Bettina hatte durchaus nichts dagegen gehabt, daß die Oma sie abgeholt hatte. Sie wußte schon, daß sie nun wieder etwas bekommen würde. In ihrem kindlichen Unverstand konnte sie nicht begreifen, daß dies alles, was sie heimlich bekam, eine wahrhaft hinterhältige Bestechung war.
Helma