Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
dir wohnen, aber es wäre mir unerträglich, so in der Nähe zu bleiben. Ich werde dann also das Angebot meiner Firma annehmen und nach Irland gehen.«
»Wo dauernd diese Unruhen sind? Das wirst du nicht! Dorthin würde ich nicht mitkommen«, stieß sie hervor.
»Ich würde dich auch nicht mitnehmen, Mama, damit das klar ist. Du hast hier deine Wohnung, du hast dein Auskommen und wahrscheinlich hast du auch erreicht, daß unsere Ehe nicht mehr zu kitten ist. Aber so schnell gebe ich nicht auf. Ich liebe Annette und meine Tochter. Ich werde zumindest versuchen, einen neuen Anfang mit ihnen zu finden.«
Sie schnappte nach Luft und griff nach ihrem Herzen.
»Und jetzt fall bitte nicht in Ohnmacht, Mama«, sagte Heiner ruhig. »Ich war auch bei Dr. Norden. Du hast ein gesundes Herz. Wenn du dennoch krank spielst, lasse ich dich sofort in die Klinik bringen.«
»Wie redest du mit mir? Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen«, kreischte sie.
»Ich weiß nicht, was du alles zu Annette gesagt hast. Aber sie erwartet ein Baby, und das beweist ja wohl, daß unsere Beziehungen ihre Gültigkeit haben, wenn du nicht dazwischenfunkst.«
»Sie erwartet ein Baby? Weißt du auch, ob du der Vater bist?« höhnte sie.
Er erstarrte. »Das hättest du nicht sagen dürfen, das nicht«, brachte er mühsam über die Lippen. »Damit ist alles erledigt, was ich mit dir auf gütlichem Wege regeln wollte. Laß dich von deiner Bosheit auffressen. Ich kann jetzt verstehen, warum Annette so verzweifelt ist. Endlich ist mir ein Licht aufgegangen.«
Und dann stürzte er aus der Wohnung. Sie konnte es nicht fassen. Sie hatte sich doch so sicher gewähnt! Hatte gemeint, daß alles nun so werden würde, wie sie es sich vorstellte.
Sie fuhr sich durch das wohlfrisierte Haar, heulte und jammerte, bis ihr dann auch bewußt wurde, daß niemand sie hörte, daß sie allein war und ihr Sohn ihr keine tröstenden Worte sagen würde, wenn sie nun von ihrem geliebten Mann anfangen würde, von ihrer vorbildlichen Ehe und was sie alles für ihren Sohn getan und geopfert hatte.
Dann schöpfte sie doch wieder Hoffnung. Annette würde Heiner bestimmt wegschicken, ganz bestimmt, und er würde heimkehren zu seiner Mutter. Wer anders sollte denn für ihn sorgen als sie.
Aber im tiefsten Innern erwachte doch der Gedanke, daß es nicht so sein würde, daß sie zuviel gewagt und alles aufs Spiel gesetzt hatte.
*
Heiner war heimgefahren. Das Haus kam ihm leer vor. Ja, er hatte oft gedacht, daß es eigentlich Annettes Haus sei, daß er durch sie ein angenehmes, sorgloses Leben führen konnte und dadurch auch weitaus schneller vorwärtskam, als es sonst wohl möglich gewesen wäre.
Es schnürte ihm die Kehle richtig zu, denken zu müssen, daß seine Mutter erwartet hatte, er würde Annette um ihr eingebrachtes Vermögen bringen.
»Warum soll ich mir eine eigene Wohnung nehmen?« hatte sie damals gesagt. »Euer Haus ist doch groß genug.«
»Annette hat nie den Vorschlag gemacht, daß ihr Vater bei uns leben könnte«, hatte er erwidert. »Und schließlich ist das Haus mit seinem Geld gebaut worden.«
»Ein Mann muß versorgt werden, eine Mutter kann helfen«, hatte sie gesagt.
Und damals hatte er nicht gewagt, ihr zu sagen, daß Annette erst mal energisch ihre Meinung kundgetan hatte.
»Meinetwegen kann Mutter nach München ziehen, aber nicht in unser Haus.«
Alles ging Heiner durch den Sinn, als er nach dem Telefon griff und die Nummer seines Schwiegervaters wählte.
»Ach, du bist es, Heiner«, sagte der freundlich. »Ja, Annette und Bettina sind bei mir. Sie hatte es deiner Mutter doch gesagt, daß sie hier zu erreichen ist.«
»Darf ich kommen, Papa?« fragte Heiner.
»Natürlich. Komm morgen. Jetzt schlafen die beiden schon.«
»Ich hatte eine Auseinandersetzung mit meiner Mutter. Ich bin nicht ihrer Meinung, Papa. Würdest du das Annette bitte sagen?«
»Das sag ihr lieber selbst«, erwiderte Albert Breiter. »Ich ziehe dir die Ohren nicht lang, Heiner. Wir reden von Mann zu Mann miteinander.«
»Danke, Papa«, sagte Heiner leise.
Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, läutete das Telefon. Die schluchzende Stimme seiner Mutter tönte in Heiners Ohr.
»Du mußt kommen, wir müssen miteinander sprechen. Mit wem hast du eben telefoniert?« fragte sie, ohne Luft zu holen.
Er legte auf, ohne ein Wort der Erwiderung. Doch das Telefon läutete wieder. Er ließ es läuten.
Er ging durch das Haus, dachte an vergangene Jahre zurück, an die ersten Jahre seiner Ehe, dachte dann auch daran, wieviel deutlicher er Annette hätte zu verstehen geben müssen, daß sie an erster Stelle in seinem Leben stand.
Das Telefon läutete unentwegt. Er nahm den Hörer ab, drückte auf die Gabel und legte den Hörer dann daneben.
Dann trank er noch ein Glas Milch, aß ein paar Kekse und ging ins Bad.
Als er geduscht hatte, läutete es an der Tür. Er wußte, daß es seine Mutter war, und er wußte auch, daß sie nicht aufgeben würde.
Er öffnete die Tür. Sie stand vor ihm. »Ich möchte jetzt schlafen«, sagte er.
»Du kannst nicht so mit mir reden, Heiner. Ich bin deine Mutter.«
»Ja, das weiß ich«, erwiderte er bitter. »Wir haben uns nichts mehr zu sagen.«
»Ich bringe mich um, wenn du mich im Stich läßt«, sagte sie drohend.
»Tu es doch, wenn dir nichts Besseres einfällt«, entfuhr es ihm.
Da schlug sie auf ihn ein, wie eine Furie. »Das ist der Dank, der Dank für alles, was ich für dich getan habe!« schrie sie.
»Und was hast du getan, was nicht jeder Mutter selbstverständlich ist?« fragte er tonlos. »Soll ich dir auf den Knien danken, daß du mich in die Welt gesetzt hast? Was du heute kaputt gemacht hast, kannst du nicht mehr kitten. Schläge habe ich auch früher bekommen. Ich habe sie hingenommen und vergessen. Diese vergesse ich nicht. Was war ich für ein Narr, daß ich es soweit kommen ließ, daß Annette deinem Mutwillen ausgesetzt wurde.«
»Bevor ich mich umbringe, werde ich einen Brief schreiben, daß du mich soweit gebracht hast«, zischte sie.
»Das ist wahre Mutterliebe«, sagte er tonlos. »Ich lasse mich nicht mehr erpressen, begreif das endlich. Du hast die Maske fallen lassen. Es hat schon Mütter gegeben, die ihre Kinder, ihre erwachsenen Kinder, aus purem Egoismus umgebracht haben. Ich glaube jetzt, daß du dazu auch fähig wärest. Aber mein Leben wäre sowieso sinnlos, wenn ich Annette und Bettina verliere. Ja, es wäre völlig sinnlos.«
Vielleicht kam sie durch diese Worte zu sich, wenigstens für den Augenblick. Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging zu ihrem Wagen. Mit aufheulendem Motor fuhr der davon.
*
Dr. Norden kam von einem späten Hausbesuch, als der gelbe Wagen ihm die Vorfahrt nahm. Aber er war auf so etwas immer gefaßt. Im Licht seiner Scheinwerfer erkannte er dann für den Bruchteil einer Sekunde Helma Mosch, aber schon raste sie weiter.
Anscheinend hat sie doch nicht alle Tassen im Schrank, dachte er. Die Frau ist ja gemeingefährlich. Um ein Haar hätte sie ihn voll gerammt, wenn er nicht so vorsichtig gewesen wäre. Doch zwei Straßen weiter war ein anderer nicht so vorsichtig. Da krachte es gewaltig, aber wie durch ein Wunder kam die schuldige Helma Mosch ohne Verletzung davon. Und sie ergriff Fah-rerflucht, als ihr Wagen wieder ansprang, bevor jemand auf der Bildfläche erschien.
Dr. Norden stillte seinen Durst gerade mit einem eiskalten Mineralwasser, als das Telefon läutete. Fee Norden nahm rasch den Hörer ab.
»Unfall an der Lerchenstraße, Daniel«, sagte sie.