NALA - Der Hexenberg. Gabriela Proksch Bernabé

NALA - Der Hexenberg - Gabriela Proksch Bernabé


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des Pferdes gefegt zu werden. Gandalf entwickelte ein enormes Tempo. Sie schossen durch das Gebüsch zurück zum Brunnen. Als sie mit eingezogenem Kopf die höchsten der Bäume passierten, brach kra- chend ein dicker Ast ab und schlug direkt hinter ihnen am Boden auf. Rosalie blickte entsetzt über die Schulter und sah, wie in einem Flecken Sonnenlicht heller Staub unter der Wucht des Astes aufstob. Am Brunnen angekommen, ließ der aufgeregte Fuchs schwitzend den Hals sinken und sog das kühle Wasser gierig ein.

      Er stillte seinen Durst und sofort danach bewegten sich die Oh- ren wieder. Er hob den Kopf und war abermals dabei, Richtung Gebüsch loszulaufen. Da hielt Rosalie ihn sanft zurück.

      „Nein! Schluss damit! Wir bleiben brav auf dem Rückweg. So ein Hin und Her gibt es jetzt nicht mehr! Ich fürchte mich halb zu Tode auf dem verwachsenen, alten Pfad“.

      Wenn nur Nala hier wäre! Ihre Freundin, die Sternenträume- rin, spürte wahrscheinlich, ob dieser Weg der Durchgang zu einer anderen Welt war oder nur ein unheimlicher Ort, den es besser zu vermeiden galt. Und wo blieb Tendo?

      Er schwebte über der Mitte des Tales und genoss den Wind un- ter seinen Flügeln.

      Am Bahnhof fielen sich Nala und Rosalie in die Arme.

      „Endlich bist du da!“, freute sich die Tirolerin und umarmte ihre Freundin.

      „Und zu neuen Abenteuern bereit“, antwortete diese verwegen.

      „Stell dir vor, ich habe Tendo gestern bei meinem Ausritt getrof- fen! Er hat sich den Dohlen am Joch oben angeschlossen und bringt sie ganz schön durcheinander. Schnappt ihnen die besten Brocken weg, die sie von den Wanderern abgestaubt haben.“ Rosalie berich- tete von ihrem seltsamen und furchterregenden Erlebnis im Wald.

      „Das klingt echt gruselig! Aber wir wollten doch hier einen Steinkreis, einen Eingang in die magische Welt, finden. Vielleicht war Tendo da, um uns zu so einem Platz zu führen. Könnte das der Weg in die Anderswelt sein?“, vermutete Nala.

      Rosalie antwortete: „Warum flimmerte dann das Licht so ko- misch? Gandalf und ich, wir haben ziemlich gebibbert und sind blitzartig umgekehrt, als die unheimliche Gestalt auftauchte. So- bald wir beim Hexenbrunnen waren, wollte das Pferd aber wieder umkehren und in den Wald hineinlaufen. Wir spürten beides gleich- zeitig, Angst und Verlockung.“

      Nala, die ihren Koffer hinterherzog und sich mit einem Ruck- sack abmühte, blieb japsend stehen.

      „Jetzt hilf mir endlich beim Schleppen, sonst kommen wir hier nie weg,“ beschwerte sie sich.

      Rosalie hielt abrupt an und schlug sich auf die Stirn: „Sorry, vor lauter Erzählen, hab ich nicht gemerkt, dass du bepackt bist wie ein Esel!“ Sie schnappte sich den Koffer und die beiden zogen los.

      Nachdenklich murmelte Nala: „Ist ja wirklich merkwürdig, dei- ne Geschichte. Ich habe einmal gehört, dass es so etwas wie Wächter von Kraftplätzen gibt. Claire, die Köchin in Frankreich, hat uns erzählt, dass sie die Hüterin vom dortigen Steinkreis ist. Überprü- fen die, ob wir dazugehören und diesen Platz finden sollen? Könnte sein, oder?“

      Wie ein Pfeil zischte ein schwarzer Vogel den Bahnsteig entlang und flog so knapp über Nala, dass er ihr die Mütze vom Kopf zupfte. Das Mädchen jubelte auf.

      „Tendo!!!! Du bist wirklich hier! Ich freu mich wie verrückt, du frecher Dieb. Bring sofort meine Beanie zurück!“

      Rosalie hopste vor Freude in die Luft. „Wir kommen wieder zu- sammen! Wie sehr habe ich mir das gewünscht!“

      Das Gepäck fühlte sich auf einmal halb so schwer an. Die bei- den Freundinnen machten sich überglücklich auf den Weg. Tendo saß, wie im Sommer in Frankreich, auf Nalas Schulter. Unter den staunenden Blicken der Dorfbewohner entfernten sich die drei vom Bahnhof.

      Rosalies Mutter Bernadette, öffnete die Tür. „Hallo Nala! Ich freue mich, dass du da bist. Ich habe viel von dir und eurem außerge- wöhnlichen Reiturlaub gehört. Ihr seid so gute Freundinnen gewor- den! Wie mit deinen Eltern abgesprochen, kannst du gerne bei uns

      wohnen. Du musst nicht ins Internat, hier habt ihr wahrscheinlich mehr Spaß und ich freue mich immer über Leben in der Bude“.

      „Wir wollen gleich in den Stall, ich muss Nala unbedingt Gan- dalf und die anderen Pferde zeigen“, Rosalie ließ keinen Zweifel dar- an, dass daheim bleiben nicht auf ihrem Programm stand.

      „Ist schon klar, was für euch das Wichtigste ist“, antwortete Bernadette, deren rote Locken ebenso wild vom Kopf abstanden, wie die ihrer Tochter.

      Bald strampelten Rosalie und Nala auf Fahrrädern den Feldweg, der zum Stall führte, entlang. Übermütig ließen die Freundinnen die Lenker ihrer Bikes los, streckten ihre Arme zur Seite aus und genos- sen den Fahrtwind.

      Mit Gepolter krachten die Fahrräder an die Wand der Scheune. Die Mädchen hatten es eilig. Das war nicht zu überhören. Sofort trottete Gandalf auf den Zaun der Weide zu.

      „Das ist er!“ Rosalie strahlte vor Stolz und zeigte auf den stäm- migen Noriker. Der hob seinen Kopf, als wüsste er genau, dass von ihm die Rede war. Nala hielt ihm die Hand unter die Nüstern, um sich beschnuppern zu lassen. Wie lange hatte sie nicht mehr den warmen Atem eines Pferdes gespürt! Es kam ihr ewig vor, obwohl seit den Ferien in Frankreich erst ein paar Wochen vergangen waren. Schlagartig überkam sie die Sehnsucht nach Lilou, der zarten, wei- ßen Araberstute. Wie es ihr wohl ging? Nala nahm sich fest vor, am Abend Greta anzurufen.

      Etwas Merkwürdiges geschah. Ein Bild zuckte vor Nalas in- nerem Auge auf. Ihr Herzenspferd wirkte verängstigt und traurig. Sternenträumerin wurde unruhig. Wie eine eiserne Faust umklam- merte sie auf einmal eine unbestimmte Angst. Schnaubend drehte Gandalf seine Nase zur Seite und wieherte gereizt.

      „Was ist los?“, fragte Rosalie erstaunt. „Er reagiert komisch auf dich. Zuerst war er neugierig und offen. Und jetzt?“

      „Ich fühle mich total seltsam und bin durcheinander, denn mir ist gerade Lilou erschienen. Es war wie eine Vision. Irgendetwas be- droht sie. Ich muss sofort im Gestüt anrufen“, antwortete Nala.

      „Dort gibt es keinen Handy-Empfang. Erinnerst du dich nicht?

      Beruhige dich, wenn etwas Schlimmes passiert, ruft Emanuel sicher bei dir an. Können wir endlich ausreiten? Ich versteh ja, dass Lilou dir fehlt. Aber hier müssen wir mit dem wunderbaren, supergeni- alen, herzallerliebsten Gandalf vorliebnehmen.“ Rosalies ironische Art schlug in Krisen immer durch. Wortgewandt versuchte sie, jede schwierige Situation aufzulockern.

      „Und wie sollen wir mit nur einem einzigen Pferd ausreiten?“ Nala ließ sich nur widerwillig ablenken. Zögernd stieg sie auf den Vorschlag Rosalies ein.

      „Na, wir setzen uns eben zu zweit drauf! Schau dir den Riesen einmal genau an! Gandalf kann Baumstämme aus dem Wald holen und Kutschen ziehen. Was glaubst du, wie mühelos mein Großer uns beide trägt?“

      „Stimmt!“ Lächelnd streichelte Nala dem mächtigen Noriker über den Hals. Seine Nähe tröstete sie. Der robuste, warme Körper gab ihr gerade so viel Halt, dass sie die Sorgen und das bedrohliche Bild von Lilou verdrängen konnte. „Hat denn die Besitzerin Gan- dalfs nichts dagegen?“

      „Ach was, die kennt mich lange genug und wir verstehen uns sehr gut. Sie besteht nur darauf, dass ich stets mit Helm reite, das ist das Einzige, das ihr wichtig ist. Im Moment ist sie aus Zeitmangel kaum im Stall. Der Große und ich, wir haben so einige Schwierig- keiten miteinander gemeistert. Erst durch das Training mit mir ist er ein so spitzenmäßiges Reitpferd geworden“, prahlte Rosalie. Nach einer kurzen Nachdenkpause ergänzte sie etwas kleinlauter: „Na ja, wahrscheinlich ist ER eher MEIN Trainer, wenn ich ehrlich bin.“

      Am Brunnen


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