NALA - Der Hexenberg. Gabriela Proksch Bernabé

NALA - Der Hexenberg - Gabriela Proksch Bernabé


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schiedenen Welten kinderleicht hin- und herzuspringen. Wie alle roten Tiere ist Ratatöskr dem Donnergott Thor geweiht.

      „Ratatöskr? Wie spricht man DAS denn aus?“, staunte Rosalie.

      „Ich bin bloß froh, dass mein Eichhörnchen Fini heißt. Ratatöskr bringe ich, wenn‘s schnell gehen muss, sicher nicht fließend über die

      Lippen.“ Das Mädchen war überglücklich. Die Beschreibung ihres Medizintieres gefiel ihr. Besonders die Zugehörigkeit zum Donner- gott Thor fand sie aufregend.

      Nala sagte begeistert: „Stell dir das einmal vor! Das Eichhörn- chen lebt im Weltenbaum Yggdrasil. Das ist ein Zauberbaum, wie die alte Eiche! Vielleicht kann Fini durch die Kronen, Blätter oder Wurzeln der mystischen Bäume von einer Welt in die andere hüpfen. Es würde mich nicht wundern, dass so etwas möglich ist.“

      Rosalie sprach weiter: „Wieder hat sich ein rotbraunes Tier mit mir verbunden. Denk an Tanzendes Feuer, mein Pferd in der magi- schen Dimension! Sie ist eine Fuchsstute. Auch Gandalf schimmert rötlich. Wenn ich noch Zweifel hätte, ob Fini wirklich zu mir gehört, verschwinden sie bei jedem Wort aus diesem Buch mehr und mehr.“ Interessiert lasen die Hexenschwestern weiter:

      Die gewandten Wald- bewohner sind wage- mutige Kletterer und fliegen regelrecht von Baum zu Baum. Vorausschauend sam- meln sie Nahrung für die entbehrungsrei- che Winterzeit und vergraben ihren Vor- rat. Das kleine Tier knackt die härtesten Nüsse. Das bedeutet,

      dass die Menschen, die mit ihm verbun- den sind, selbst diese Fähigkeit haben und sie auch brauchen werden. Rätsel be- gleiten sie auf ihrem Weg. Das Krafttier Eichhörnchen ist ein liebenswerter Seelen- partner und spiegelt den sanften inneren Anteil des Wesens.

      „Tok, tok, tok“. Es klopfte ans Fenster. Die Mädchen sprangen gleichzeitig auf und flogen beinahe durchs Zimmer.

      „Das ist Tendo!... und Fini!“, riefen sie. Die beiden Tierverbün- deten saßen einträchtig am Fensterbrett. Als die Freundinnen die Fensterflügel aufrissen, flüchtete das scheue Eichhörnchen und klet- terte flink die Hausmauer entlang nach oben.

      „Psst, langsam!“, zischte Rosalie. „Fini ist nicht an uns ge- wöhnt. Sie ist schüchterner als der freche Rabe.“

      Der saß schon auf einer hohen Stange des Himmelbettes. Wie in Frankreich suchte sich der Vogel einen Platz, wo er den Überblick behielt. Nala hatte das verschlissene Buch gefunden, als Tendo in ihr Leben gekommen war. Im Kapitel über Raben erfuhr sie, dass diese schwarzen Gesellen Magie und Zauberei mit sich brachten, Götterboten waren und zuständig für das Hüten der magischen Gesetze. Als Gestaltwandler und Stimmkünstler verwandelten sie sich mit Leichtigkeit. Das berichteten jedenfalls die alten Märchen und Mythen. Außerdem schlossen sich Raben oft Wolfsrudeln an. Und ein Wolf war das Krafttier von Rosalie. Man konnte mehrere Tierverbündete um sich versammeln. Manche davon begleiten die Menschen, die sie beschützen als energetische Unterstützer. Ande- re Medizintiere werden auch in der Alltagswelt sichtbar. Feuerwolf wünschte sich innigst, dass sie, wie ihre Freundin, ein solches Kraft- tier begleitete. Jetzt war es so weit. Na ja, fast! Denn noch tanzte Fini die Hausmauer hinauf und hinunter.

      „Komm her, meine Süße“, lockte Rosalie mit weicher, ein- schmeichelnder Stimme.

      Und tatsächlich, nach sanftem Bitten näherte sich das rot- braune Tier dem Fensterbrett und sprang behände vom Regal zum Schreibtisch, verharrte kurz auf der Gardinenstange und landete im

      Himmelbett. Dort warteten die Mädchen. Nala hielt das Buch in der Hand, aber Rosalies Arme boten Platz für Fini. Das Eichhörnchen schnupperte mit seinem winzigen Näschen, der Schweif peitschte unschlüssig von rechts nach links, bevor es sich neben ihr zusam- menrollte. Vorsichtig streichelte Feuerwolf das unglaublich weiche Fell. Mit den Fingern konnte sie jeden Atemzug von Fini, ihrer neuen Freundin, fühlen. Welche Abenteuer würden sie wohl miteinander bestehen?

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      Wie im Flug vergingen die Tage, die Nala und Rosalie im Stall, im Wald und mit den Pferden verbrachten. Am Montag begann der Unterricht in ihrer neuen Schule. Natürlich waren die Freundinnen ein wenig aufgeregt, als sie im Klassenzimmer ankamen. Kurz ent- schlossen schnappten sie sich eine gemeinsame Bank, in der Fen- sterreihe. Hier konnten sie nach draußen sehen und gleichzeitig das Wetter beobachten. Das war wichtig für die Entscheidung, ob oder wo sie am Nachmittag ausreiten würden, und eine willkommene Ablenkung zum Unterricht. Die Tür wurde schwungvoll aufgerissen und ein älterer Lehrer mit Brille und Strickjacke stellte sich vor das Pult.

      „Mein Name ist Oskar Krämer. Ich bin euer Schulleiter und zuständig für den Unterricht in den praktischen Fächern. Mir ist klar, dass die meisten von euch sich eine Art Kunst-Hippie-Schule wünschen, in der ihr eure Kreativität auslebt. Das Entwerfen und Zeichnen ist zwar eine Seite des zukünftigen Berufes, zuerst lernt ihr jedoch das Handwerk. Ihr müsst rechnen, planen und sorgfältig sein, sonst wird es gefährlich in der Werkstatt und am Brennofen. Wir sind stolz darauf, dass sich Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Welt bei uns bewerben. Ihr habt es durch das Aufnahmever- fahren bis hierher geschafft. Gratulation. Im ersten Jahr hier tren- nen wir aber vor allem die Spreu vom Weizen. Verstanden?“

      Ein stummes Nicken ging durch die Klasse.

      „Nur weil ihr aufgenommen wurdet, könnt ihr es euch hier nicht bequem machen. Künstler oder Künstlerinnen seid ihr erst,

      wenn die letzte Prüfung absolviert ist. Davor heißt es üben, üben und nochmals üben. Ihr lernt, bis eure Köpfe mehr rauchen als die Brennöfen für das Glas.“

      „Das klingt überhaupt nicht lustig“, bemerkte Nala. Die beiden Freundinnen sahen sich bedrückt an.

      Herr Krämers Vortrag ging sofort weiter: „Keine Angst, ich bei- ße nicht. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass phantasievolle Men- schen wie ihr vor allem Disziplin brauchen, um Ideen umzusetzen. Wir wollen nämlich, dass die schönen Entwürfe nicht bloß in euren Köpfen herumgeistern, sondern konkret werden. So, und jetzt die Klassenliste! Ich rufe euch einzeln auf.“

      Nach ein paar Aufrufen von Mitschülern trompetete er in einem militärischen, forschen Tonfall: „Krahbichler Nathalie?“

      „Hier!“, erwiderte Nala, deren offizieller Name eigentlich Na- thalie war. Ihr kleiner Bruder konnte das komplizierte Wort nicht aussprechen und kürzte es einfach ab. Nala gefiel allen gut und so blieb dieser Spitzname erhalten. „Das geht ja gut los“, dachte sie.

      „Allzu freundlich scheint der Klassenlehrer nicht zu sein.“

      „Ledermaier Vinzenz?“ „Ist da“, ein mit Sommersprossen über- sätes Gesicht grinste dem Lehrer keck entgegen.

      „Lundström Ilvy!“, eine Schülerin mit weißblonden, raspelkur- zen Haaren hob die Hand. „Bin hier“, sagte sie mit einem süßen, nordischen Akzent.

      „Puri Malini?“, las der Lehrer etwas stockend vor. „Here“, ant- wortete das hübsche, asiatisch aussehendes Mädchen unsicher.

      „Die beiden sind sicher durch das internationale Programm in

      die Schule gekommen“, vermutete Nala. „Ich finde es toll, dass so viele verschiedene Menschen hier sind.“

      „Sonnhofer Rosalie?“ „Hier!“

      Insgesamt wurden 21 Schülerinnen und Schüler aufgerufen. Anschließend folgte eine Führung durch das gesamte Gebäude. Au- ßer den Klassenräumen gab es verschiedene Werkstätten. Die Wän- de waren gepflastert mit den fantastischsten Entwürfen für Lam- pen, Gläser oder Kunstwerke in leuchtenden Farben. Beeindruckt zogen die Neuen durch die Gänge.

      „Wow, die Skizzen


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