NALA - Der Hexenberg. Gabriela Proksch Bernabé

NALA - Der Hexenberg - Gabriela Proksch Bernabé


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      Feuerwolf ergänzte: „Hoffentlich ist er nicht total humorlos. Im Dorf hat er den Ruf zwar sehr streng, aber gerecht zu sein.“

      „Diese Schule ist mein absoluter Traum. Das lass ich mir doch nicht gleich von einem unfreundlichen Lehrer vermiesen. Die an- deren scheinen recht nett zu sein.“ Nala blickte sich um. Sie hatte schlechte Erfahrungen mit ihren früheren Mitschülern gemacht. Aber seit dem letzten Sommer hatte sich einiges geändert und dieser bunte, internationale Haufen wirkte spannend und freundlich. Au- ßerdem gab es hier Rosalie. Gemeinsam mit ihrer Freundin fühlte Nala sich viel stärker. Als Herr Krämer die Tür zur Werkstatt der modernen Glasbläserei aufstieß, staunten die beiden Mädchen. Hit- ze schlug ihnen aus den Brennöfen entgegen. Schleifgeräte wurden von älteren Schülern bedient und lärmten. Auf den Regalen standen Glaskunstwerke. Die Atmosphäre war so lange locker und freund- schaftlich, bis Oskar Krämer den Raum betrat. Die rundliche Leh- rerin im weißen Arbeitsmantel grüßte ihn förmlich. Man hatte das

      Gefühl, dass sogar sie die Luft anhielt, bei der Begegnung mit dem Direktor. Die Bewegungen der vor sich hin werkelnden Jugendlichen, wirkten nun angespannt und linkisch. Dieser Lehrer lähmte alles.

      „Hast du es auch bemerkt?“, fragte Nala und zog die Schultern hoch. Es war, als würde die Wärme aus ihrem Körper gezogen.

      „Klar, das ist irgendwie unheimlich.“ Rosalie schaute besorgt.

      „Was ist mit dir?“

      „Ich weiß nicht. Bisher habe ich mich nie vor einem Lehrer ge- fürchtet.“ Nala war selbst erstaunt, dass sie sich von der Stimmung derart mitreißen ließ. Zurück im Klassenzimmer durften sie ihre Skizzenblöcke und Graphitstifte herausholen. Die Aufgabe war, das verkündete Herr Krämer, ein Fabeltier zu zeichnen. Es sollte später die Vorlage für eine Arbeit in Glas sein. Man nannte die Technik

      „fusing“. Dabei wurden Formen aus Glasplatten geschnitten, ver- schiedenfarbige Teile übereinandergelegt, gebrannt und somit ver- schmolzen. Hängte man das fertige Glasbild zum Beispiel vor ein Fenster, leuchtete es durch die Sonnenstrahlen, die es durchdrangen. Aufregend, es sollte die Rohskizze für ihr erstes Kunstwerk werden!

      „Dann lasst mich einmal eure Idee sehen...“, in fast drohendem Tonfall forderte Herr Krämer sie auf, ein paar Entwürfe zu Papier zu bringen. Nalas Hand war jedoch wie versteinert. Ihr Gehirn fühlte sich schwammig und leer an. Rosalie beugte sich über ihr Zeichen- papier und legte los. Wie durch einen Schleier sah Sternenträumerin zu, wie ihre Freundin die Stifte benutzte. Sie zog kräftige Striche, schraffierte Licht und Schatten, während Nala Löcher in die Luft starrte.

      „Was ist los mit dir?“, wisperte Rosalie ihr zu. „Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“

      „Ich versuch zu zeichnen, aber mir fällt absolut nichts ein. Nun bin ich endlich hier, am Ziel meiner Träume, und versage kläglich.“

      Verzweifelt blickte Nala auf das weiße Blatt Papier, das vor ihr lag. Bevor sie ganz aufhörte zu atmen, musste sie etwas unterneh- men. Was könnte ihr nur die Kraft, den Mut und die Lebensfreude zurückbringen, die sie in der letzten Stunde verloren hatte? Nala schloss die Augen, atmete tief ein. In einer Vision erschien ihr die weiße Araberstute Lilou. Sternenträumerin erinnerte sich daran, wie sie endlich auf dem scheuen Pferd gesessen und mit ihr über die Weide galoppiert war. In Nalas Körper breitete sich ein Gefühl von Heimat aus. Iyuptala, Einssein sein mit Allem. Das gab ihr Mut. Zö- gernd begann sie mit ein paar unsicheren Bleistiftstrichen. Es half, einfach loszulegen. Das Zeichnen, das Nala so liebte, entspannte das Mädchen. Wie sie es schon oft erlebt hatte, flossen Formen und Schraffierungen aus ihren Fingern. Ein Pegasus entstand. Ein Pferd, das sich mit den Vorderbeinen erhob, um in die Luft zu steigen. Flügel breiteten sich aus. Er war frei. Langsam kehrte wieder ein Lächeln in Nalas Gesicht zurück. Ja, so fühlte sie sich, wenn sie mit einem Blatt Papier und einem Stift in ihre Phantasiewelt eintauchte. Sie vergaß die Welt um sich herum. Sogar den furchteinflößenden Direktor konnte Nala ausblenden. Mit einem zufriedenen Seufzer lehnte sie sich zurück. Sie blinzelte auf das Blatt, das vor Rosalie lag und entdeckte darauf einen Drachen. Die Zeichnung wirkte leben- dig und ausdrucksstark. Dieses feurige Fabelwesen war typisch für ihre ungestüme Freundin.

      „Hmhmmm!“, räusperte sich Herr Krämer und blickte den bei- den Mädchen über die Schulter. „Da habt ihr ziemlich wilde Tiere aufs Papier gebracht. Ich hoffe, ihr könnt euer Temperament beim Arbeiten in der Werkstatt besser zügeln.“ Sein Tonfall war ernst aber auch amüsiert. „Fürs Erste sind das gute Entwürfe. Jetzt müsst ihr sie so vereinfachen, dass man durch den Umriss den Charakter eures Fabeltieres erkennt. Und weiter...! Nächster Arbeitsschritt.“

      „Hoffentlich geht’s Lilou gut...“ Nala war mit den Gedanken bei ihrem Liebling.

      „Am Nachmittag reiten wir los, sonst wirst du noch verrückt“, sehnsüchtig schaute Rosalie aus dem Fenster. Flog da nicht Tendo vorbei?

      Es war eine besondere Gesellschaft, die voller Sorge auf die große, alte Eiche zuging. Greta, die Reitlehrerin und Besitzerin des Gestüts, Emanuel der junge, angehende Pferdewirt, in den Nala sich verliebt hatte, Paul, ein erfahrener Pferdepfleger und Claire. Sie war die Kö- chin und Hüterin des uralten Steinkreises rund um den Baum. Wie immer trug sie bunte, verrückte Klamotten und das Haar war zu einem wirren Knoten zusammengesteckt. Ihre Frisur ging locker als Vogelnest durch. Nala hatte diesen Kraftplatz unter dem magischen Baum im Sommer in höchster Not entdeckt. So wurde die Flucht vor den anderen Jugendlichen, die ihr einen üblen Streich gespielt hat- ten, zu ihrem größten Glück. Als Sternenträumerin den Steinkreis betreten hatte und sich in ihrer Verzweiflung unter die Eiche setzte, gelangte sie in eine Zauberwelt. Das Tor in diesen Traumraum wur- de jedoch nur für besondere Menschen geöffnet. Für Menschen, die sich ganz auf die andere Wirklichkeit einlassen wollten, die phanta- sievoll und mutig waren.

      „Es ist Zeit, Blaue Feder zu treffen“, sagte Claire. Gemeinsam schritten die vier Bewohner des Gestüts „Zur Großen Eiche“, auf Französisch „Aux Grande Chêne“ über die Lichtung. „Lilou darf nicht zu ihren Besitzern zurück! Sie haben die schöne, weiße Ara- berstute echt mies behandelt. Nala hat das Pferd mit all ihrer Liebe ins Leben zurückgeholt. Endlich hat es wieder Vertrauen gefasst und jetzt sollen wir es einfach in den Hänger laden und seinem Schicksal überlassen? Diese gefühllosen Menschen fordern, dass Lilou bei Di- stanzrennen mitläuft und Preisgelder gewinnt. Nicht mit mir!“

      Gretas zornige Schritte wurden immer länger. Die groß gewach- senen Reitlehrerin ging eilig auf den Steinkreis zu. Dabei wippte ihr dunkler, dicker Zopf, der bis fast zur Hüfte baumelte, wild hin und her. „Nein! So geht das wirklich nicht! Zuerst schicken sie uns ein verstörtes, verschrecktes Pferd, und sobald seine seelischen Wunden anfangen zu heilen, wollen die Besitzer es als Sportpferd verheizen. Lilou ist einfach nicht dafür gemacht! Und selbst wenn, bräuchte die Stute viel mehr Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen und sich zu erholen. Blauer Feder fällt hoffentlich eine Möglichkeit ein, wie wir dieses wundervolle Tier hierbehalten können.“

      Kopfschüttelnd schritt Paul, der alte Pferdepfleger, neben Gre- ta her. Seinen Strohhut schob er nachdenklich in den Nacken und runzelte die Stirn. Er machte nie viele Worte um ein Problem. Umso entschlossener setzte er sich für die Lösung ein.

      Am Rand des Steinkreises blieb die Reitlehrerin stehen. Sie war- tete, bis die ganze Gruppe sich vor den beiden größeren Felsbrocken versammelten, die wie ein Tor wirkten.

      Emanuel war aufgeregt. Zum ersten Mal reiste er mit den er- wachsenen Mitgliedern der Zopfmenschen in die Zauberwelt. Alle kannten die Regeln, um dorthin zu gelangen.

      Bewusst und achtsam in den Steinkreis treten.

      Mit der Natur vollkommen verschmelzen und sich mit allen Sinnen mit der Umgebung verbinden.

      Sich auf den Wunsch konzentrieren, Blaue Feder zu treffen. Den Rücken an den starken Stamm gelehnt, ließen sich die er-

      fahrenen


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