Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 4 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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ihr denn keine Angst? Ihr habt doch gehört, was der Ingenieur gesagt hat. Der alte Gang ist baufällig.«

      »Wir haben überhaupt nie Angst!«, versicherte Torsten im Brustton der Überzeugung. Beruhigend drückte er dabei die Hand seines Schwesterchens.

      »Wir verraten auch ganz bestimmt nichts«, versprach Tanja, die sehr genau verstanden hatte, um was es ging.

      *

      Krachend fuhr die geballte Faust des Schuhfabrikanten Johannes Ertel auf die schwere Eichenplatte seines Schreibtisches nieder.

      »Eine Urlaubsreise nach Thailand! So etwas Blödes konnte auch nur meinem Bruder einfallen. Jetzt habe ich den Ärger mit der Beerdigung und die Scherereien mit dem Nachlass. Viel wird es ja nicht sein, was mein Bruder als Rechtsanwalt verdiente. Er war eben immer ein Träumer. Weltfremd und voll dummer Ideale.«

      Claudia Ertel, die einzige Tochter des reichen Schuhfabrikanten, schwieg. Sie war ganz anderer Ansicht als ihr Vater, doch es hatte überhaupt keinen Sinn, mit ihm darüber zu sprechen. Johannes Ertel war unglaublich rechthaberisch, und es war noch keinem gelungen, gegen seinen Willen anzukommen.

      Claudia hatte ihren Onkel und seine Frau sehr gern gemocht. Die beiden hatten aus Liebe geheiratet. Es hatte ihnen nichts ausgemacht, dafür mit Enterbung bestraft zu werden. Mit eiserner Energie hatte der Onkel sein Examen gemacht und eine kleine Anwaltskanzlei eröffnet. Was er damit verdient hatte, ließ sich nicht mit dem Ertrag der Schuhfabrik vergleichen, doch es hatte gereicht, um sorgenfrei zu leben.

      Klein und schmal saß Claudia in dem wuchtigen Sessel vor dem Schreibtisch ihres Vaters. Sie hatte geweint, als sie von dem Flugzeugabsturz gehört hatte. Doch für derartige Regungen hatte Johannes Ertel kein Verständnis. Er hatte seine Tochter hart erzogen, hatte versucht, einen Jungen aus ihr zu machen. Doch je älter Claudia geworden war, um so mehr hatte er einsehen müssen, dass seine Bemühungen fruchtlos waren. Seine Tochter hatte sich zu einem überaus hübschen zarten Mädchen mit weichen Gesichtszügen, lockigem braunem Haar und klaren grünen Augen entwickelt. Ein faszinierender Glanz ging oft von diesen Augen aus. Ein Glanz, dessen Wirkung sich auch Johannes Ertel nicht immer entziehen konnte.

      »Das größte Problem werden die Kinder sein«, schnaubte der Mann hinter dem Schreibtisch erregt.

      »Man hat mich zu ihrem Vormund bestellt. Das passt mir überhaupt nicht. Habe ich denn nicht genug mit der Fabrik zu tun? Muss man sich auch noch mit derartigen Dingen belasten? Das Schlimme dabei ist, dass ich als Bruder der Eltern nicht ablehnen kann.«

      »Tanja und Torsten sind liebe, brave Kinder. Sie werden dir keine Schwierigkeiten machen.«

      »Du kennst sie?«, fragte Johannes Ertel streng.

      »Wenn man in ein und derselben Stadt wohnt, trifft man sich zwangsläufig.«

      »Du vielleicht, ich nicht. Ich habe meinen Bruder und seine Frau seit damals, als mein Vater ihn aus dem Haus wies, nicht mehr gesehen. Du weißt ja, dass er nicht damit einverstanden war, dass mein Bruder ein Mädchen heiratete, das im Waisenhaus aufwuchs. Inzwischen ist Vater gestorben, und ich habe seine Pflichten übernommen. In diesem Zusammenhang habe ich dir verboten, dich mit deinem Onkel zu treffen.« Die Stimme des Mannes wurde immer lauter, immer drohender.

      Claudia senkte den Kopf und presste fest die Lippen aufeinander. Was hätte sie auch erwidern sollen? Sie war dreiundzwanzig und musste sich noch immer behandeln lassen wie ein kleines unmündiges Mädchen. Der Vater hatte bestimmt, dass sie Betriebswirtschaft studierte, obwohl sie den Wunsch gehabt hatte, Säuglingsschwester zu werden.

      »Was den Jungen betrifft, so kann er zunächst bei uns wohnen. Dabei wird sich herausstellen, ob er ein echter Ertel ist und sich für meine Pläne eignet«, fuhr der Schuhfabrikant fort.

      »Und was ist mit Tanja?«, fragte Claudia schüchtern.

      »Eigentlich müsstest du wissen, dass ich mir immer einen Sohn gewünscht habe. Ein Mädchen ist uninteressant für mich. Mein Bruder hat in dieser Hinsicht mehr Glück gehabt.«

      »Du willst die Kinder trennen?«, unterbrach Claudia den Redeschwall ihres Vaters.

      »Warum denn nicht? Das Mädchen kann im Heim bleiben, der Junge wird hier erzogen.«

      »Aber die beiden sind doch Geschwister. Sie waren bisher immer beisammen. Jetzt, nachdem sie die Eltern verloren haben, fühlen sie sich bestimmt noch mehr zusammengehörig.«

      »Sie werden sich rasch umgewöhnen«, sagte Johannes Ertel in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Vielleicht fahre ich gleich morgen zu diesem Kinderheim, um den Jungen zu holen.«

      Es kam nur selten vor, dass Claudia ihrem Vater widersprach. Doch diesmal nahm sie all ihren Mut zusammen und sah ihm fest in die Augen. »Bitte, Papa, lass doch beide Kinder kommen. Wir haben so viel Platz hier. Und auch beim Essen macht es kaum einen Unterschied, ob eine Person mehr am Tisch sitzt.«

      Johannes Ertel wich dem Blick der Tochter aus und tat, als lese er in den Unterlagen, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen.

      »Du siehst das völlig verkehrt. Ein Kind wird sich mühelos in die Gemeinschaft einfügen. Zwei Kinder bringen Unruhe und Durcheinander.«

      »Aber sie fühlen sich wohl und haben kein Heimweh«, gab Claudia zu bedenken. Sie dachte bereits daran, dass es hübsch sein musste, den kleinen Cousin und die Cousine im Haus zu haben. In diesem Haus, in dem alles so steif und würdevoll war. In diesem Haus, durch dessen schwere Samtportieren nur selten ein Sonnenstrahl drang. Luxus und Überfluss waren selbstverständlich hier. Doch Heiterkeit war unbekannt.

      »Mit solchen Gefühlsduseleien rechne ich nicht. Und du solltest es auch nicht tun. Ein Mensch, der es im Leben zu etwas bringen will, kann sich das einfach nicht leisten. Wann wirst du das begreifen?«

      »Hier geht es doch um Kinder, Papa«, wagte Claudia einzuwenden. Der raue Ton, in dem Johannes Ertel von den Kleinen sprach, tat ihr weh.

      »Das spielt überhaupt keine Rolle. Je eher sie lernen, sich zu fügen, um so besser ist es für sie. Du hast mir immer gehorcht. Hast du schon einmal Nachteile dadurch gehabt?« Selbstgefällig lehnte sich Johannes Ertel zurück. »Du wirst noch in diesem Jahr einen Mann heiraten, um den dich alle beneiden. Er ist jung, sieht gut aus und ist reich. Was willst du mehr?«

      »Ich liebe ihn nicht«, murmelte Claudia und erschrak zugleich über ihren eigenen Mut. Anfangs war sie sich über ihre Gefühle zu Horst Grebe nicht ganz klar gewesen. Doch je mehr sie ihn kennenlernte, um so mehr kam sie zu der Überzeugung, dass sie ihn niemals lieben konnte. Er war arrogant, anspruchsvoll und egoistisch.

      Johannes Ertel lachte polternd. Sein feistes Gesicht glänzte. »Liebe! Was ist das eigentlich? Ein Wort, hinter dem nichts steht. Viel wichtiger ist doch, dass die Kasse stimmt. Und das ist bei Horst Grebe der Fall. Seine Großmama hat ihm ein unschätzbares Vermögen hinterlassen. Ich selbst habe das Testament gesehen. Horst ist ein Mann, der jedes Mädchen bekommen könnte. Du solltest froh und dankbar sein, dass ich es so arrangieren konnte, dass seine Wahl auf dich fiel.«

      Claudia presste die Lippen zusammen. Mit geheimem Missbehagen dachte sie an die Verlobung, die in einer Woche stattfinden sollte. Horst hatte bereits das Festessen im teuersten Lokal der Gegend bestellt. Er würde bei dieser Gelegenheit wieder einmal glänzen und sich in seiner Eitelkeit sonnen. Wenn sich alles um ihn drehte, fühlte er sich wohl, dann war er zufrieden. Und er war gern bereit, sich diesen Spaß etwas kosten zu lassen.

      Zufrieden rieb sich Johannes Ertel die Hände. »Du wirst leben wie eine Fürstin, und das ist es, was zählt. Glaub mir, Claudia. Später wirst du mir einmal dankbar sein.« Noch nie hatte Johannes Ertel sich gefragt, ob sein künftiger Schwiegersohn einen guten Charakter hatte. Für ihn war nur sein Geld wichtig.

      Claudia wusste, dass es sinnlos war, den Vater auf Horst’ arrogantes Benehmen oder auf seine schlechten Manieren aufmerksam zu machen. Deshalb schwieg sie auch jetzt.

      »Wenn du mich verlässt, brauche ich einen anderen Nachfolger. Und deshalb werde ich den Sohn meines Bruders zu mir nehmen. Wenn sich


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