Eine echte königliche Affäre. Helen Juliet
Haarsträhne hinter ihr Ohr. »Wir möchten dich wenigstens so lange respektabel halten, bis du die Leute begrüßt hast.«
Die Art und Weise, wie sie die Leute sagte, klang für ihn schon immer eher wie schmutzige Bauern, und es würde auch immer so klingen. Schon vor ihrer Einheirat in die königliche Familie war Celia Grantham nie eine einfache Bürgerliche gewesen. Als Tochter eines Lords hatte sie noch nie Probleme mit dem Privileg gehabt, in das sie hineingeboren worden war, soweit James wusste.
Nachdem James alle fünf kleinen pelzigen Köpfe gestreichelt und die Bäuche der Meute gekitzelt hatte, stand er wieder auf. Es überraschte ihn nicht, dass Iggy jemanden aus dem Nichts herbeigeholt hatte, um sofort mit einer Kleiderbürste seine Hose zu bearbeiten. James war der Einzige, der sich bei ihm bedankte.
»Ist Oma denn hier?«, fragte James. Es war eine logische Schlussfolgerung, wenn ihre Hunde in der Nähe waren. Es wäre schön, sie zu sehen.
Seine Mutter schüttelte jedoch den Kopf. »Sie und der Herzog von Edinburgh sind in Kanada. Dein Vater hat darauf bestanden, auf die Hunde aufzupassen.«
Es war offensichtlich, dass sie die Anwesenheit von Hunden in ihrer Umgebung genauso empfand wie die Interaktion mit einfachen Bürgerlichen. Aber James liebte die Hunde, was er zeigte, indem er wieder nach unten griff, um Bertie zu streicheln, als er seine Pfoten auf James’ Bein legte und mit dem Schwanz wedelte. Der arme Kammerdiener sah gequält aus. Er hob wieder seine Bürste, da es ihn offensichtlich in den Fingern juckte, James haarfrei zu halten.
»Tut mir leid«, sagte James zu ihm.
Seine Mutter lenkte seine Aufmerksamkeit von den Hunden ab, indem sie ihm einen Stapel Karten, auf denen offenbar Namen standen, unter die Nase hielt.
Eiseskälte überkam James, seine gute Laune verschwand. »Das muss ich doch nicht lesen, oder?«, fragte er und versuchte, nicht zu stottern.
Seine Mutter schnaubte und strich ihr cremefarbenes Bleistiftkleid mit ihren perfekt manikürten Händen wieder glatt. »Nein«, antwortete sie und zog das Wort verzweifelt in die Länge. »Einer der Mitarbeiter wird jeden Gast ankündigen. Du musst nur Hände schütteln und jedem ein paar Worte mitgeben, um ihnen zu sagen, wie besonders und wichtig sie sind.«
»Sie sind besonders und wichtig«, murmelte James, als der Diener seine Hose noch einmal abbürstete. Der arme Mann blickte die Hunde an, die James umkreisten, als würde er sie davor warnen, ihn noch einmal anzuspringen. »Sonst würden sie keine Auszeichnungen erhalten.«
»Nuschle nicht, Liebes«, erwiderte seine Mutter fröhlich und richtete seinen Kragen.
»Die Karten sind nur für den Fall, dass Ihr Hilfe benötigt«, sagte Iggy und schenkte James ein kaltes Lächeln.
Zum Teufel damit. Iggy hatte sie ihm nur gegeben, um ihn zu ärgern. »Keine der Informationen hat sich seit Dienstag geändert, oder?« Da hatte Livy ihm die Audiodatei geschickt, wo sie alles vorgelesen hatte. Er hatte den ganzen Mittwoch und Donnerstag damit verbracht, sie als Vorbereitung für heute Morgen auswendig zu lernen.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte seine Mutter abwesend. Sie hatte gerade etwas auf ihrem Handy gelesen.
Na schön.
James würde das tun, was er immer tat. Er würde sich jeden einzelnen Namen anhören, der gesagt wurde, und ihn abspeichern, als hinge sein Leben davon ab. Hoffentlich würden sie mit denen übereinstimmen, die er bereits von der Aufnahme her kannte. Er hatte vielleicht nicht die Gelegenheit gehabt, in seinem Leben bisher viel zu erreichen, aber in den dreißig Jahren hatte er noch nie eine öffentliche Veranstaltung vermasselt. Diese Zeremonie bedeutete für alle Anwesenden etwas. Das wollte er nicht trüben.
Er steckte die Karten in seine Anzugtasche. Er trug heute keine Dienstkleidung, obwohl er, technisch gesehen, immer noch in der Armee diente. Da es sich um eine zivile Veranstaltung handelte, trug er einen seiner maßgefertigten Anzüge aus Savile Row. So schön er auch war, so hatten doch seine blauen und königlichen Insignien etwas, das ihm das Gefühl gab, kampfbereit zu sein. Wahrscheinlich, weil das der eigentliche Zweck war. Die Gäste waren aber nicht seine Feinde. Und auch seine Mutter und Iggy waren es nicht. Es sei denn, er machte sie dazu.
Er sammelte sich und gewann etwas von seiner Entschlossenheit von vorhin zurück. Die Menschen, die er treffen würde, waren fleißig und hatten Außergewöhnliches für ihre Gemeinden geleistet. Es war seine Aufgabe, die Königsfamilie zu repräsentieren und sie für ihr Lebenswerk zu beglückwünschen. Er wollte diesen Tag genießen. Sobald die Feierlichkeiten vorbei waren, könnte er wieder darüber nachdenken, was genau er mit seinem Leben anfangen wollte. Oder mit wem er es möglicherweise verbringen wollte.
3
Theo
Theo schämte sich nicht, dass er weinte. Er war so überwältigt, als seine Oma vorsichtig den Gang im Zeremoniensaal des St. James-Palastes entlangging. Sie stand aufrecht, damit Prinz James höchstpersönlich den Orden an ihre Jacke heften konnte.
Zum Glück gab ihm eine nette Dame, die neben ihm saß, ein Taschentuch und ein warmes Lächeln. »Ich werde auch anfangen müssen zu weinen, wenn mein Mann nach oben geht«, vertraute sie Theo an.
Seine Oma hatte ihr ganzes Leben lang unermüdlich gearbeitet und alles getan, was sie konnte, um den Menschen in ihrer Umgebung zu helfen. Es hatte als Hobby begonnen, als Theos Großvater noch gelebt und in der Ford-Fabrik gearbeitet hatte. Aber jetzt war daraus ein Leben voller Wohltätigkeit geworden. Sie betrieb Suppenküchen im Gemeindezentrum und half freiwillig dabei, Kindern das Lesen beizubringen. Sie organisierte Trödelverkäufe und Backwettbewerbe, um Geld für Kliniken zu sammeln. Sie sorgte dafür, dass die Treffen der Anonymen Alkoholiker immer einen Raum hatten, und organisierte Spielzeugspenden vor Weihnachten für Kinder, die unter der Armutsgrenze lebten. Aber in letzter Zeit leitete sie die Rainbow Houses, mehrere Resozialisierungszentren für LGBT-Jugendliche, die sonst nirgendwo hin konnten. Der Stadtrat war zwar immer noch Eigentümer der Grundstücke, aber sie sorgte dafür, dass sie mit den grundsätzlichen Dingen ausgestattet waren, und brachte die Kinder dazu, sich mit den Beratern ihrer Schulen zu treffen und mit ihnen zu reden, um ihre Möglichkeiten zu besprechen, nachdem ihre Familien sie verlassen hatten. Sie verbrachte eine halbe Woche damit, diesen Jugendlichen das Kochen beizubringen, und half ihnen bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz. Sie konnte selbst kaum einen Computer einschalten, aber sie war mit unaufhörlicher Zuversicht dabei, um die Kinder dazu zu bringen, an ihren Lebensläufen zu arbeiten oder sich an ihren örtlichen Colleges zu bewerben.
Theo wünschte, er wüsste nicht aus erster Hand, wie es sich anfühlte, in dieser Position zu sein. Wenn er nicht seine eigenen Schwierigkeiten gehabt hätte, würde seine Oma dieser bestimmten Minderheit nicht helfen. Also sagte er sich, er sollte stolz und dankbar dafür sein, wie sich sein Schicksal entwickelt hatte. Jetzt half er seiner Oma bei allen Dingen, die sie begonnen hatte, und bemühte sich, damit niemand allein war und jeder die Hilfe bekam, die er brauchte. Es war nie leicht, mit dem Nichts an Budget zu haushalten und Spenden zu sammeln, aber Theo wusste, dass er ein Händchen dafür hatte. Immer wenn er an sich zweifelte oder an seinen Möglichkeiten verzweifelte, erinnerte er sich daran, dass diese Kinder außer ihn und Oma niemanden hatten, auf den sie sich verlassen konnten. Es war erstaunlich, was man mit einer Facebook-Seite und Knochenarbeit erreichen konnte, wenn man es für jemand anderes tat.
Theo klatschte kräftig Beifall, als eine weitere Frau ihren Orden des Britischen Empires erhielt, die Auszeichnung für jene, die sich in herausragender Weise für ihre Gemeinde eingesetzt hatten. Zu sehen, wie so viele anständige Menschen für ihre harte Arbeit anerkannt wurden, reichte aus, um den Glauben an die Menschheit wiederherzustellen. Es war leicht, das Schlimmste von seinen Mitmenschen zu erwarten. Aber da er von so vielen anderen wie seiner Oma umgeben war, musste er seinen Zynismus beiseiteschieben.
Nun war die Zeremonie fast vorbei, Theo entspannte sich ein wenig. Er saß mit den anderen Begleitpersonen im Zeremoniensaal. Die Geehrten wurden einer nach dem anderen nach der Preisverleihung nach hinten begleitet, wo er sich wieder mit seiner Oma treffen konnte. Er musste gestehen, dass das Innere des St. James-Palastes viel schöner war