Ein Verteidiger. Dietrich Theden

Ein Verteidiger - Dietrich Theden


Скачать книгу
fuhr Bendring lachend fort. »Ob sie beißen heut?«

      Kietz schielte zur Seite.

      »Kann sein – oder auch nicht – jo,« sagte er grollend.

      Der Anwalt sprang ins Boot und stieß vergnügt ab.

      »Vergessen Sie den Morgengruß für meine Braut nicht!« rief er noch dem Alten zu.

      »Nee – jo,« kam die Antwort.

      Kietz blinzelte dem Davonrudernden nach. Auf seinem faltigen Gesicht lag plötzlich wieder Sonnenschein.

      »Jo, jo, jo,« murmelte er schmunzelnd.

      Die Braut des alten Gastes hatte es ihm angethan.

      Er verließ den Steg, ging über die Wiese und durch eine kleine Holzung und trat auf ein Roggenfeld, um nach Kornblumen und Mohn zu suchen. Die künftige Frau Bendring liebte die schlichte Kaiserblume und die grellrote Blüte des aufdringlichen Mohns, und wie der alte Fischer nachts, wenn alle schliefen, an den Gebäuden und unter den Hecken nach Metten für den Anwalt suchte, so durchstreifte er morgens, wenn die aufgehende Sonne ihre Strahlen belebend über die Landschaft sandte, die Felder nach den Lieblingen der jungen Braut. Er war zufrieden, wenn ihm mit einem freundlichen Blicke aus den rätselhaften tiefen Augen gelohnt wurde, und überglücklich, wenn die kleine, weiche Hand der jungen Dame dankend seine harte Riesenfaust zu umspannen versuchte.

      Das Rudern war für den Rechtsanwalt ungewohnt und anstrengend, und Kietz hatte in den ersten Tagen das ehrliche Gesicht zu einem amüsierten Grinsen verzogen, wenn er den Berliner mit der ›Nußschale‹ sich abquälen und ihn alle Augenblicke die Ruder zum Ausruhen einziehen sah. Die ›Prinzeß Charlotte‹ war indes trotz ihres stolzen Namens nichts als ein schweres Fischerboot, praktisch für ihren Zweck und vorzüglich für den Angelsport, aber für Dauerfahrten nur den eisernen Muskeln des alten Fischers gehorsam.

      Dr. Bendring schaute nach halbstündigem Rudern über die Schulter nach seinem Ziel.

      Gottlob, es war nicht mehr fern. Der ›grüne Fleck‹ in der blauen Seefläche war deutlich erkennbar.

      Die grüne Färbung des Wassers war das Zeichen, daß sich vom Grunde des Seebeckens ein Berg bis dicht unter den Wasserspiegel erhob. Der Anwalt hatte sich vor Jahren die auffallende Erscheinung von dem alten Fischer erklären lassen müssen. Der Berg ragte bis etwa drei Faden unter dem Wasserspiegel empor; bei hellem Sonnenscheine war der gelbe, sandige Gipfel dem Auge sichtbar, und dieses Gold des Sandes gab, vermischt mit dem Blau des Wassers oder des sich spiegelnden Himmels, das charakteristische Grün, das, je nach der Beleuchtung von bedecktem oder wolkenlosem Firmament, zwischen sattem Sommerdunkel und weißschimmerndem Frühgrün wechselte.

      Der Rechtsanwalt ruderte um so vorsichtiger, je näher er dem Berge kam, zog am Ziel die Ruder ein und ließ behutsam den Anker in die Tiefe gleiten. Dieser faßte bald und zeigte damit dem Bootsführer an, daß er sich in der Ortsbestimmung nicht getäuscht hatte.

      Fritz Bendring hielt sein Angelzeug imstande und hatte keine Mühe, es gebrauchsfertig zu machen. Nach wenigen Minuten ragten die beiden schlanken Bambusschäfte über das Boot hinaus, und die rotgefärbten Korken schwammen träge auf dem fast wellenlosen Spiegel.

      Das Wasser war durchsichtig klar, und mühelos konnte der Angler den Berggipfel erkennen; aber vergebens spähte er nach dem Aufblitzen der grüngoldenen Schuppenpanzer der Barsche aus …

      Der Morgen war köstlich. In tiefem Blau spannte sich das Himmelsgewölbe aus, matt schimmerte im Tageslicht die Mondsichel. Die Luft war rein und frisch, und ein zuweilen niederstreichender Windhauch vermochte kaum stellenweise den Seespiegel zu kräuseln.

      Dr. Bendring hatte der in weiter Ferne sichtbaren Stadt Plön den Rücken zugekehrt, und sein Blick haftete, wenn er sich von den roten Korken der Angeln löste, an dem Ascheberger Ufer des Sees. Bis weit nach rechts hin dehnte sich hinter hohem Ried ein dunkelgrüner, hügeliger Waldsaum; geradeaus grüßte aus einer Ellerngruppe das braune Strohdach des Bootshauses und von links durch einen Parkweg und zwischen Buchenwipfeln aufragend das gräfliche Schloß Ascheberg. Der hauptstädtische Kurgast hatte vor dem alten Herrensitze keinen sonderlichen Respekt; aber er mußte zugeben, daß in der hellen, freudigen Morgenstimmung der Anblick vom See aus von bestechend malerischer Wirkung war.

      Die roten Korken rührten sich nicht, und es war kein Zweifel: die Barsche, die sonst den Aufenthalt an dem Abhange des Berges liebten, mußten auf die Wanderschaft gegangen sein.

      Bendring verlor die Geduld nicht; er machte es sich nach Möglichkeit bequem und gab sich einer ebenso freundlichen als kurzweiligen Beschäftigung hin: dem Bauen von Luftschlössern auf dem Boden des nahen Eheglücks.

      Seit zwei Monaten war er verlobt; nach wenigen weiteren Monden würde er verheiratet sein.

      Er lachte in sich hinein.

      Es würde ihm merkwürdig vorkommen, wenn er die Geliebte, deren herb verschlossenes Wesen ihm die Annäherung schwer genug gemacht hatte, täglich und stündlich vertraut um sich sehen würde. Nahm er in der Frühe seine Aktenmappe unter den Arm, um nach dem Gericht zu eilen und für Müller oder Meyer, Schulze oder Lehmann zu plaidieren: »Guten Morgen, Hedwig!« Kehrte er vom Amte heim, so führte der Weg nicht ins Restaurant, sondern in die behagliche Wohnung, an den einladend gedeckten Tisch, an die Seite der blühenden, glücklichen Frau: »n' Tag, Hedwig!« Und saß er abends einmal in der Oper, im Schauspielhause, bei Kroll oder in einem anderen Musentempel: »Sieh, Hedwig! Hör, Hedwig!«

      Hedwig hier und überall – ja, es würde ihm ungewohnt sein!

      Aber schön! Wundervoller, als die Phantasie es auszumalen vermochte.

      Keine Scheidewand mehr zwischen ihr und ihm; ein inniges Verstehen und Ineinanderaufgehen, ein liebendes, freudiges Werben und Sorgen, Bitten und Geben – eine warme, sonnige Zufriedenheit – das Glück!

      Er zog die Uhr.

      Erst eben fünf durch.

      Sie würde noch ruhen und träumen.

      Hm!

      Das begriff er nicht ganz, wie man in den lockenden Sommermorgen hinein schlafen konnte, bis die Sonne über die Baumwipfel hinweg ins Fenster lachte und die Schläfer – Hedwig und ihre alte Mutter – mit neckenden Strahlen wachrief.

      Freilich – er begriff auch sonst nicht alles, nicht die herben Linien, die sich mitunter plötzlich um den Mund der Geliebten abzeichnen, nicht die Schatten, die mit Sekundenschnelle die klare Stirn verdüstern, und nicht die Flammen, die überraschend aus den verdunkelten Augen auflohen konnten, wenn er in ausbrechender Zärtlichkeit und tollem Glückesjubel die Arme um sie schlang und sie an sich zu ziehen suchte mit fliegenden, glühenden Liebesworten.

      Dem Weichen, echt Weiblichen in ihrem Wesen war ein Fremdes, ein Sphinxhaftes beigemischt, das den Reiz erhöhte und zugleich das Verstehen oft beängstigend störte. Es hatte sich zu unnahbarer Abweisung verdichtet, so lange er nur oberflächlich in ihren Gesichtskreis getreten war, und es hatte sich ihm herb entgegengestellt, als er in ehrlichem, ausharrendem Werben sich ihr zu nähern suchte. Es wich mit seinen Schatten selbst nicht ganz aus dem Brautstande.

      Er hatte oft gegrübelt, was es sein konnte, das sich so plötzlich und unvermittelt zwischen sie stellte.

      Herbe, mädchenhafte Scheu?

      Mißtrauen?

      Eine trübe Erfahrung?

      Ein Geheimnis?

      Er vermochte das Rätsel nicht zu lösen.

      Keusch, scheu, ernst und stolz – ja, das war sie. Und sinnig, weich und sich anschmiegend zugleich.

      Mißtrauisch? Nein. Oder doch nicht mit Berechtigung. Er hatte wohl sich einmal einem anderen Weibe zugewandt und für die Dauer eines flüchtigen Rausches vermeint, mehr als Bewunderung für eine stolze Schönheit zu empfinden; die Dame, eine junge, in glänzenden Verhältnissen lebende, viel umworbene Witwe, ließ ihm wohl auch ab und zu noch ein Lebenszeichen zukommen, aber davon konnte Hedwig von Viersen nicht einmal eine Ahnung


Скачать книгу