Ein Verteidiger. Dietrich Theden
und freudig leuchtete im Waldgrün das weiße Kleid, schneeig das die Züge der Verklärten verhüllende Tuch. Und mitten im Frieden des flüsternden Waldes das Sterben, unter dem deckenden, freudigen Weiß der Tod, der grinsende Tod!
»Wen einmal die Sünde mit ihrem Atem streifte, der ist ihr verfallen,« wiederholte er flüsternd ihre letzten Worte.
»Du?« setzte er fragend hinzu. »Nimmermehr! Schlafe, Geliebte, du wirst einen gerechten Richter finden, der dir ins Herz gesehen und die Pein geschaut hat, die der Gedanke an die Sünde deinem keuschen Empfinden bereitet hat. Sie konnte sich dir nähern, aber dich nicht umspinnen und mit sich reißen. Das Heilige in deiner Brust schützte dich vor ihrem vergiftenden, betäubenden, tötenden Hauche. Sie prallte ab an dir und ließ dich schuldlos und frei. Nur befangen warst du geworden, scheu, mit zitterndem Fragen, mit einem Bangen, wie es im Kinde wohnt. Ich will dich heilig halten, ich will dich ehren und lieben mein Leben lang.«
Er lehnte sich gegen den hellschimmernden Stamm einer Buche, strich sich über die schmerzenden Augen und schloß sie.
Eine weihevolle Stille webte an der Stätte des Todes und erfüllte den Mann mit stummem Geloben.
Gerade Rechtlichkeit hatte ihn in seiner Laufbahn geleitet, ein Erbteil seiner schlichten Eltern; sie sollte ihm ein Vermächtnis auch von der teuren Toten sein.
Empfinden und Geloben dämmerten ihm fast traumhaft.
Ein eiliger Schritt weckte ihn.
Ein alter, vornehmer Herr näherte sich dem Schauplatze des Verbrechens, machte vor dem Rechtsanwalt Halt und streckte ihm in schlichter, teilnahmsvoller Bewegung die Hand entgegen.
Der Angekommene war der Gutsherr und Amtsvorsteher Graf von Borndorff.
»Herr Doktor, ein Händedruck wird mehr sagen als Worte.«
Bendring ergriff die ihm dargebotene Rechte und drückte sie. Mit Worten zu danken vermochte er nicht.
Der alte Schloßherr war im ganzen kein Freund der Sommerfrischler, die ihm die ländliche Stille zu stören schienen. Er war selbst dem immer wiederkehrenden Anwalt gegenüber nur selten aus seiner kühl-vornehmen Zurückhaltung herausgetreten und hatte höchstens einmal zu dem Besitzer der Schwiddeldei von dem Gaste und der schwindenden Abneigung gegen diesen gesprochen. In der Stunde des Unglücks gab sich der Graf nach seiner wahren Natur, taktvoll und einfach, ein diskret, aber warm teilnehmender Mensch.
»Ich habe die Freude gehabt, Ihr Fräulein Braut zu grüßen, ehe Sie hierher nachkamen,« sagte er. »Darf ich die Züge der Toten sehen?«
Bendring nickte stumm.
Graf Borndorff hob das Tuch nur für wenige Sekunden, dann breitete er es sorgsam wieder aus.
»Sie hat den Frieden.«
Er sagte es halb für sich, und auch die folgenden Worte schienen mehr aus seinem inneren Empfinden als zu dem Anwalt gesprochen:
»Ich habe mein Amt bisher nicht als Last gefühlt; der Ernst dieser Stunde zeigt mir seine Bürde.«
Der Graf wandte sich an Bendring.
»Sie haben Unersetzliches verloren; bewahren Sie den Mut und die Hoffnung, daß die Schreckensthat ihre Sühne finden wird. Und bewahren Sie den Mut und die Fähigkeit, an der Ermittelung des Schuldigen mitzuwirken.«
»Ja, beim Andenken an die geheiligte Tote!« gelobte Bendring mit bebendem Ernst.
Der alte Herr nickte.
»Die Sonne hat es gesehen; sie kann nicht reden, aber sie wird uns leuchten.«
Er folgte, die Hände auf den Rücken gelegt, den ausdrucksvollen, grauen Kopf leicht nach vorn geneigt, dem Fußwege nach dem Spieß zu. Noch in Sehweite des Zurückgebliebenen kehrte er um, faßte Bendring, wieder bei diesem angelangt, an beiden Händen und sagte mit vor Erregung zitternder Stimme:
»Ich habe ein Kind wie diese hier. Gott, wenn ich denken müßte, daß sie so vor mir läge! Lassen Sie mich noch einmal aussprechen, wie warm ich mit Ihnen fühle!«
Er machte sich rasch los und entfernte sich nach dem Bootshause.
Die Postenkette wurde durch die aus der Gegend zuströmenden Neugierigen immer dichter gezogen. Aber Junge und Alte thaten ihre Pflicht. Sie hielten sich vom Schauplatze des Verbrechens standhaft fern und beobachteten eine sie ehrende, würdige Ruhe.
Der Graf ließ sich aus einem umgestülpten Eimer unter dem schrägen Strohdache des Bootshauses nieder und wartete auf den herbeigerufenen Richter vom Amtsgericht in Plön. Ein Zweispänner vom Gute und Hansen mit seinem Korbwagen hielten am Bahnhof Ascheberg, um den Arzt, den Richter und seine vermutlichen Begleiter in Empfang zu nehmen.
Der Gutsvorsteher Heinrich Eicksen, der in einem Nachbardorfe zu Besuch gewesen war, gesellte sich eben zu dem Grafen, als auf der schattigen Landstraße die Wagen vom Bahnhofe in scharfem Trabe herangerollt kamen. Dem gräflichen Zweispänner entstiegen der Amtsrichter von Goos, der Kreisphysikus Doktor Eßfeld nebst dem als Kreiswundarzt fungierenden Kollegen und einem Gerichtsschreiber. Mit Hansen folgten zwei Gendarmen.
Graf Borndorff übernahm nach einer kurzen Aussprache mit dem ihm bekannten Richter die Führung.
Dr. Bendring hatte Zeit gehabt, sich zu sammeln. Er empfing die Herren, von denen der Amtsrichter und der Kreisphysikus ihm nicht fremd waren, gefaßt.
»Herr Kollege,« begrüßte ihn der Richter kurz und ernst, »ich brauche Ihnen nicht zu versichern, daß mich die Trauerkunde doppelt erschüttert hat, als ich erfuhr, in wie naher Beziehung Sie zu der Toten standen. Sind wir uns nicht häufig begegnet und immer nur in Ihrem Ferienidyll, so habe ich Sie doch schätzen gelernt. und Sie werden mir gestatten, meinem herzlichen persönlichen Beileide Ausdruck zu geben. Als Beamter richte ich die Bitte an Sie, mir Rater und Helfer zu sein, daß der Mordbube der strafenden Gerechtigkeit ausgeliefert werde.«
Keiner der Herren vermochte sich eines Schauers zu erwehren, als der Anwalt auf Ersuchen des Richters das Tuch von dem Antlitz der Toten entfernte und die weichen, unendlich lieblichen, friedvoll verklärten Züge des jungen Weibes sichtbar wurden.
Der Amtsrichter gewann die Herrschaft über sich zuerst zurück. Die Ruhe des kraftvollen Willens spannte sich über sein breites, eckiges, bartloses Gesicht; er orientierte sich mit den kühlen, stahlgrauen Augen über die nächste Umgebung und ersuchte den Gerichtsschreiber, nach dem beginnenden Verhör das Protokoll abzufassen. Seine etwas spröde, harte Baßstimme paßte zu seiner herkulischen Gestalt, und seine klare, knappe Frageweise entsprach seinem jeder Sentimentalität abgeneigten, festen, selbstbewußt männlichen Wesen.
»Herr Dr. Bendring, ich bitte. Wie heißt die Tote?«
Der Anwalt antworte kurz und sachlich
»Geburtstag, -Jahr und -Ort?«
»Der 18. Juni 1874. Geburtsort: Berlin.«
»Die Eltern?«
»Der Vater war Oberst. Er ist seit drei Jahren tot. Die Mutter hat die Tochter begleitet und ist im Hotel. – Mein Gott, sie weiß noch nichts!«
Die Stimme Bendrings schwankte doch wieder.
Der Amtsrichter schien es nicht zu bemerken.
»Wie lange weilen die Damen hier?« fragte er weiter.
»Seit drei Wochen. Sie waren mir vorausgefahren.«
»Auf Ihren Wunsch?«
»Auf meine Empfehlung.«
»Wann sind Sie nachgekommen?«
»Vor fünf Tagen.«
»Wer hat das Verbrechen entdeckt?«
»Ich,« antwortete Bendring.
»Allein?«
»Ja.«
»Wann war das?«
»Gegen elf Uhr.«
»Herr