Ein Verteidiger. Dietrich Theden

Ein Verteidiger - Dietrich Theden


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Dr. Bendring, haben Sie einen Schuß gehört?«

      »Ja.«

      »Wann?«

      »Kurz vor meiner Landung. Der aufsteigende Pulverdampf zeigte mir die Richtung.«

      »Notieren Sie,« forderte Herr von Goos von dem Gerichtsschreiber: »Das Verbrechen wurde ausgeführt am 30. Juli gegen 11 Uhr.«

      Er wandte sich wieder an den Rechtsanwalt. »Schlossen Sie sogleich auf ein Verbrechen?«

      »Nein. Ich dachte zuerst an den Förster. Ich wurde aber unruhig, als meine Braut auf mein Rufen nicht antwortete.«

      »That sie das sonst?«

      »Stets.«

      »Wie fanden Sie Ihr Fräulein Braut vor?«

      »Noch lebend.«

      Dr. Bendring berichtete ausführlich und wiederholte treu, was die Sterbende ihm anvertraut hatte.

      Der Richter horchte aufmerksam.

      »Sie hat ihren Vorsatz gehalten und den Namen des Mannes nicht genannt?«

      »Ich habe sie vergebens gebeten. Und der Tod kam zu schnell.«

      »Von wo sollte der Schuß gefeuert worden sein?«

      Bendring bezeichnete die Richtung, die ihm Hedwig angedeutet hatte.

      Der Amtsrichter trat an das Gebüsch und teilte die Zweige mit den Armen.

      »Es ist hoch und dicht genug, den Thäter zu verbergen. Sie hat nichts von ihm gesehen?«

      »Nein.«

      »Sie selbst haben gleichfalls nichts bemerkt?«

      »Nein.«

      »Haben Sie nachgesucht?«

      »Ich habe mir das Selbstverständliche gesagt, daß der Thäter bestrebt sein mußte, sich in Sicherheit zu bringen, und daß es umsonst sein würde, direkt neben seinem Opfer nach ihm auszuschauen. Weiter war es für mich selbstverständlich, um die Schwerverwundete zu sorgen.«

      »Allerdings. Ist die Lage der Toten unverändert?«

      »Ich hatte es vorausgesetzt. Herr Kreisphysikus: wo befindet sich die Todeswunde?«

      Doktor Eßfeld kniete nieder und untersuchte. Er erklärte rein sachlich:

      »Der Körper ist bereits in Todesstarre übergegangen, und genaue Angaben müssen von der Obduktion abhängig gemacht werden. Den Anzeichen nach war der Schuß auf die Brust gerichtet und hat das Herz gestreift; hätte er es durchbohrt, wäre der Tod momentan eingetreten.«

      »Kugel- oder Schrotschuß, Herr Doktor?«

      »Der Blutstrom deutet auf eine einzige Wunde, also aus Kugelschuß.«

      »Flinten- oder Revolverkugel?«

      »Das kann erst die genauere Untersuchung entscheiden.«

      »Die Obduktion?«

      »Ja.«

      »Herr Rechtsanwalt, ich muß die Leiche mit Beschlag belegen. Sie werden das wissen und verstehen Ich glaube mich aber berechtigt und verpflichtet, alle Schonung zu üben und die Aufbahrung Ihrer Toten im Hotel zu gestatten.«

      »Ich bitte darum, Herr Amtsrichter.«

      Bendring reichte ihm dankend die Hand.

      »Selbstverständlich, Herr Kollege. Das Weitere dürfte der Untersuchungsrichter verfügen, der ja nicht auf sich warten lassen wird. – Herr Graf, ist Ihnen von Gesindel bekannt, das sich in der Gegend herumgetrieben hat und mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht werden könnte?«

      »Ich habe nichts davon gehört.«

      »Herr Eicksen –?«

      Der Gutsinspektor schüttelte den Kopf.

      »Ich auch nicht.«

      »Haben Sie davon vernommen?« zu den Gendarmen.

      Beide verneinten.

      »Könnte ein unglücklicher Zufall vorliegen, zum Beispiel der Förster gejagt und die Kugel sich verirrt haben?«

      »Der Förster befand sich bis Mittag in meiner Gesellschaft,« erklärte Eicksen.

      »Von wann an?«

      »Von neun bis gegen zwölf.«

      »Könnte jemand anders gejagt haben?«

      »Nur mein Sohn, der aber auf Reisen ist,« bemerkte der Gutsherr. »Von den Kurgästen hatte ich allein dem Herrn Doktor Bendring erlaubt, sich zuweilen meinem Förster anzuschließen.«

      »Gab es Wilderer in Ihrem Jagdgebiet, Herr Graf?«

      »Ich kann bestimmt verneinen. Seit Jahren waren wir davon frei.«

      »Hm. Herr Rechtsanwalt! Haben Sie einen Verdacht?«

      »Welchen?«

      »Es giebt wohl nur einen, den gleichen, den Sie haben!«

      »Sprechen Sie ihn aus.«

      »Herr Amtsrichter, mit Ihren eigenen Gedanken: der Mörder ist der Schurke, der die Ehre des schuldlosen Weibes anzutasten wagte – der Frevler, der von ihr zurückgewiesen wurde, der ihr gefolgt ist, der sie dem anderen nicht gegönnt, der sie mir entrissen hat mit himmelschreiender Unthat!«

      Er hatte es leidenschaftlich überzeugt hervorgestoßen.

      Der Richter bewegte zustimmend den Kopf.

      »Es liegt uns noch ob, eine Durchsuchung des Platzes nach Spuren des Thäters vorzunehmen.«

      Er gab den Gendarmen dazu Auftrag und nahm mit dem Anwalt und dem Amtsvorsteher selbst teil.

      Der laubbedeckte Waldboden zeigte an ein paar Stellen hinter dem Buschwerk, das dem Verbrecher als Deckung gedient hatte, undeutliche Eindrücke, die möglicherweise vom Fuße eines Menschen herrühren konnten, denen aber irgend ein Wert um so weniger beizumessen war, als sie nicht einmal den Umriß eines Schuhwerks mit Sicherheit erkennen ließen. Waldrand und Wiese wurden in weitem Umkreise vergebens abgesucht.

      Die Beamten kehrten zurück.

      Am Thatort hatten sich Hansen und Kietz mit einer Tragbahre eingefunden.

      Ein düsterer Zug, dem von dem Posten ehrerbietig Platz gemacht wurde und bei dessen Nahen die Leute die Häupter entblößten, bewegte sich bald darauf nach dem Gasthause.

      Bendring war vorausgeeilt, die ahnungslose Mutter vorzubereiten.

      Die Leiche wurde in einem der unteren Zimmer aufgebahrt, und während die fassungslose Mutter neben der Toten kniete und die welken, alten Lippen unverständliche, wehe Klagelaute stammelten, unterzeichneten im Gastzimmer die Herren das von dem Gerichtsschreiber stockend und monoton verlesene Protokoll.

      Kapitel 4

      Das Leben in dem stillen Erdenwinkel am Plöner See war auf den Kopf gestellt. Während im gewöhnlichen Tagesgange schon das Eintreffen des Briefboten ein kleines Ereignis bildete, wurde nach dem Schreckenstage das Gastzimmer des Hotels von Fremden nicht leer, und Hansens leichter Korbwagen war fast beständig unterwegs.

      Die Obduktion der Leiche erfolgte am zweiten Tage nach dem Eintreffen des Untersuchungsrichters Vries vom Landgericht in Kiel. Sie beschränkte sich auf die Feststellung der Todesursache und die Herausnahme der Kugel.

      Die Kugel, aus einem Revolver von ›Polizeikaliber‹, wie der Kreisphysikus sich ausdrückte, gefeuert, war leicht abgeplattet; sie wurde von dem Untersuchungsrichter als eventuelles wichtiges Beweisstück in Beschlag genommen.

      Die wiederholte Abstreifung des Thatortes blieb ohne Ergebnis, und auch der auf dem Gute stationierte, mit der Oertlichkeit bekannte Gendarm vermochte irgend welche


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