Ein Verteidiger. Dietrich Theden
der mich gehoben hat, du wirst es bleiben für immer. Quäle dich nicht, schweige, ruhe – laß mich forteilen, Hilfe zu holen – – bleib still, ganz still! Laß die Hände auf der Brust, harre aus. – Gott im Himmel, daß kein Mensch zur Stelle ist. Erschrick nicht, Lieb, wenn ich rufe. Liege still ganz still!«
Er sprang auf, lief bis an die den Waldstreifen von der Landstraße trennende Wiese und rief aus Leibeskräften:
»Hilfe! Kietz, Hansen – Hilfe!«
Er bemerkte einen Jungen, der sein Rufen offenbar gehört hatte und eilig die Landstraße entlang nach der Schwiddeldei lief.
Er kehrte zu der Geliebten zurück und war entsetzt über die Veränderung, die in den wenigen Minuten seiner Abwesenheit mit dem Mädchen vorgegangen war. Auf dem todesbleichen Gesichte lag ein weiches, glückliches Lächeln, die Augen waren geschlossen und tief umrändert, das Kinn auf die Brust gesunken, der Mund wie zum Sprechen geöffnet.
Der Atem ging kaum hörbar, ein Heben der Brust war nicht mehr zu erkennen.
»Gott im Himmel!« stotterte er mit versagender Kraft. »Das – das – ist doch der Tod! Hedwig, wie gern – wie gern mein Leben für das deine! Hedwig – hörst du mich? Lieb, kannst du sprechen – kannst du hören? Kannst du mich verstehen? Mein Lieb, mein Herzenslieb – – «
Er tastete über ihre Hände und fuhr erschauernd zurück. Kalt! Kalter Schweiß – Todesschweiß – auf der leuchtenden Stirn.
Das Ende!
Zu Ende ein Leben, ein Traum, alles Hoffen – alles Glück!
Der Tod!
Ja, er war gekommen.
Er hatte ihm das Beste, er hatte ihm alles genommen.
Alles! Alles!
Er kniete in schluchzender Andacht und sah den alten Kietz nicht, der sorglos, den Arm voll Blumen, den Fußsteig herankam.
Der Fischer hatte nichts von den Rufen des Verzweifelten gehört. Sein Gehör war nicht mehr gut, das Alter machte sich geltend. Er hatte Blumen gepflückt, war an die Landestelle gekommen, hatte das Boot nicht bemerkt, und war gegangen, es am Spieß zu suchen. Es mußte ja dort sein; er hatte es schon wiederholt von dort abgeholt.
Er blieb vor der seltsamen Gruppe überrascht stehen.
War dem Stadtfräulein unwohl geworden? War sie gefallen? Vielleicht über eine der Wurzeln, die sich stellenweise über den Boden erhoben und ihn holprig machten?
Er ging noch etwas näher.
»Herr Bendring – jo!«
Kietz schüttelte den Kopf, als die Antwort ausblieb.
»Herr Bendring – jo!« wiederholte er lauter.
Der Angerufene hob müde den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die schwimmenden Augen.
»Um Gottes willen – jo –«
Kietz kam näher, so rasch es ging.
»Was – was is? Herr Bendring – Herrgott – was – was –«
Er vergaß zum erstenmale in seinem Leben den gewohnten Nachsatz und starrte wie entgeistert auf die tote Braut.
»Ja, Kietz,« sagte der Anwalt und nickte. »Ja, sie ist nicht mehr. Tot, Kietz.«
»Nee!« stotterte der alte Mann tödlich bestürzt. »Das – das –«
Er vermochte nicht zu sprechen.
»Geben Sie die Blumen her, alter Freund,« bat Bendring.
Kietz stand wie gebannt. Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren, daß er sich nicht zu rühren vermochte.
»T – t – tot,« murmelte er abgerissen.
Dann schien er sich zu besinnen.
»Herr Bendring – nee – das – das – scheint man so – jo. Ich – warten Sie – ich hole den Doktor – mit 'n Draht – jo.«
Er legte die Blumen unbeholfen neben die vermeintlich Bewußtlose und stolperte schwerfällig davon.
Bendring ließ ihn gewähren.
Dann kamen die Leute von der Schwiddeldei, eilig, aufgeregt, atemlos. Allen voran der Besitzer des Hotels.
»Um Gottes willen, Herr Bendring,« keuchte Hansen schon von ferne. »Ihr Fräulein Braut – Fräulein von Viersen – sie ist doch nicht etwa – – Mein Gott, der Junge sagte, Sie riefen nach Hilfe –«
Er kam im Laufschritt angeeilt und stand überrascht und verstört vor der Toten, die er vor einer knappen Stunde blühend und heiter das Haus hatte verlassen sehen.
Bendring faßte sich gewaltsam.
»Ja, sie schläft. Und sie wird nicht mehr erwachen. Sie ist einem unfaßbaren und ungeheuerlichen Verbrechen zum Opfer gefallen, das den Frieden unseres stillen Erdenwinkels grausam gestört hat. Ein Mord in dieser traulichen Abgeschiedenheit – ich hätte eher den Einsturz des Himmels für möglich gehalten. Aber es ist geschehen. Keines Menschen Macht ruft das entflohene Leben zurück. Was Menschen noch thun können, was ich thun muß: den Schurken ermitteln, der aus dem Hinterhalte die mörderische Kugel abgefeuert hat! Kietz ist unterwegs nach dem Bahnhof, um den Arzt zu rufen. Ich bleibe bei meiner Toten. Stellen Sie Ihre Leute und die Bekannten, die herzuströmen, in weitem Umkreis um den Ort des Verbrechens als Posten auf, damit niemand den engeren Thatort betreten und Spuren, die vielleicht vorhanden sind, verwischen kann; die ersten Posten am Bootshaus, eine Kette über die Wiese bis an die Landstraße, diese entlang und wieder über die Wiese und durch die Holzung bis an den Spieß. Und wenn das besorgt ist, spannen Sie an, jagen Sie Kietz nach, telegraphieren Sie an die Staatsanwaltschaft nach Kiel, an den Kreisphysikus nach Plön und bringen Sie den Guts- und den Amtsvorsteher zur Stelle, so schnell als möglich.«
»Ja – ja – «
Hansen eilte zurück.
»M – – mord –,« keuchte er unterwegs. »Wer das gedacht hätte!«
Er traf auf seine Frau und berichtete ihr fliegend.
Die Frau drohte umzusinken, so packten sie der Schrecken und das Mitleid.
»Ach, das Unglück! Das Unglück!«
Sie mußte sich niedersetzen.
»Das arme Fräulein! Die arme, alte Mutter! Und der Herr Bendring… «
»Bleib! Laß niemand durch,« bat Hansen und flog weiter.
Er stellte die herbeiströmenden Leute zu einer Postenkette auf, wie der Anwalt es angeordnet hatte. Und die Leute gehorchten verständig und willig …
Kapitel 3
»Mein totes Lieb, ich werde dich rächen!«
Fritz Bendring bedeckte das schöne, verklärte Antlitz der jählings Verschiedenen mit einem Taschentuche, kniete andächtig minutenlang und wanderte dann ruhelos um die Leiche.
Schmerz und Bitterkeit erfüllten ihn.
»Der Blitzstrahl kann die Eiche treffen und zersplittern,« murmelte er, »die Menschen kommen und heilen die Wunde, und der Baum steht und grünt weiter; der Blitzstrahl, der auf den Menschen niederzuckt, wirkt vernichtend. Feld, Wiese, Wald erstehen neu, ob sie auch gestorben schienen; den Menschen weckt kein Lenz, kein Regen und keine Sonne. Der Blume, dem Unkraut bleibt, wenn Blatt und Blüte verwelkt, und verweht sind, die Wurzel in der hegenden Erde; den Menschen hält und hegt die Erde nicht, ihm bringt sie das Verfallen und Vergehen, die Auflösung in ein armes, spurenloses Nichts! Aermer der Mensch als das nichtigste Werk von seiner Hand! Das Haus, das er sich erbaut, steht fort, wenn ihm die Seele genommen ist; das Kleid, das er getragen hat, überdauert das Welken seines Leibes; ein Schmuckstück vererbt sich durch die Generationen und wird gehalten und geschätzt, wenn das Gedenken