Ein Verteidiger. Dietrich Theden
angeflogen kamen, steckte die Blätter zu sich, riß sie, wenn er allein war, in Fetzen und streute diese gleichgültig in den Wind.
Oder war es ein Mißtrauen, das nicht in seinem Verhalten, sondern in ihrer Beobachtung des Lebens begründet lag? Hatte sie mit den klaren, sanften braunen Augen tiefer und schärfer ins Menschengetriebe hineingesehen, als ihre keusche Unberührtheit es vermuten ließ? Hatten nicht die eigenen Erfahrungen, sondern die, die sie andere im Fehlen und Irren um sich sammeln sah, sie nachdenklich und zu selbstquälerischen Zweifeln aufgelegt gestimmt?
Er nahm es fast an, denn ihr eigenes Herzensleben war rein und streng, dahinein konnte keine unsaubere Hand gegriffen und vergifteten Samen frevlerisch ausgestreut haben.
Konnte nicht –?
Nein, nein –
Er brauchte sie nicht zu fragen, sie brauchte ihm nichts zu sagen – er vertraute ihr in blinder Zuversicht.
Er vertraute mit der Liebe, die ihn hoffnungsvoll freudig vorausschauen und Träumen von Frieden und Glück nachsinnen ließ.
Bendring zog die Angeln hoch und sah nach den Ködern. Sie waren unberührt.
Er warf von neuem aus und spähte über die spiegelnde Fläche nach dem fernen Bootshause.
Nein, es war noch zu früh; sie konnte noch nicht erscheinen – noch lange nicht – um ihm mit dem flatternden weißen Taschentuche zuzuwinken.
Ein Rucken an einer der Angeln, kurz hintereinander, ließ ihn aufmerken. Plötzlich war der rote Kork verschwunden.
Bendring hob an. Der Bambusschaft bog sich, und die Schnur drohte zu reißen. Er ließ den Schaft nach rückwärts über den Rand des Bootes hinausgleiten, um nicht mehr zu heben, sondern zu ziehen. Dicht unter der Oberfläche sah er die grüngoldenen Schuppen eines ungewöhnlich großen Barsches. Er griff nach einem Handketscher, schob ihn in die Flut unter den sich sträubenden Fisch und hob den Fang mit dem Netz heraus.
Ein Ruf der Befriedigung kam ihm über die Lippen.
Er wog den Fisch in der Hand.
»Dreiviertel Pfund!« schätzte er.
Der Erfolg rief seinen alten Eifer wach.
»Ein guter Anfang – hurra!«
Er schnitt den Fisch, der den Haken tief verschluckt hatte, auf und warf ihn in den für die Beute mitgebrachten Korb.
Ehe Bendring noch die erste Angel wieder auswerfen konnte, forderte auch die zweite seine Aufmerksamkeit.
Er zog und hatte abermals Glück.
Und so lange er zuerst hatte warten müssen – es schien, als ob ein unerschöpfliches Heer der Seebewohner dem goldenen, flutüberspülten Berge zugewandert war, in so unmittelbarer Folge und so andauernd konnte er Fang auf Fang aus der Tiefe heraufholen.
Er hatte nicht mehr Zeit, jedesmal den Korb, der zum Schutze gegen die Sonne mit einem Deckel versehen war, zu öffnen; er warf die Beute unter sich ins Boot, hatte oft beide Angeln zugleich zu ziehen und mußte, wenn er einmal aufstehen wollte, die schnellenden Tiere mit dem Fuße zur Seite stoßen, wenn er nicht auf die schillernden, schlüpfrigen Leiber treten und Schaden anrichten oder durch Ausgleiten vielleicht zum Fallen und zu einem unfreiwilligen Bade kommen wollte.
Ein Eifer füllte ihn, daß nichts in seinem Denken Platz hatte als der aufregende Sport. Die Sonne stieg höher und brannte sengend auf das Boot, die Fische und den Angler; der von seinem Sport Gefangengenommene vergaß die glutende Augusthitze, Zeit und Braut.
Bei einem neuerlichen ungewöhnlichen Fange geriet durch eine unvorsichtige Bewegung des Anglers das Boot ins Schwanken, und Bendring wäre um ein Haar über Bord gestürzt. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, streifte sein Blick unwillkürlich über die sonnenglitzernde Seefläche und blieb an einem weißen Punkte am Ufer haften. Vom Braun des Bootshauses hob sich die lichtgekleidete Gestalt einer Frau ab, die grüßend mit dem Taschentuch winkte. Fritz Bendring schwenkte freudig seine Strandmütze.
»Holla ho! Morgen, Langschläferin!«
Er rief es, so laut er konnte, obwohl er wußte, daß der Ruf die weite Entfernung nicht zu durchdringen vermochte.
Er zog die Uhr.
»Halb elf, Ihro Gnaden, Mademoiselle Hedwig. Ich werde dir aus den Federn helfen, wenn du erst Frau Fritz Bendring geworden bist!« sagte er vergnügt vor sich hin, während er die Angeln einzog, die Schnüre um die Schäfte schlang und die Flotten sorgsam befestigte.
Er sah durch das nur leicht gewellte, in der Sonnenglut metertief durchsichtige Wasser auf die trägen Scharen der Fische.
Er griff nach dem Behälter mit den noch übrig gebliebenen Würmern.
»Wartet, ihr –!«
Er streute eine Handvoll der Würmer mit der feuchten Erde hinein und schaute aufmerksam nach. Die Köder sanken ringelnd langsam in die Tiefe und wurden von den haschenden Fischen aufgefangen.
»Lockspeise,« murmelte Bendring und langte mit spitzen Fingern noch ein zweitesmal in die Blechbüchse.
»So. Mehr giebt's nicht. Sonst muß Kietz sich wieder plagen, um meine Verschwendung gut zu machen.«
Bendring überzählte in Eile seinen Fang.
»Neunundachtzig Stück! Donnerwetter, wird die Hede Augen machen und der Hansen sich freuen. Neunundachtzig Stück! Siebenundsiebzig an einem Tage im Vorjahre die meisten – ein ganzes Dutzend heuer mehr – ja, mein lieber Kietz – jo, man lernt es so nach und nach – jo.«
Er zog den Anker hoch und wollte zum Zeichen der Abfahrt noch einmal die Mütze schwenken, als er das helle Gewand der Braut nirgends mehr zu erspähen vermochte.
»Aha!« murmelte er im Niedersitzen, »also auf nach dem Spieß.«
Der ›Spieß‹ war eine Landzunge, die sich aus dem Waldgrün an hundert Meter weit in den See erstreckte und bis dicht an die äußerste Spitze begehbar war. Sie lag für den vom Berge nach dem Bootshause heimfahrenden Angler auf dem Wege, und Hedwig von Viersen pflegte dem Verlobten bis an diesen Punkt entgegenzukommen, zu ihm ins Boot zu steigen, wenn der Boden nicht ganz mit Fischen bedeckt war, und bis an die Landestelle mitzufahren.
Bendring nahm die schweren Ruder und setzte sie ein. Fast zärtlich blickte er auf den Berg zurück.
»Morgen wieder!«
Die Sonne brannte ihm heiß ins Gesicht.
»Die meint's gut!«
Er ruderte, ohne abzusetzen.
Der Schweiß perlte ihm von der Stirn.
»Hedwig!« rief er über die Schulter nach dem Spieß zu.
Aber er war noch zu fern. Der Ruf mochte ungehört verhallen.
Er holte mit kräftigen, gleichmäßigen Schlägen aus, und weithin kennzeichnete ein weißlich schäumender Wellengang den Weg, den das Boot zurücklegte.
»Hedwig!« rief er abermals.
Ein kurzer, gedämpfter Knall antwortete ihm.
»Nanu?« stieß er überrascht ans. »Ist der Grünrock schon unterwegs?«
In der Nähe des Spießes und von Buchengrün umgeben lag ein kleiner Moorstrich, ein Schlupfwinkel für Pfuhlschnepfen und Bekassinen.
»Statt mich mitzunehmen, knallt er allein,« murrte der Rudernde und nahm sich vor, dem Förster eine kameradschaftliche Vorhaltung zu machen. Er konnte zwar die Bekassine, die schon nach kurzem Fluge die verwünschten Haken schlug, nicht treffen, aber doch wenigstens die fette, schwerfällige Moorschnepfe. Und er hatte ein Vergnügen daran, sodaß es von dem Förster eine Sünde war, ihm das zu verderben.
»Na, wart nur! – Hedwig!« rief er von neuem.
Keine Antwort.
Er hielt die Ruder schwebend und blickte