Ein Verteidiger. Dietrich Theden

Ein Verteidiger - Dietrich Theden


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worden wäre – er fand und hörte nichts, was einen Anhalt hätte bieten können.

      Kietz saß während des Aus- und Einschwärmens der Beamten stundenlang auf der Bordschwelle einer zum Gasthof gehörigen Scheune und starrte trübselig vor sich hin. Es war wie ein Bleiguß in seine alten Beine gefahren, und so schwer es ihm wurde, zu gehen, so schwerfällig waren auch seine Gedanken. Nur die eine trostlose Ueberzeugung drängte sich ihm klar auf, daß es mit dem Aufenthalt des verehrten alten Kurgastes nun wohl für immer vorbei sein würde. Und neben dem jähen Tod der schönen jungen Braut war ihm das das Schmerzlichste.

      Am Beerdigungstage trug er einen langen, schwarzen Rock und einen vorweltlichen Cylinder. Er mochte sich beides irgendwo geliehen haben, und das glanzlose, bis über die Ohren gezogene Angstrohr stand seinem ehrlichen, faltigen Gesichte so wunderlich, daß die Leute sich eines Kicherns über seine komische Erscheinung nicht erwehren konnten. Auch Bendring stutzte, als er den feierlich herausgeputzten Mann gewahrte, und hätte ihn fast nicht erkannt; aber dann grüßte er freundlich und war über den ungeheuchelten Kummer in dem runzlichen Gesichte des Alten gerührt.

      Hedwig von Viersen wurde in Plön beigesetzt. Die Kirchenglocken läuteten, als der feierliche Zug sich dem Friedhofe näherte, und sie läuteten wieder, als der Geistliche gesprochen und der blumenbekränzte Sarg seine letzte Stätte gefunden hatte.

      Der schlichte Erdhügel über der Schlafenden verschwand unter Palmzweigen und Kränzen. Bendring und Hansen legten die letzte Hand an, den Blütenschmuck zu ordnen, als Kietz schüchtern herantrat und einen Arm voll Kornblumen zögernd neben den kostbaren Grabschmuck schob. Er hatte den Cylinder abgenommen und abseits auf einem Kieswege stehen lassen; die Thränen stürzten ihm über die rauhen Wangen.

      Bendring war mit raschen Schritten an seiner Seite, hob die Gabe des alten Fischers auf und streute die Kaiserblumen über den Hügel, daß dieser wie mit einem blauen Schleier überdeckt schien. Dann drückte er dem Fischer erschüttert beide Hände.

      »Habe Dank, Alter!«

      Kietz ging wortlos, und stumm folgten ihm Hansen und der Anwalt.

      Ein Sonnenflirren lag in der Luft, das blendete, und die Glut war fast unerträglich. Die Coupés im Zuge, der einen Teil der Trauergesellschaft nach Ascheberg mit zurücknahm, waren erstickend heiß, und Bendring atmete wie erlöst auf, als ihn nach der Fahrt wieder die Kühle der nach der Schwiddeldei führenden, buchenüberwölbten Landstraße umfing.

      Der wühlende, betäubende Schmerz und die sengende Glut der Sonne hatten ihn zum Denken über den qualvollen Moment hinaus unfähig gemacht. In der belebenden Waldeskühle kehrten ihm Ruhe und Ueberlegung zurück, und er blickte vor sich, auf die Zukunft und auf die Aufgaben, die ihrer Lösung harrten, der Lösung durch ihn.

      Und unter ihnen die eine, die größte, die, wenn es sein mußte, Zweck und Inhalt seines Lebens bilden sollte: die Sühnung des Verbrechens, die Ermittelung und Auslieferung des Schurken in die Arme der strafenden Gerechtigkeit!

      Er hatte geruht, so lange die sterbliche Hülle der Geliebten nicht im Schoße der Mutter Erde geborgen war; er wollte ans Werk gehen, rüstig und unermüdlich, mit Opferung seiner Zeit und seines Vermögens, mit Aufbietung alles Scharfsinns, nun sich das Grab über der im Frieden Ruhenden geschlossen hatte.

      »Dein ist die Rache!« murmelte er nach dem Bibelwort. – »Und mein!« fügte er hart hinzu.

      Kietz und Hansens Befürchtung, daß der Gast sogleich nach der Trauerfeier abreisen würde, traf nicht zu. Der Anwalt blieb noch über eine Woche und suchte zuerst allein, dann in Begleitung eines Kriminalkommissärs, der von Kiel eingetroffen war, immer wieder den Thatort und das angrenzende Wiesen- und Waldterrain ab. Selbst die ›Prinzeß Charlotte‹ wurde von neuem in Dienst genommen und von ihr aus das Seeufer nahe dem Schauplatze des Verbrechens gründlich durchforscht.

      Die beiden hatten so wenig Erfolg wie ihre Vorgänger.

      »Der Verbrecher hat, da er nicht durch die Luft gekommen sein kann, seine Maßnahmen mit Vorsicht getroffen,« meinte der Kommissar Wilden. »Sogar mit einer überraschenden Umsicht, die aus sorgfältige Ueberlegung schließen läßt. Holzung und Wiese sind reich an feuchten, moorigen Stellen, die jeden Fußeindruck aufbewahrt haben würden; der Verbrecher hat sie alle geschickt umgangen.«

      »Schließen Sie daraus,« fragte Bendring, »daß er mit der Oertlichkeit vertraut gewesen sein dürfte?«

      »Nein, Herr Doktor. Mit der Oertlichkeit nicht, wohl aber mit den Eigentümlichkeiten des Waldbodens überhaupt, der sich fast überall gleich bleibt. Der Thäter hatte für die Erkennung der verfänglichen Stellen ein geübtes Auge, und er hatte die Ruhe, sich nicht zu überhasten, sondern jeden Schritt sorglich zu überlegen.«

      »Es ist nur ein Glück, daß seine Kugel nicht tödlich, daß sein Opfer noch imstande war, zu sprechen!« warf Bendring voll Befriedigung ein.

      »Das entzog sich seiner Berechnung, Herr Anwalt. Sicher genug gezielt hatte er; aber unfehlbar ist eben niemand, auch der Gewiegteste und Verschlagenste nicht. – Ja, und wenn Ihr Fräulein Braut nur deutlicher gesprochen, wenn sie die Hauptsache, den Namen, nicht verschwiegen hätte! Glauben Sie nicht, daß die alte Mutter bald so weit beruhigt sein wird, daß sie befragt werden kann?«

      »Wir wollen es versuchen, Herr Kommissar; heute noch. Bei dem selbständigen, verschlossenen Charakter meiner Braut bezweifle ich, daß sie irgend jemand in ihr Geheimnis eingeweiht hat; vielleicht sind aber der Mutter äußere Umstände aufgefallen, durch die wir auf die Fährte kommen. Es wird keine leichte Aufgabe sein, das aus der schwer leidenden und bekümmerten alten Dame herauszubringen. Sie war ohnehin nicht die Kräftigste; der Schlag hat sie vollends niedergeworfen. – Sie ruht bis um elf; kommen Sie um die zwölfte Stunde zu mir – und gebe der Himmel, daß wir Glück haben.

      – Ich möchte einmal wieder aufs Wasser hinaus, mich umschauen und verabschieden. Ich werde die vertrauten Stätten nicht wiedersehen können, ohne daß sie den alten Schmerz erneuern. So werde ich scheiden müssen vielleicht für immer. Auch das thut weh. Weh auch um der Leute willen, die an mir hängen und die mich vermissen werden wie ich sie. Warmfühlende, gerade Menschen, Herr Kommissar – Hansen, seine brave Frau, der Förster, der ehrliche alte Kietz; Menschen von Wert, mit vielleicht unansehnlicher Schale, aber vortrefflichem Kern. – Ich biege nach dem See ab. Auf Wiedersehen in der Schwiddeldei. Um zwölf –.«

      Wilden machte einen Gang nach dem Bahnhof, fuhr nach Perdoel und Wankendorf und horchte herum.

      Der Anwalt ruderte langsam. Die ›Prinzeß Charlotte‹ schien ungefüger als je. – Der Himmel war mit grauen, regenkündenden Wolken verhüllt. Der Spieß und die Inseln im See lagen trübe verschleiert, sonnen- und freudlos; der Berg war kaum zu erkennen. Das gräfliche Schloß grüßte mit dunklen, lichtlosen Fensteraugen, das Braun des Bootshauses schien in Schwarz verdunkelt…

      Bendring kehrte bald um. Das Regengrau über Waldsaum und See spiegelte seine Stimmung.

      Beim Anlegen der ›Prinzeß Charlotte‹ kam Kietz herbei, um wie immer die Befestigung des Bootes dem Gaste abzunehmen.

      »Sie hatten ja die Angeln vergessen, Herr Bendring – jo,« sagte er treuherzig.

      »Ja, Kietz. Oder nein, nicht vergessen. Ich schenke sie Ihnen. Sie beißen nicht mehr, und ich, – – sehen Sie 'mal hinaus, Kietz, wie mürrisch der See und der Himmel dreinschauen – – sie machen mir keine Freude mehr.«

      Und Kietz hatte keine Freude an dem Geschenk. Er ging dem nach dem Hotel voranschreitenden Kurgaste nach, ohne das Angelzeug mit einem Blicke gestreift zu haben.

      »All' verkehrt, all' zu End' – jo,« murmelte er bedrückt.

      Frau von Viersen saß in Sinnen verloren am Fenster ihres Zimmers, als Bendring und der Kommissar bei ihr eintraten. Sie strich sich mit der mageren, nervös zitternden Hand über das glatt anliegende weiße Haar, nickte dem Anwalt leicht zu und schien dessen Begleiter nicht einmal zu bemerken.

      Bendring setzte sich ihr gegenüber, und Wilden nahm unauffällig abseits Platz.

      »Liebe


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