Der Beute auf der Spur. Othmar Wokalik

Der Beute auf der Spur - Othmar Wokalik


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brachte das Sachbuch in der Jagd nicht als gelegentliche Ausnahme, wie dies schon in der Antike der Fall war, sondern in einer bis dahin nicht bekannten Fülle. Durch den vom Adel eingebrachten zeitlichen wie materiellen Aufwand für die Jagd kam es zu einer ganz erheblichen Vertiefung und Erweiterung der Jagdtechniken, dem Gedanken einer nachhaltigen, ethisch fundierten Hege, deren Legitimation sich nicht in der „Produktion“ eines möglichst hohen Wildbestandes erschöpft, wie dies beispielsweise in den Jagdgärten des alten China der Fall war. Die erstmalige Einführung von fest umrissenen und konsequent gehandhabten Schonzeiten ist ein beredtes Zeugnis für den Wandel im Verständnis der Jagd. Schonzeiten waren noch zur Zeit des freien Tierfanges unbekannt. Sachbuch, Jagdtechnik, Hege, Schonzeit und Waidmannssprache waren und sind das lebendige Vermächtnis der mittelalterlichen Jagd – bis in unsere Gegenwart.

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      Konradin von Hohenstaufen auf Falkenjagd, Manessische Liederhandschrift (Große Heidelberger Liederhandschrift), zwischen 1305 und 1315

      Jagdkapitularien

      Die Kapitularien des Königs waren das juristische Aggregat, mit dessen Hilfe das öffentliche Leben geregelt wurde. Zu den bekanntesten zählen die Capitulare de Villis und die Capitulare de Missis, welche die Bewirtschaftung der Kron- und Kammergüter zum Gegenstand hatten und überdies Anweisungen an die damit Beauftragten, desgleichen jagdlich relevante Bestimmungen enthielten.

      Im „Inventar der Kammergüter“ wird unter anderem die Betreuung von Jagdfalken, Sperbern, Adlern sowie Jagdhunden und im Weiteren das Halten von Pfauen, Fasanen, Enten, Tauben, Rebhühnern, Turteltauben und Elstern, desgleichen von Dohlen und Staren angeordnet. Auch eine fachlich determinierte Unterscheidung der Jägerschaft findet sich in diesen Kapitularien; es gab die bersarii für die Hochwildjagd, die beverarici für die Wasserjagd auf Biber und Otter sowie Falkner und Wolfsjäger.

      Die Jagdkapitularien Karls des Großen waren Ausdruck der Bedeutung, die er der Jagd beigemessen hat. Er übte sie seit seiner Jugend und bis ins Alter von 72 Jahren aus. Den erhaltenen Aufzeichnungen über seine Jagdausflüge und Jagdaufenthalte können wir unter anderem folgende Beispiele entnehmen:

      Im Jahre 802 hielt sich der König auf Rot- und Schwarzwildjagd in den Ardennen auf; im Jahre 803 jagte er im Hyrkanischen Wald Auerochsen. Im Jahre 804 nahm er von Ende September bis Anfang November an einer Vielzahl von Rotwildjagden in den Ardennen teil. Vom Juli 805 bis zum Herbst desselben Jahres fanden „zusammenhängende Jagden“ statt, die sich von Aachen über Didenhofen bis nach Metz und von dort in die Vogesen erstreckten. Der König nahm an all diesen Jagden teil. In den Ardennen wurde er bei einer Wisentjagd von einem Stier verletzt, wobei Hose und Schuhe, wie der Bericht detailliert festhält, völlig zerrissen wurden.

      Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen mit einem Falken. Aus seinem Buch De arte venandi cum avibus (Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen; Manfred-Handschrift, Biblioteca Vaticana, Pal. lat 1071), spätes 13. Jahrhundert

      Über die Jagden in seinem Lieblingsrevier, dem Jagdpark Brühl in der Nähe von Aachen, der Residenz des Königs, sind uns Berichte mit ausführlichen Schilderungen des Geschehens überliefert; sie sind, dem Stil der Zeit entsprechend, nach antikem Vorbild verfasst, zum Ruhme des Königs, aber doch auch mit einer anschaulichen Wiedergabe des tatsächlichen Verlaufes.

      Sehr bildhaft wird das Treiben der Jagdgehilfen, das Wiehern der Pferde, das Bellen der Hunde und das laute Rufen der Treiber geschildert. Der Jagdzug mit dem König an der Spitze verließ die Residenz unter lautem Trompetenklang. Von Karl dem Großen wird berichtet, dass er manche adelige Jagdkumpane ob ihrer Eitelkeit bestraft habe, indem er sie während der Jagd durch dichtestes Gestrüpp führte, mit der Folge, dass sie in zerrissenen Gewändern heimkehrten.

      Den Aufzeichnungen über die Jagden der Karolingerzeit, vor allem der Parkjagden Karls, die an den Fürstenhöfen Europas noch bis ins 18. Jahrhundert in gleicher Weise praktiziert wurden, ist folgendes Prozedere zu entnehmen: es handelte sich dabei um eine eingestellte Jagd auf Schwarzwild; im Revier angelangt, wurden die Hunde, schwere Saupacker, geschnallt und in die Dickung gewiesen. Die Schar der berittenen Jäger umstellte das Holz. Die unberittenen Jagdhelfer hatten Speere mit Eisenspitzen und vierfach gesäumte Netze zur Hand. Endlich, so berichtet die Chronik, wurde im Tal ein Keiler hochgemacht. Nicht alle Hunde hatten die Fährte aufgenommen, nur einige Packer hetzen ihm nach. Während Jäger und Sauhunde dem Wild folgten, versuchte das wehrhafte Schwein zu entkommen, wurde aber endlich auf einer Bergkuppe gestellt. Wirbelnd flogen die Hunde, getroffen vom Schlag des Keilers, durch die Luft. Inzwischen hatten die Jäger den Keiler gestellt. Der König selbst aber war es, der ihn sodann mit dem Schwert abfing. Unzählige Rotten von Sauen waren die Beute des Tages, heißt es. Die Strecke wurde vom König an das Gefolge verteilt. Danach versammelte sich die Jagdgesellschaft auf einem schattigen Platz zum Jagdmahl. Auf diesem Platz in der Nähe einer Quelle wurden geschmückte Zelte aufgestellt, in denen das Mahl eingenommen und „Falerner Wein“ kredenzt wurde. Spät nach Sonnenuntergang suchten die müden Jäger sodann schlaftrunken am Boden Ruhe.

      Vom freien Tierfang zum Feudalsystem

      Mit den Karolingern bekam das Forstwesen weiteren Auftrieb. Die Grundlage der königlichen Hausmacht war letztlich der enorme Grundbesitz der Karolinger. Das Jagdrecht wurde grundsätzlich modifiziert, die Bannbezirke wurden weiter ausgedehnt, Hand in Hand mit der Entwicklung des Lehnswesens.

      Ursprünglich waren Jagd und Fischfang mindestens in den Markgenossenschaften westgermanischer Stämme frei. Der „Tierfang“ stand dort jedem Waffenträger zu. Der König hatte bis zum 6. Jahrhundert keine Sonderstellung in Ausübung der Jagd; es gab auch keine Jagdverbote oder Schonzeiten im germanischen Volksrecht. Der Ausdruck Forst (forestis) findet sich erstmals in einer Urkunde aus dem Jahr 648, die die königlichen Wälder in den Ardennen betrifft. Über die Auslegung des Wortes „Forst“ (forestis, forest, forre) gibt es unzählige literarische Deutungsversuche und Hypothesen. Nach Lindner konnte jede Art von Landschaft, also Wüstungen, Kulturland, Wald, Felder oder Gewässer, zum „Forst“ erklärt werden. Durch den Eigentumsanspruch des Herrschers auf den gesamten herrenlosen Grund und Boden entstanden im 8. und 9. Jahrhundert die großen königlichen Waldbesitzungen, deren Wildbestand durch den „Forstbann“ geschützt war und ausschließlich durch den König bejagt werden durfte.

      Erst die Schaffung dieser großen und zusammenhängenden Jagdreviere, die nicht betreten werden durften (königlicher Wildbann), machte die Abhaltung prunkhafter Hofjagden möglich, die den Mittelpunkt des jagdlichen Geschehens darstellten. In den Jagdkapitularien Karls des Großen wurden Strafen für die Übertretung des Königsbannes in den Forsten vorgesehen; die Strafe betrug – wie beim Friedensbann, dem Verordnungsbann und dem Verwaltungsbann – 60 Schilling. Wie rigoros diese Sanktion war, lässt sich daran ermessen, dass eine Kuh oder eine Stute um drei, ein Hengst um sechs Schilling zu haben war.

      Behütete Kostbarkeiten

      Eine Schonzeit für Wild ist – wie schon im frühgermanischen Volksrecht – auch den Jagdkapitularien Karls des Großen nicht zu entnehmen. Anhand überlieferter Streitfälle ist jedoch anzunehmen, dass dem Wald ein gewisser Schutz zuteilwurde. In den Aufzeichnungen über einen Streit zwischen dem Kloster St. Gallen und Bauern wird davon berichtet, dass Letztere von den Förstern des Klosters ermahnt wurden, bei der Waldnutzung, also dem Holzschlagen, dem Viehweiden und Schweinemästen nicht maßlos Eichen zu fällen; die Bauern würden damit sich und das Kloster schädigen.

      Ein jagd- und kunsthistorisch bedeutsames, für das Mittelalter geradezu prototypisches und aus heutiger Sicht als Kostbarkeit gehandeltes Jagdgerät war der sogenannte Olifant, eine Bezeichnung, die aus


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