Der Beute auf der Spur. Othmar Wokalik

Der Beute auf der Spur - Othmar Wokalik


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von Jagd und Sport als nicht haltbar. Die Jagd war schon in grauer Vorzeit Nahrungsquelle und Übung im Gebrauch von Waffen.

      Sie ist heute wie damals Nahrungslieferant, gegenwärtig aber auch Garant ausgewogener Ökologie, darüber hinaus eines der ältesten Kulturgüter der Menschheitsgeschichte und – wie eh und je – auch Freude, ja Leidenschaft am Ursprünglichen in der Natur, soweit diese Gabe in ihrer Ursprünglichkeit im Sog der Zivilisation noch nicht verdorrt ist. Sie gewährt dem, der sich dafür öffnet, Einblick in die Grundbefindlichkeit des Daseins, in die Allgegenwart von Leben und Tod. Sie bewahrt davor, in Selbstbetäubungen der mannigfaltigsten Art zu flüchten, um sich an den indisponiblen Realitäten und existenziellen Erfordernissen vorbeizuschwindeln.

      Nach Gerhard Budig9 war (ist) die Jagd Versorgung, aber auch Abwehr, Naturfreude, Repräsentation, Zucht und Naturschutz. Lange Zeit war das Wissen um die komplexen Zusammenhänge unseres Daseins Allgemeingut. Die Jagd – vom Menschen ausgeübt – war stets von einer Sinnhaftigkeit überwölbt, die über das rein Sportliche hinausweist. Ortega selbst meint im Übrigen, man müsste den Menschen Jäger nennen, hieße er nicht schon Mensch.

      Zu Ende gedacht, bedeutet diese Feststellung eine Identität von Mensch und Jagd – oder anders gesagt: eine Selbstverwirklichung des Menschen in der Jagd; ein Umstand, der über die Kategorie Sport hinausgeht, auch wenn der ein oder andere Jagdausübende das Todbringen subjektiv als Sport erlebt oder vormals erlebt hat.

      Lässt man also den „Sport“ beiseite und bedenkt Dianas Launenhaftigkeit, die der Mühe oft den Erfolg versagt, so bietet sich folgende Definition an:

      Die Jagd ist auf Tötung ausgerichtete Verfolgung von Tieren, die dem Verfolger graduell unterlegen sind.

      Zeugnisse der Vergangenheit

       Bedeutende europäische Fundstellen

      Jagd und die Jagdleidenschaft bestimmten das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zur belebten Natur, wie zum Beispiel die Weltausstellung 1971 in Budapest unter dem Titel „Waidwerk der Gegenwart. Mensch und Natur im Einklang“ deutlich machte. Die Zeugnisse dafür sind nahezu unbegrenzt. Ständig werden neue „Schätze“ ans Tageslicht befördert.

      1974 machten Archäologen der DDR neue sensationelle Funde von altsteinzeitlichen Jägerhorden, die bereits vor 350.000 Jahren in Mitteleuropa in der Waldsteppenlandschaft der Hohlstein-Warmzeit auf Großwild jagten. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften der DDR legten Prähistoriker vom Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) in Bilzingsleben an der Wippra eine Jägerlagerstation altpleistozäner Urmenschen frei.

      Abgesehen von ähnlichen Funden in China wurde die bislang wohl älteste Jägersiedlung Europas an der französischen Riviera (bei Nizza) freigelegt. In 15 Metern Tiefe fand man diesen fast 400.000 Jahre alten Siedlungsplatz auf einer Düne, der als Rastplatz für die Sommerjagd sowie für den Fischfang diente. Durch die Freilegung bedeutender prähistorischer Fundstellen konnten ganze Jägerstationen nachgewiesen werden, die uns einen Einblick in das Wesen der Jagd des homo sapiens fossilis gewähren.

      Neben den prähistorischen Fundstellen mit fossilem Knochenmaterial weisen noch andere Quellen auf die Bedeutung der prähistorischen Jagd hin; sie gelten als die ältesten authentischen Belege künstlerischen Schaffens. Diese einzigartigen Bilddokumente schufen Jäger vor mehr als 20.000 Jahren. Sie zeichneten auf den Fels der Höhlen jene Jagdtiere, die sie zu erbeuten hofften.

      1868 fand man anlässlich der alljährlichen Treibjagd in der zerklüfteten, sonnendurchglühten Karstlandschaft nahe des nordspanischen Küstenstädtchens Santillana del Mar die Höhle von Altamira. Der Hund eines Jagdhüters war hinter einem Fuchs her und verschwand mit diesem in einem Erdloch. Sein klägliches Winseln brachte die Jäger auf seine Spur und zu diesem einmaligen Schatz.

      1875 stieß man nahezu an derselben Stelle auf die inzwischen weltberühmt gewordenen „Altamira“-Funde. Die zwölfjährige Tochter des Grafen Don Marcelino Sanz de Sautuola, Maria, entdeckte während einer der vielen eingehenden Untersuchungen des Höhlensystems durch ihren Vater an der niedrigen Decke des „Höhlensaales“ prachtvoll leuchtende Tiergemälde in Rot, Braun und Gelb. Ihr spontaner Ausruf: „Papa, mira toros pintados!“ (Papa schau, gemalte Stiere!) wurde weltbekannt. Sie hatte die ersten bedeutenden prähistorischen Höhlenzeichnungen entdeckt; nach ihr wurde denn auch die Höhle benannt.

      Fortlaufend wurden und werden Gerätschaften, die der Jagd in der Urzeit dienten und uns die kulturschaffende, weil inspirative Kraft der Jagd vor Augen führen, entdeckt. Die Kunstwerke der verschiedenen Jägersippen im mittleren und späten Magdalénien, der ausklingenden Epoche der Altsteinzeit, werden heute von Touristen aus aller Welt aufgesucht und bewundert; die Funde in Lascaux etwa werden jährlich von gut 100.000 Besuchern frequentiert.

      Der Kult, Ursprung der Kultur, ist ein Phänomen, das sich erstmalig in den Jägerlagern vor 15.000 bis 20.000 Jahren in Form urgeschichtlicher Jagdmagie vorfindet. Die damit verbundenen magisch-religiösen Riten und Bräuche sind bei vielen Völkern teilweise bis heute erhalten. Durch die stark emotionale Wirkung der abgehaltenen Zeremonien sollten die Jagdgründe immer wieder aufs Neue durch Wild aufgefüllt werden.

      Die Jagd war, ausgehend von den kultischen Ritualen der Urzeit, das kultur- und ordnungsstiftende Ferment schlechthin und ist es zu einem Gutteil auch heute noch. Dabei sei, gemäß den Worten des Nationalökonomen Walter Eucken, „nicht nur an traditionelle Ordnung, an Gesetze und Sitten gedacht, sondern auch an den Geist, in dem die Menschen leben und in dem sie sich an die Spielregeln halten“.10

      Die Zweckbestimmung der Jagd hat sich allerdings – wie im Folgenden noch aufzuzeigen sein wird – im Laufe der Geschichte ständig geändert. Das auf das Erlegen von Wild gerichtete, triebhaft begründete Handeln (Müller-Using11), wurde als rücksichtslose Verfolgung des Tieres von Volk zu Volk durch verschiedene rationale und ethische Komponenten „gebändigt“. Gesetze, Sitten und Bräuche regelten zunehmend die Befugnisse des Subjekts, seine Beziehung zum Tier und dem Lebensraum des Wildes; es wurden Jagdsysteme, als rechtlich-soziale Ordnungsgefüge, aus denen sich die Nutzungsmöglichkeiten der Jagd ergeben, Teil der Wirtschaftsordnung.

      Der vorläufige Schlusspunkt dieser Entwicklung war die definitive Überwindung eines rein okkupatorischen Wesens der Jagd. Das Einbringen des Gedankens, den Schöpfer im Geschöpf zu ehren, des naturschutzethischen Gedankens, den der Hege, im Sinne einer zielbewussten Leitung der Naturkräfte, der Waidgerechtigkeit, die nicht nur das Bewahren des Wildes vor unnützen Qualen (Tierschutzethos), sondern auch die Achtung vor den Gesetzen, die auch das Verhalten gegenüber den Mitjägern impliziert, wurden – um nur einige Beispiele anzuführen – zu allgemeingültigen Grundsätzen und fanden mindestens teilweise auch ihren legislativen Niederschlag. Sie sind in Europa aber nicht überall verwirklicht.

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       Höhle von Altamira in Spanien: Polychrome Deckenmalerei (M. Sanz de Sautuola, 1880)

      Die Jagdethik aber ist keine Erfindung der Neuzeit. Ferdinand von Raesfeld berichtet uns davon, dass

      die alten Donaukelten … beim Hasenhetzen, einer damals viel gebräuchlichen Jagdart, … auf einen Hasen immer nur zwei Hunde geschnallt (gehetzt) werden durften, um auf diese Weise dem Wild eine Chance zu geben; ein Brauch, der schon eine gewisse ethische Auffassung der Jagd verrät.12

      Die damaligen Beschwernisse und die Bedeutung der Jagd als Nahrungsbeschaffungsquelle zeigen, dass dieses Verbot wohl ausschließlich von den Postulaten der Fairness, der Moral, der Ethik getragen waren, eben der Waidgerechtigkeit – im diametralen Gegensatz zur Zweckmäßigkeit. Wie schrieb doch Ortega y Gasset:

      Die Jagd ist eben wie jede menschliche Tätigkeit in ihre Ethik eingebaut, die Tugenden von Lastern unterscheidet.13

      Otto Koenig bezeichnet den Menschen in seiner ökologischen Funktion am Anbeginn seines stammesgeschichtlichen Werdeganges treffend als „Wildbeuter“; d. h., dass er jagt und sammelt14 und dies in Auseinandersetzung


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