Der Beute auf der Spur. Othmar Wokalik

Der Beute auf der Spur - Othmar Wokalik


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Wissenschaft vor allem auf Sachfunde und die narrative Kraft der bildlichen Darstellungen an den Wänden der entdeckten Höhlen angewiesen. Bestanden die ersten zum Erlegen des Wildes „entdeckten Waffen“ aus hierzu geeigneten Tierknochen, waren es später selbst gefertigte Steinmesser und ebensolche Beile. Diese „Werkzeuge“ wurden an den unterschiedlichsten Fundstellen zu Tage befördert, überwiegend aber an Plätzen, an denen die Jagdrituale vom Urmenschen bildlich festgehalten wurden. Zu den bedeutendsten Zeichnungen, die einen paläolithischen Menschen beim Vollzug eines (Jagd-)Rituals zeigen, gehört der in der Wissenschaft so bezeichnete „Zauberer“ in der Höhle von Trois Frères im Département Ariège/Südfrankreich. Er ist in eine Wildpferddecke gehüllt, trägt eine Tiermaske, einen langen Bart, Wolfsohren und ein Hirschgeweih, und sucht die mit ihm dargestellten Jagdtiere unter Einsatz magischer Kräfte zu bannen.

       Zeichnung einer Hirschkuh in der Höhle von Altamira (Kopie aus dem Mährischen Landesmuseum, Brünn)

      Für den interessierten Leser seien an dieser Stelle einige Beispiele der derzeit bedeutenden europäischen Fundstellen der „Urgesellschaft“, „Jägerstationen“ genannt, angeführt:

      • Altamira (Spanien), entdeckt 1875/79 mit dem berühmten Deckenfries im „Großen Saal der Tiere“; insgesamt sind in diesem Saal rund 150 Tiere, vorwiegend Wisente, Hirsche und Pferde, dargestellt;

      • Cueva de El Castillo (Spanien): Höhle, entdeckt 1903 mit ca. 25 menschlichen Handabdrücken sowie zahlreichen Tierdarstellungen;

      • El Pindal (Spanien): Höhle, entdeckt 1908, über dem Golf von Biskaya gelegen; hier finden sich nebst Darstellungen von Wildpferden, Bisons und Hirschen auch Abbildungen eines Elefanten und eines Seefisches (!);

       Felszeichnungen von Pferden und Händen aus der Zeit des Gravettian (Jüngere Altsteinzeit) in der Höhle Pech Merle in Frankreich, die 1922 entdeckt wurde (Kopien aus dem Mährischen Landesmuseum, Brünn)

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       Felszeichnungen in der Höhle von Lascaux, die einige der ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte enthält (Kopien aus dem Mährischen Landesmuseum, Brünn)

      • La Pasiega (Spanien): 1911 mit reich verzweigten Höhlen sowie 226 farbigen Felsmalereien und 36 Gravuren entdeckt;

      • Font-de-Gaume (Frankreich): Höhle, entdeckt 1901 mit über 200 Felsmalereien (Tierdarstellungen);

      • Lascaux (Frankreich): jungpaläolithische Höhle im Tal der Vézère bei Montignac, enthält einige der ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte;

      • Les Trois Frères (Frankreich): Höhle, entdeckt 1904 mit über 600 gravierten Tierabbildungen und der Darstellung eines „tanzenden Schamanen“;

      • Niaux (Frankreich): Höhle, entdeckt 1906 mit gut erhaltenen Felsmalereien im sogenannten Schwarzen Saal;

      • Pech Merle (Frankreich): entdeckt 1922, die größte aller bisher entdeckten Höhlen mit Felsmalereien; hier mit meist schwarzen Tierabbildungen;

      • Rouffignac (Frankreich): Höhle, entdeckt 1956 mit teils gravierten, teils schwarzen Tierabbildungen und hervorragenden Nashorn- und Mammutdarstellungen.

      Die Forschung qualifiziert diese und ähnliche Darstellungen als Wunschdenken der eiszeitlichen Jäger, d. h. als ihren „Jagdzauber“. Die Wurzeln dieses Jagdzaubers lassen sich bis in die Zeit der paläolithischen Jägersippen zurückverfolgen. Durch eine Art Analogiezauber, d. h. durch Jagdopfer, Jagdtänze sowie durch magische Handlungen, sollte reichliche Jagdbeute beschworen werden. Dieser Analogiezauber wurde vollzogen, indem man die Jagdwaffen auf die Felsbilder warf, in dem Glauben, die Waffen würden so wie hier die Tiere auch im tatsächlichen Jagdgeschehen treffen.

      Brentjes verwies 1968 auf diese Zusammenhänge, besonders darauf, dass Voraussetzung für die Wirksamkeit des Rituals eine tunlichst naturgetreue Wiedergabe der zu bejagenden Wildart war, was denn auch die erstaunliche Qualität der dargestellten Tiere erklärt. Die Bilder hatten nicht die Bedeutung von Kunstwerken; sie galten vielmehr als Realitäten. Die magisch-religiösen Riten und Bräuche sind bei einfachen Jagdvölkern bis zum heutigen Tag erhalten.

      Besonderer Erwähnung bedarf in diesem Zusammenhang der Bärenkult, der sich vorwiegend bei sibirischen und nordamerikanischen Jägerstämmen entwickelt hat. Man erwies dem erlegten Bären eine hohe Verehrung; nach der rituellen Tötung des gefangenen Bären wurde er als Gast behandelt. Man opferte ihm und hielt ihm Reden. Nach den Vorstellungen der Jäger sollte das Tier durch magische Handlungen wieder ins Leben zurückgerufen werden; man glaubte, dass dieser Bär sich infolge des Rituals in einen anderen, jungen Bären verwandeln würde, um so weiterzuleben.

      Die Entwicklung der Jagdmethoden

       Der steinzeitliche Jäger

      Durch das enge Verhältnis des steinzeitlichen Jägers zu der ihn umgebenden Tierwelt wurde das folgerichtige, letztlich das logische Denken entwickelt, wie es bildliche Darstellungen typischer Verhaltensweisen der Tiere, besonders aber das Entwickeln neuer Fang- und Jagdmethoden zeigen; dies lässt sich auch anhand der gefundenen Gerätschaften nachweisen.

      Das Verhalten der Tiere wurde beobachtet und als Erfahrung gespeichert. Demgemäß wurden Fallgruben und andere Fangeinrichtungen, wie Harpunen-, Klapp-, Schlag- und Schwerkraftfallen, hergestellt. Auslösemechanismen wurden konstruiert, Prinzipien der Physik entdeckt und angewendet.

      Die Fallenjagd gilt als die älteste weltweit praktizierte Jagdtechnik. Die Trittfalle etwa, eines der interessantesten Fallensysteme, war in der alten Welt von Afrika bis zum zentralasiatischen Karakorumgebirge und zum Amur verbreitet. Die Anwendung der diversen Fallensysteme erfolgte nach Maßgabe physikalischer Prinzipien, lange bevor Archimedes das Licht der Welt erblickte. Die Beherrschung der Fallenjagd zählt zweifelsohne zu den bedeutendsten und intelligentesten Leistungen der Frühgeschichte; dazu der bekannte Ethnologe Lips: Es stehe fest, dass der Mensch zum ersten Male eine Maschine erbaute, die in seiner Abwesenheit für ihn arbeitete, und die Intelligenz des Menschen einen Roboter erfand, der mit mechanischer Präzision seine Stelle einnahm … Durch die Konstruktion eines ingeniös gebauten Auslösemechanismus, der auf dem Hebelprinzip beruht, löste die leichteste Berührung eine gut gebaute Falle aus. Die Trittfalle wird im Übrigen noch von vielen asiatischen und afrikanischen Jägern eingesetzt, wie unter anderem auf der bereits erwähnten Weltausstellung in Budapest 1971 am Beispiel zahlreicher Exponate zu sehen war.15

      Neben der Fallenjagd gab es die Treibjagd als erste Form des kollektiven Jagens. Die Herden der Wildtiere wurden eingekreist und über Felsabhänge und Steilwände in die Tiefe getrieben. Diese Jagdart wurde insbesondere von den jungpaläolithischen Jägern angewendet; es war einer der ersten und wesentlichsten Schritte hin zur Entwicklung einer interspezifischen Organisation. Dadurch gelang es, größere Nahrungsvorräte zu beschaffen, um dem Hunger zu entgehen. Diese erfolgreiche Treibjagd war jedoch auf vereinzelt ziehende Wildarten, wie den Riesenhirsch, nicht, mindestens aber schwer anwendbar. Der Einsatz von Stoßwaffen war ebenso schwierig, da der Jäger die Fluchtdistanz in der offenen Landschaft kaum zu überwinden vermochte. Es wird angenommen, dass die individuelle, die Angriffsjagd, eher als „Fernjagd“ unter Anwendung von Wurflanzen ausgeübt wurde. Man fand einschlägige Waffen, wie etwa eine Rehgeweih-Speerspitze in der Pekárna-Höhle in Mähren. Diese Wurflanzen, aber auch schon Pfeil und Bogen waren gegen Ende des Paläolithikums weitverbreitet.

      Untersuchungen des Anthropologen Michail Gerassimow (1907–1970) ergaben, dass Wurflanzen


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