Gesicht im blinden Spiegel. Brita Steinwendtner

Gesicht im blinden Spiegel - Brita Steinwendtner


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sein Leben leichtfertig weggeworfen habe, jetzt sei er so weit, ein neues zu suchen. Er stand auf und ging zum Fenster. Kahl stand der Marillenbaum an sein Spalier gebunden. Die Türe zur Werkstatt war verriegelt. Auf der Wehrstraße zwischen Zaun und Felsabsturz zog ein Ochsengespann vorüber, der Leiterwagen ächzte unter einer schweren Last. Jenseits der Mettau lagen die Höhenrücken im Weiß der Schneefelder und dem Schwarz der Nadelwälder. Der Himmel war grau und nieder.

      Der Vater starb wenig später, zittrig, herzkrank und versöhnt.

      Der Tischlergeselle, der inzwischen Meister geworden war, führte die Werkstatt weiter, kam ohne das Ansehen von Quirin Czermak jedoch bald in Schwierigkeiten und musste den Betrieb zum Verkauf anbieten. Weder Franz noch Karel konnten mit so großen Summen aushelfen. Für das Gewerbe gab es keinen Interessenten, zum Verkauf stand demnach nur das schöne Haus auf dem Marktplatz, das ohne gutes Einkommen nicht zu halten war. Neuer Besitzer wurde der ehrgeizige Versicherungsbeauftragte Svoboda, dessen Akquisitionen weit in das Gebiet des Böhmischen Paradieses und des Glatzer Grenzlandes hineinreichten und der ein repräsentatives Büro auf dem Stadtplatz von Königgrätz besaß. Seine Frau, belesen und beflissen – Johannes kannte sie flüchtig aus der Bücherei Zur Slawischen Linde –, war Lehrerin in Nachod, so lag Neustadt günstig in der Mitte. Rosa Czermak kehrte auf den elterlichen Bauernhof zurück, ihr Bruder hieß sie willkommen als Arbeitskraft und Hüterin seiner kleineren Kinder.

      Johannes zog in das Gebäude der ehemaligen Werkstatt am Ufer der Mettau, das der Familie geblieben war. Es war nicht schwierig, den Raum in eine bescheidene Bleibe mit zwei Zimmern umzubauen, Fließwasser gab es reichlich, eine Toilette war im Schuppen vorhanden und Johannes hatte keine großen Ansprüche. Der frühere Lehrbub, der eine andere Arbeit im Ort gefunden hatte, half ihm gerne. Der glücklose Nachfolger des Vaters ging in das Sägewerk von Weckelsdorf/Teplice.

      Und die große politische Landschaft? Was wäre von ihr zu erzählen?

      Nach der Völkerschlacht von 1866 wurde der Deutsche Bund unter der Führung Österreichs aufgelöst. Dies hatte zur Folge, dass der habsburgische Kaiser jegliche Verankerung in deutschen Landen verlor und das Kernland Österreich plötzlich eine Minderheit im eigenen Reich wurde, bevölkerungsmäßig und von der Sprache her. Dies zwang Kaiser Franz Joseph I. schon ein Jahr nach Königgrätz eine Personalunion mit den Ungarn einzugehen, so dass aus der k.k. Monarchie eine gleichberechtigte k.u.k. Doppelmonarchie wurde, was die anderen Kronländer, vor allem Böhmen, zutiefst verletzte und in den kommenden Jahren zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen führte. Preußen hingegen annektierte oder vereinigte innerhalb kürzester Zeit alle deutschen Königreiche und Kleinstaaten, stieg zur politischen und militärischen Großmacht auf und stürzte sich in einen Krieg mit Frankreich.

      Vielleicht hatte der stille Tischlermeister Czermak aus Neustadt an der Mettau eine Ahnung von den sich daraus ergebenden Entwicklungen. In der kleinen Bibliothek, die nach seinem Tod auf den ältesten Sohn Franz überging, fand dieser viele Jahre später im Band VII der in Leder gebundenen 15 Bände der Gesammelten Schriften von Wilhelm von Humboldt einen offenbar noch vom Vater eingelegten Zettel mit folgender Stelle:

       … Man muß auf keine Weise den wahren und eigentlichen Zweck des Deutschen Bundes vergessen, insofern er mit der europäischen Politik zusammenhängt. Dieser Zweck ist Sicherung der Ruhe; das ganze Dasein des Bundes ist mithin auf Erhaltung des Gleichgewichtes durch innewohnende Schwerkraft berechnet; diesem würde nun durchaus entgegengearbeitet, wenn in den Reihen der europäischen Staaten … noch ein neuer kollektiver eingeführt würde. Niemand könnte dann hindern, daß nicht Deutschland als Deutschland auch ein erobernder Staat würde, was kein echter Deutscher wollen kann …

      Jahreswende 1870/71.

      Europa hielt den Atem an.

      Preußen feierte einen großen, schnellen Sieg.

      Der deutsch-französische Krieg war zu Ende. Am 18. Jänner 1871 kam es zu einem denkwürdigen, weit in das 20. Jahrhundert dunkel-folgenreich hineinwirkenden Ereignis: Im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles, dem Schloss der französischen Könige, wurde vor der besiegten und gedemütigten Grande Nation der preußische König Wilhelm II. zum deutschen Kaiser gekrönt und das deutsche Kaiserreich ausgerufen.

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       PRÉLUDE ZWEI

      Und wieder kommt der lange Zug von Menschen über die gebrochene Leinwand. Langsam zieht er darüber hin und verschwindet, taucht wieder auf und geht aus dem Bild. Müht sich im Trommelund Trompetenwirbel durch das Leben. Jede Figur durch ihr eigenes und unverwechselbares Leben. Die Gestalt, die aus einem dicken Stapel von Zetteln einen immer neuen herauszieht und ihn langsam über ihre Schulter wirft in die Achtlosigkeit, geht immer noch dem Zug voran. Und immer, wenn sie wiederkommt, knie ich nieder und versuche, ein Blatt, das in meine Hände taumelt und mir Fortsetzung verspricht, aufzufangen, um es vor den Füßen der ewig Wandernden zu bergen und dieses eine Schicksal zu retten vor dem Vergessen im Perpetuum der Zeit.

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