Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

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ab und kam wieder zu ihm herüber. „Du warst das“, sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit, als würde Dantra das öfter machen.

      „Ich? Aber … ich … Wie?“

      „Du hast eine Kraft in dir, wie ich sie bei einem Normalsterblichen noch nie gesehen habe“, erklärte sie ihm. „Es ist eine magische Energie, bei deren Ausbruch man lieber nicht in der Nähe sein sollte. Ist es möglich, dass du Einhornblut in dir trägst?“

      „Was? Wie meint Ihr das?“ Er sah sie fragend an. „Ich kenne Einhörner nur aus den Märchen von Schwester Cesena“, fuhr er fort. „Und selbst wenn es sie wirklich gäbe, so hätte ich sicher nicht ihr Blut in mir.“ Die Vorstellung, dass das Blut eines Tieres durch seine Adern flösse, und sei es noch so magisch, erfüllte ihn mit Ekel.

      „Du musst noch viel lernen“, stellte die Hexe nüchtern fest und wandte sich von ihm ab. „Komm, wir gehen zurück.“

      Dantra kämpfte sich hoch und schloss zu ihr auf. Ihn überkam die Müdigkeit, die auch schon nach seinem ersten zerstörerischen Wutausbruch Besitz von ihm ergriffen hatte. Aber das und der für seine körperliche Verfassung wieder viel zu schnelle Schritt der Hexe konnten ihn nicht davon abbringen, sie mit Fragen zu löchern. „Was muss ich noch lernen und wieso habe ich diese Energie? Gibt es wirklich Leute, die dieses Einhornblut in sich haben?“

      „Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen“, erklärte ihm seine Begleiterin, „das Einhorn ist das Symbol der Zaubermagie. Wenn man jemanden fragt, ob er einen magisch begabten Vorfahren in seinem Stammbaum habe, dann redet man vom Blut des Einhorns. Also, ja oder nein?“

      Dantra sah fragend zu ihr hinüber. „Was, ja oder nein?“

      „Na, hast du nun jemanden mit magischen Kräften in deiner Familie oder nicht?“

      „Woher soll ich das wissen? Die Einzige, die ich aus meiner Familie kenne, dürfte wohl gerade in Eurer Küche stehen und das Abendessen vorbereiten. Und die hat garantiert kein magisches Blut in sich, da bin ich mir sicher.“

      „Nun, da ich auch nicht viel mehr über deine Herkunft weiß, macht es wenig Sinn, in dieser Richtung weiter nachzuforschen.“ Für einen lang gezogenen und steilen Anstieg unterbrach Dantra seine Fragenflut, da er die Luft zum Atmen brauchte und ohnehin über das bisher Gehörte nachdenken musste.

      Endlich auf der Hügelkuppe angekommen ließ er seinem Drang nach Antworten wieder freien Lauf. „Wie meint Ihr das, Ihr wisst auch nicht viel mehr? Ich meine, was ist denn das wenige, was Ihr wisst und ich nicht?“

      „Nun, ich weiß, dass dein Vater einst ein Dullpin war.“

      „Wollt Ihr mir jetzt etwa erzählen, er wäre ein Scherge der Drachen gewesen?!“, schrie Dantra sie unvermittelt an. „Das glaube ich Euch nicht! Auch wenn ich ihn nicht kenne, so solltet Ihr Euch dennoch vorsehen, so respektlos von ihm zu reden!“ Er war stehen geblieben und sah sie mit vor Wut funkelnden Augen an.

      „Beruhige dich wieder. Erstens gibt es hier keine dicke Eiche, hinter der ich mich in Sicherheit bringen könnte, und zweitens habe ich nie behauptet, dass dein Vater den Drachen gedient hat.“

      „Aber Ihr sagtet gerade, er wäre ein Dullpin gewesen, und diese unterstehen dem direkten Befehl der Drachen.“

      „Das ist richtig. Jedoch waren seinerzeit die Dorf- und Stadtschützer, die Dullpins, noch keine Zerrocks wie heute, sondern ehrenvolle und mutige Männer aus der Gegend.“

      „Also war mein Vater ein Krieger?“ Dantras Verwunderung über diese Erkenntnis war nicht zu überhören.

      „In der Tat, das war er“, erklärte die Hexe, während sie ihren Weg fortsetzte. „Und nach allem, was ich weiß, ein tapferer und sehr guter noch dazu.“

      Dantra brauchte noch einen Augenblick, um seine Gedanken wieder zu sortieren. Dann drehte er sich ebenfalls zurück in Marschrichtung, um der Hexe nachzusetzen. Er blieb jedoch beim ersten Schritt mit dem Fuß an einer aus dem mit Laub und Zweigen bedeckten Waldboden ragenden Wurzel hängen, sodass er die unsanfte Bekanntschaft mit einer Nacktschnecke machte, die den Aufprall seines Kopfes auf dem harten Boden unfreiwillig abdämpfte und dieses mit ihrem Leben bezahlen musste. Dantra rappelte sich sofort wieder hoch, in der Hoffnung, die Hexe habe sein Missgeschick nicht bemerkt. Aber sie war bereits stehen geblieben und wartete, den Blick auf ihn gerichtet, bis er auf ihrer Höhe war.

      „Dass du allerdings jemals so ein großer Krieger wirst, ist eher zweifelhaft“, sagte sie und schnipste mit ihrem Zeigefinger die Schnecke von seiner Stirn, die dort noch, von Dantra unbemerkt, klebte.

      Was aus ihm in der Zukunft werden würde, war ihm im Moment völlig egal. Er hatte zu viele unbeantwortete Fragen in seinem Kopf, als dass dort für so einen Gedanken Platz wäre. „Habt Ihr ihn persönlich gekannt? Was ist aus ihm geworden? Lebt er noch?“ Bei der letzten Frage wurde ihm schlagartig klar, dass es darauf nicht die richtige Antwort gab. Wenn er tot wäre, würde dies das jahrelange Hoffen, ihm eines Tages gegenüberstehen zu können, unwiderruflich zunichtemachen. Wenn er jedoch noch lebte, so gäbe es keine Entschuldigung dafür, dass Dantra und Tami ihre Jugend in dem von ihm so verhassten Heim verbringen mussten.

      „Ich bin ihm nur einmal begegnet“, antwortete die Hexe. „Er stand plötzlich vor mir, als ich einige Pilze, die keine zehn Schritte vor meiner Haustür wuchsen, geschnitten habe. Er sah abwechselnd zu mir, dann wieder zu meiner Hütte. Ihm war natürlich sofort klar, was ich war und wie man im Allgemeinen in diesen von Ignoranz geprägten Zeiten mit Menschen meiner Zunft zu verfahren hatte. Er atmete schwer und seine Hand um den Griff seines im Licht funkelnden Schwertes war so fest, dass seine Fingerkuppen die Farbe verloren. So kniete ich also vor ihm. Wie ein Verurteilter vor seinem Henker. Und es wäre ihm ein Leichtes gewesen, meinem Dasein ein Ende zu setzen.“ Die Hexe war abrupt stehen geblieben und sah Dantra, der nicht so schnell stoppen konnte und ihr aus Versehen in die Hacken getreten hatte, mit ausdrucksloser Miene an. Er wollte sich entschuldigen, doch sie hatte es wohl nicht bemerkt oder ließ sich davon zumindest nicht ablenken. „Aber er tat es nicht“, fuhr sie fort. „Und bei jeder anderen Reaktion hätte ich gedacht, er hatte Angst vor mir. Angst davor, dass ich ihn bei dem Versuch verhexe, sein Schwert in meinem Körper zu versenken. Aber so ...“ Sie schwieg abermals und sah Dantra mit nun völlig leerem Blick und den Gedanken bei längst vergangenen Tagen an.

      Doch seine Ungeduld ließ keine längere Pause zu. „Warum? Was hat er denn getan?“, fragte er ungeduldig.

      Ihr Blick klärte sich wieder und sie starrte ihn an, als wäre sie erstaunt, ihn zu sehen. „Er reichte mir die Hand“, sagte sie und es klang, als würde es sie heute noch genauso überraschen wie damals.

      „Und?“ Dantra verstand nicht, was die Frau so besonders an dieser Reaktion fand.

      „Man gibt als Normalsterblicher jemandem wie mir nicht einfach die Hand. Und vor allem nicht, um damit auch noch jener Person auf die Beine zu helfen. Jeder andere hätte versucht, mich zu töten, oder hätte schnellstmöglich das Weite gesucht, um kurz darauf mit dem halben Dorf im Rücken zurückzukehren. Dein Vater jedoch sagte, er wäre seit fast zehn Jahren der Dullpin des Dorfes, das meinem Haus am nächsten liege. Und da ich ihm bis zu diesem Tage noch keinen Ärger gemacht hätte, würde er mir glauben, wenn ich ihm versicherte, dass es dabei auch bliebe.“ Den Blick wieder ins Leere gerichtet, fügte sie noch hinzu: „Es war wohl der ehrlichste Händedruck, den ich je von einem nicht-magischen Wesen bekommen habe.“ Mit diesen Worten drehte sie sich wieder um und setzte ihren Weg fort.

      Von da an reagierte sie nicht mehr weiter auf Dantra. Obwohl dessen Fragenberg immer noch viel zu groß war, um zu schweigen. Aber für jemanden, der normalerweise nicht viel Umgang mit anderen Menschen pflegte, hatte die Hexe wohl für den Rest des Tages genug gesprochen. Denn auch nachdem sie in der Hütte angekommen waren, musste Dantra feststellen, dass es wohl leichter wäre, Tami zum Reden zu bringen, als auch nur eine weitere Antwort von der alten Dame zu erhalten. Somit verschob er seine Wissbegier wieder einmal auf den nächsten Morgen.

      Das abendliche Schreib- und Lesetraining


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