Komplexitätsmanagement. Michael Reiss

Komplexitätsmanagement - Michael Reiss


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schnelles Internet (Übertragungskapazitäten), das Internet der Dinge und Dienste, Multipurpose Devices, RSS-Feeds, Suchmaschinen und Preisagenturen, die Markttransparenz schaffen, sowie die Omnichannel-Fähigkeit von Warenwirtschaftssystemen über alle Kanäle, etwa stationäre Verkaufsstätten, Online-Shops und Kataloge. Ebenfalls sehr umfangreich ist das Cluster von Standards, Spielregeln (z. B. First-Come-First-Served-Prinzip), Normen, Gesetzen (z. B. transparenzförderliche Gesetze wie die Datenschutzgrundverordnung oder ein Lieferkettengesetz), Verfügungsrechten (z. B. Patente, Emissions-Zertifikate), Sicherheitsstandards (z. B. TAN: Transaktionsnummern für das Online-Banking) und Bürgschaften (z. B. Hermes). Ein weiteres Cluster bilden die organisatorischen Potenziale, etwa Drittparteien, Notare, Treuhänder, Komplementoren (Noonan/ Wallace 2003), Mediatoren, Vorbilder, Zertifizierungseinrichtungen und Wirtschaftsauskunfteien (z. B. Schufa-Auskünfte).

      Zum anderen gibt es eine Bandbreite von weichen Faktoren. Hierzu zählen komplexitätsfokussierte Fähigkeiten (Wüstenberg/ Greiff/ Funke 2012; Funke/ Fischer/ Holt 2018) wie Complexipacity, Aufmerksamkeit, Beidhändigkeit, Vielseitigkeit (z. B. von Breitbandantibiotika), Achtsamkeit (»Mindfulness«), Vigilanz, Geduld, Metakompetenzen und dynamische Fähigkeiten von Organisationen (Teece 2012). Ferner sind hier Fähigkeiten zur Aneignung von externem Wissen (Absorptive Capacity) und zur externen Weitergabe von internem Wissen (Desorptive Capacity), zum Selbstmanagement und zur Selbstorganisation zu nennen, die beispielsweise auch aus der vorläufigen Eigenverwaltung in einem Schutzschirmverfahren bestehen kann. Darüber hinaus gehören hierzu Intuition, Intelligenz (kognitive Strukturen), Toleranz (z. B. Ambiguitäts- und Konflikttoleranz), Kompromissbereitschaft, Mehrsprachigkeit, Unternehmertum (image Kap. 2.4), IT-Kompetenzen von Nutzern, Einstellungen (z. B. Compliance), Empathie, Nachsicht, Rollenflexibilität sowie Fähigkeiten von sogenannten Polychronics, die sich mit mehreren Aufgaben gleichzeitig beschäftigen können. Hinzu kommen Beziehungspotenziale in Gestalt von Loyalität, Vertrauen, Reputation, Kundenstamm (»Installed Base«), Sozialkapital (Wald 2011) und Kultur, z. B. kollektive Werte und Überzeugungen oder Streitkultur. Es gilt zu beachten, dass einige Potenziale wie z. B. Serendipity (unbeabsichtigte, nutzenschaffende Entdeckungen) nur eingeschränkt gestaltbar sind.

      Man muss bedenken, dass jedes Komplexitätspotential lediglich die formalen Merkmale der betreffenden Ressourcen erfasst, also beispielsweise bei der Manpower nur die Arbeitszeit oder bei Servern nur die Verfügbarkeit. Von individuellen Fähigkeiten werden nur deren Vielseitigkeit (z. B. eines »Offensivverteidigers«) und von den Bereitschaftsfaktoren nur deren Nachhaltigkeit abgedeckt. Um sich ein zutreffendes Bild der jeweiligen Komplexitätskomponenten-Konstellation machen zu können, muss man drei Herausforderungen meistern:

      • Kontextbezug: Ob eine Komplexitätskomponente einen Bedarf oder ein Potenzial darstellt, lässt sich nicht allgemeingültig bestimmen. Die Etikettierung ist vielmehr abhängig vom jeweiligen Kontext. Dieser wird vornehmlich durch Domänen definiert. Eine komplexe Organisationsform wie etwa die Matrixorganisation fungiert im Strategie-Struktur-Kontext als Komplexitätspotenzial zur Umsetzung von komplexen Hybridstrategien wie z. B. Glokalisierung, d. h. die gleichzeitige Nutzung von Globalisierungs- und Lokalisierungsvorteilen. Im Struktur-Humanressourcen-Kontext hingegen stellt sie aufgrund der inhärenten Konflikthaftigkeit einen Komplexitätsbedarf dar, der beispielsweise durch Potenziale in Gestalt von Konflikttoleranz oder Mediation gedeckt werden muss.

      In Interaktionskontexten und hier vor allem in nicht-kooperativen Interaktionsumgebungen haben dieselben Komponenten für die einzelnen involvierten Parteien jeweils eine gegensätzliche Funktion: In Verträgen stellt die vereinbarte Leistung für den Empfänger ein Potenzial, für den Leistungsgeber eine Verpflichtung dar, was spiegelbildlich auch für die Gegenleistung gilt. Ferner stellen etwa Forderungen, offensive Geschäftsstrategien, Verhandlungsgeschick, Spam (unverlangt versendete Nachrichten) oder ein Informationsvorsprung für eine Partei ein Potenzial, für die andere Partei hingegen eine Last dar. Komplexes Wissen ist für den verfügungsberechtigten Wettbewerber ein Potenzial, für seine Konkurrenten hingegen eine Barriere, die beispielsweise Imitationsstrategien unmöglich macht. Ganz analog erzeugt die Intransparenz von Kundendaten für andere Interaktionsparteien (z. B. Hersteller oder Händler) eine Komplexitätslast. Für den Kunden selbst fungiert Intransparenz hingegen als Schutzpotenzial. In Geschäftsbeziehungen dienen Aktivitäten des Verbergens (Hiding), von der Geheimhaltung (z. B. von Patentanmeldungen über 18 Monate) über die Tarnung bis zur Täuschung, für eine Interaktionspartei als ein Potenzial (Informationsvorsprung), für die andere Partei hingegen als eine Barriere. Ebenso stellt ein Plan B ein Potenzial für den jeweiligen Planungsakteur dar, für Interaktionsparteien jedoch eine Belastung, die sie bewältigen müssen. In ähnlicher Weise handelt es sich bei Lock-ins der Kunden um ein Potenzial für die Lieferanten, aber zugleich eine Einschränkung des Handlungsspielraums des Kunden. Flexible Tarifverträge mit Wahlmöglichkeiten zwischen »mehr Entgelt oder mehr Freizeit« beinhalten ein Potenzial für die Arbeitnehmer, generieren aber gleichzeitig eine Regulierungs- und Organisationslast für den Arbeitgeber. Umgekehrt liegen die Verhältnisse beim Jahresarbeitszeitvertrag, der den Abruf von Arbeitszeit in der Souveränität des Arbeitgebers ermöglicht. Ähnlich verhält es sich mit asymmetrischen Kündigungsfristen von Verträgen, etwa Mietverträge, Dienstleistungsverträge (z. B. Storno-Optionen) und Arbeitsverträge (z. B. Probezeiten): Für eine Vertragspartei erweitern die Kündigungsmöglichkeiten den Handlungsspielraum, für die andere Vertragspartei führen sie in aller Regel zu Einschränkungen. Ohne eine Zuordnung zu Akteuren ist die Unterscheidung zwischen Last und Potenzial also faktisch unmöglich, da das Komplexitätspotential einer Partei eine Komplexitätslast für eine andere Partei darstellen kann.

      Im integrativen Konfliktmanagement zeichnen sich neutrale Dritte (z. B. Mediatoren, Schlichter) durch ein spezifisches Komponentenprofil aus: Deren Komplexitätsbelastung resultiert aus den divergierenden Interessen der Konfliktparteien. Das Komplexitätspotenzial beinhaltet u. a. Fähigkeiten zur Erkennung und Betonung von Kommunalitäten zwischen den Konfliktparteien, z. B. gemeinsame übergeordnete Ziele, etwa die Performance der gesamten Supply Chain bei Konflikten zwischen Lieferanten und Abnehmern.

      • Eigenkomplexität: Zahlreiche Komplexitätspotenziale besitzen eine Eigenkomplexität, deren Vernachlässigung zu einer Überschätzung des faktisch verfügbaren Potenzials führt. »Vielfalt« als Komplexitätspotential (z. B. Diversity, Multikulti-Gebilde, Scope, Interdisziplinarität in der Forschung oder der Zusammensetzung von Projektteams) besitzt beispielsweise eine Eigenkomplexität, weil sie mit inkompatiblen Standards, fehlenden Gemeinsamkeiten, Spannung und Polarisierung einhergehen kann. Greift man zur Standardisierung als einem Potenzial zur Handhabung von Diversität, besteht die Eigenkomplexität im Risiko einer überdosierten Vereinheitlichung, z. B. einer Bürokratisierung. Die Eigenkomplexität einer Matrixorganisation äußert sich vornehmlich in deren Innenorientierung, weil sich die beiden Matrixdimensionen »mit sich selbst beschäftigen«. Public Private Partnerships sind durch einen erheblichen internen Koordinationsbedarf zwischen den gemeinwirtschaftlich und den erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Philosophien (»Blended Logics«) und Stakeholdern gekennzeichnet (Ramus/ Vaccaro/ Brusoni 2017). Wandelanleihen (Hybridkapital) besitzen insofern eine Eigenkomplexität, als sie eine differenzierte Bilanzierung zwischen Eigenkapital und Fremdkapital erfordern.

      Eine häufig auftretende Variante von Eigenkomplexität ist die Eigendynamik, sprich unkontrollierte Formen von Veränderungen. Wahlsysteme wie z. B. die personalisierte Verhältniswahl ermöglichen grundsätzlich eine Komplexitätsreduktion via Selektion. Sie können aber gleichzeitig aufgrund ihrer eingebauten Komplexität mit einem erheblichen Ermittlungs- und Berechnungsbedarf einhergehen. Sogenannte Linking-Pin-Modelle sollen die Motivations- und Koordinationsschwachstellen von Hierarchien kompensieren. Gleichzeitig generieren sie zwei Komplexitätsbedarfe: Zum einen durch die flächendeckende Schichtenarchitektur, bei der eine weiterhin bestehende hierarchische Primärorganisation mit einer Sekundärorganisation aus Gruppen überlagert wird. Zum anderen durch die Doppelzugehörigkeit einiger Akteure zu zwei Gruppen im Gefolge der Überlappung von Gruppen. Mit anderen Worten sollte stets ein Netto-Potenzial (Brutto-Potenzial minus Eigenkomplexität) ermittelt werden, da nur dieses für das Meistern der jeweiligen Komplexitätslast faktisch zur Verfügung steht.

      Diese


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