Pandemie. Группа авторов

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wir zusammen!«

      Ein neuer Schriftzug baute sich am Bildschirm auf:

      »Die Vernunft ist unsere Waffe.

      Die Einsicht ist unser Schutz.

      Die Einheit macht uns stark.«

      Das Morgenbulletin des Gesundheitsministers brachte die aktuellen Zahlen zur Ausbreitung der Infektionen. Eine Weltkarte zeigte die Zahl der Erkrankten in den einzelnen Ländern. Verschiedene Farbtöne spiegelten die Infektionsdichte wider.

      Einige geografische Gebiete, insgesamt etwa ein Viertel der Gesamtfläche der Erde, waren in Weiß gehalten und wiesen keinerlei Angaben auf. Es handelte sich um die Regionen, die nicht dem Schenzhener Abkommen angehörten. Die Konvention trug den Namen der chinesischen Stadt, in welcher nach Ausbruch der zweiten Welle von Covid-19 die große internationale Konferenz stattfand. Sie regelte die gemeinschaftlichen, weltumfassenden Notstandsrichtlinien zur Pandemiebekämpfung. Bei den Nichtunterzeichnern handelte es sich meist um Landstriche, die von Bürgerkriegen und anderen bewaffneten Konflikten heimgesucht waren. Einige Staaten weigerten sich aber auch einfach nur stur, sich dem globalen Bündnis der Vernunft anzuschließen.

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      Huang ging es nicht in den Kopf, wie sich manche Regierungen willkürlich auf diese Art von gesundheitspolitischem Abenteuertum einlassen konnten. Und warum ließ sich die Bevölkerung das gefallen? Warum gingen die Leute nicht auf die Barrikaden? Die Grenzen zu diesen Pariastaaten waren militärisch für jede Form von Personen- und Warenverkehr abgeriegelt. Auch Kommunikation auf elektronischem Wege fand so gut wie nicht statt. Niemand wusste, was dort vorging und welche Seuchen dort wüteten.

      Verlässliche Daten gab es nur für den Schenzhenraum. Vier verschiedene Viren trieben derzeit ihr Unwesen. Die beiden länger bekannten, Bigon-37 und Lecran-38, befanden sich laut Morgenbulletin im Rückzug. Neuinfektionen in nennenswertem Ausmaß gab es nur noch in einigen Staaten Afrikas und Südamerikas.

      Anders sah es mit den beiden neueren Viren aus. Feral-39 und Rabion-40 breiteten sich rapide aus. In einigen schwer betroffenen Gebieten Europas, Asiens und Nordamerikas gingen die Opfer in die Tausende. Videobeiträge zeigten die hektische Betriebsamkeit vermummter Ärzte und Pfleger in Quarantänesanatorien. Trotz aller Anstrengungen kam man mit dem Abtransport der Toten nicht nach.

      Huang legte den Morgenmantel ab und schlüpfte in Trainingshose und Sweater. Im rückwärtigen Teil des Lofts standen einige Fitnessgeräte. Gleich daneben befand sich die Glastür zum kleinen Balkon. Er öffnete diese einen Spaltbreit und spürte, wie die kühle Luft hereinströmte. Sie roch nach Desinfektionsmittel. Nur nicht verkühlen.

      Rasch begab er sich zum Laufband. »Langsam anfahren, Chérie, acht Stundenkilometer zum Aufwärmen.«

      »Très bien«, flötete Mireille, »alles klar.«

      Während Huang gemächlich dahintrabte, verfolgte er weiter das Bulletin am Bildschirm. Ein animierter Beitrag illustrierte, wie sich Rabion-40 im menschlichen Körper ausbreitete.

      Die Grafik zeigte den Schattenriss eines Menschen. An der Spitze des rechten Mittelfingers begann ein grün fluoreszierendes Pünktchen zu blinken. Nach und nach nahm die Zahl der leuchtenden Tupfen in der Fingerkuppe zu, erst langsam, dann immer schneller. Sie kletterten auf verzweigten Pfaden den Arm entlang, zur Wirbelsäule und diese entlang zum Kopf.

      Eine männliche Off-Stimme erläuterte: »Das Rabion-40-Virus kann Menschen, Tiere und sogar Pflanzen befallen. Ein mikroskopisches Tröpfchen Speichel, Schweiß oder Tränenflüssigkeit, das auf die nackte Haut gelangt, reicht zur Übertragung. Nach jüngsten Erkenntnissen können möglicherweise auch Insekten das Virus verbreiten. Der Erreger dringt in die Zellen der Nervenfasern an der Hautoberfläche ein und vermehrt sich darin. Schmerzen und später Gefühllosigkeit an der Infektionsstelle können erste Symptome sein. Nach und nach arbeiten sich die Viren über das Innere der Nervenfasern bis in das Rückenmark und von dort weiter ins Gehirn.«

      Anstelle des Körpers erschienen jetzt Querschnitte durch das Gehirn am Schirm. Wie eine Invasionsarmee eroberten die fluoreszierenden Pünktchen die äußere Hirnrinde und konzentrierten sich dort besonders in der linken Hälfte.

      Der Sprecher fuhr fort: »Rabion-40 greift gezielt den Neocortex an, die äußere graue Schicht der Großhirnrinde, und dort insbesondere die linke Seite. Diese Gehirnregion ist für die Vernunft, Einsicht und das logische Denken beim Menschen verantwortlich. Vom Zentralnervensystem breitet sich das Virus zu den Speicheldrüsen und Tränendrüsen aus und findet über deren Sekrete den Weg zu neuen Wirten.«

      »Auf zehn Stundenkilometer steigern, und zehn Prozent Steigung«, ordnete Huang an.

      »Wird gemacht«, bestätigte Mireille.

      Während Huang seine Laufschritte dem neuen Tempo anpasste, vergrößerte sich am Bildschirm eine der infizierten Gehirnregionen und die Animation wurde durch die reale Aufnahme eines hochauflösenden elektronischen Mikroskops überblendet. Das Bild zeigte dicht aneinandergedrängte Gebilde, die in der Form einer Pistolenpatrone ähnelten. Der Ausschnitt zoomte sich weiter hinein, bis nur noch eine einzelne der organischen Strukturen die gesamte Wand füllte. Die äußere Hülle war von kleinen Härchen bedeckt.

      »Rabion-40 gehört zur den Rhabdoviren«, erläuterte der Sprecher. »Die Härchen an der äußeren Hülle dienen dazu, in die Wirtszelle einzudringen. Der allgemein bekannteste Vertreter dieser Familie ist das Lyssavirus, das zu Gehirnschäden führt und dadurch die Tollwut auslöst. Rabion-40 weist starke Ähnlichkeiten mit dieser Gattung auf. Zugleich bestehen aber auch erhebliche Unterschiede. Tollwutviren befallen nur warmblütige Tiere, Rabion-40 dagegen auch andere Lebensformen, darunter, wie schon erwähnt, eventuell Insekten. Zudem führt die Erkrankung bei Menschen nicht zu Halluzinationen, Verwirrtheit, Angstzuständen und Wutanfällen. Die Symptome sind viel subtiler: Realitätsverlust und unvernünftiges Trotzverhalten bis hin zu selbstzerstörerischer und gesellschaftsschädigender Aufmüpfigkeit.«

      »Steigung auf 20 % erhöhen«, befahl Huang. Er keuchte.

      »Tempo beibehalten?«, erkundigte sich Mireille.

      »Gehen wir auf 12 Stundenkilometer.«

      »Der Tod«, setzte der Sprecher seinen Monolog fort, »tritt bei Rabion-40 erst Wochen oder sogar Monate nach Auftreten der Verhaltensstörungen auf, nicht schon nach wenigen Tagen wie bei der Tollwut. Das macht diese Krankheit besonders gefährlich, weil sich dadurch die Chancen einer Übertragung vervielfachen. Die Experten sind sich uneinig, ob es sich bei dem neuen Virus um eine Mutation des Tollwuterregers handelt. Fest steht, dass weder die Tollwutimpfung noch die Behandlung mit Tollwut-Antikörpern gegen Rabion-40 erfolgreich ist. Bei den wenigen Patienten, die bisher eine Infektion überlebt haben, sind schwere Gehirnschäden zurückgeblieben.«

      Huangs Herz raste. »Steigung wegnehmen«, hechelte er.

      »Gerne«, hauchte Mireille.

      Am Bildschirm erschien eine Sprecherin mit rosigen Wangen und dunkelblonden Zöpfen. »Mehr zu diesem hochaktuellen Thema gibt es heute Abend um neunzehn Uhr dreißig im Gesundheitsmikroskop auf der Gemeinschaftswelle. Unser besonderer Gast und Gesprächspartner in dieser Sendung ist der Entdecker von Rabion-40, Moritz Huang …«

      Huang sah sein eigenes Porträtbild die Stirnwand füllen und sein Herzschlag legte noch eine Spur zu.

      »Gratuliere, Chérie «, flötete Mireille.

       2

      Nach der Dusche unterzog sich Huang der routinemäßigen Ganzkörperdesinfektion. Üblicherweise reichte eine einfache Sprühdüse in der Duschkabine für diesen Zweck. Diese gab einen feinen Nebel keimtötender Substanzen ab.

      Huang gönnte sich etwas Besseres. Er besaß die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet. Seine Desinfektionskabine ähnelte einem überdimensionierten Kühlschrank. Ein chemischer Cocktail verbunden mit exakt dosierten Ultraviolettstrahlen ganz bestimmter Wellenlängen machte Bakterien


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