Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter
habe das Kleid viel zu früh angezogen. Nun schau, es ist schmutzig geworden«, beklagte sich Nimue bei der Spiegeldame.
»Ja, du hast recht. Das ist kein Problem, Nimue. Willst du es zum Abendessen anbehalten?«
»Ja, natürlich. Ich habe gehört, dass es Katars Lieblingsfarbe ist.«
»Nun gut. Komm näher zu mir an den Spiegel heran. Ich muss dir jedoch gleich sagen, dass ich das nicht immer machen kann. Es kostest mich viel Energie, und wofür gibt es Wellenschlagmaschinen, die die Wäsche waschen?«
Nimue wusste nicht, was sie vorhatte. Sie vertraute ihr dennoch und stellte sich direkt vor den Spiegel.
»Also«, wies die Spiegeldame sie an, »bleib in diesem Abstand stehen und dreh dich, wenn ich es dir sage.«
»Okay, Spiegel«, antwortete Nimue, neugierig auf das, was nun passieren würde.
Es dauerte Sekunden oder vielleicht sogar Minuten, in denen nichts geschah. Nimue hatte das Gefühl, dass es ewig anhielt, so still auf einem Platz zu stehen und auf etwas zu warten, das sie noch nicht kannte. Dann ging es auf einmal los. Die Spiegeldame füllte sich mit hellem Licht. So hell, dass sich Nimue nicht mehr darin sehen konnte. Daraufhin fing das Licht an, weit in den Raum hineinzuleuchten. Doch nur einen Moment später fokussierte es sich voll auf Nimue, als ob es eine Hülle um ihren Körper bilden wollte. Sie drehte sich auf Befehl und schon war alles wieder vorbei.
Die Spiegeldame erklärte erschöpft: »Ui, jetzt muss ich mich ausruhen.«
Nimue musterte ihr Kleid. Es war sauber, als ob sie es gerade angezogen hätte. »Danke, lieber Spiegel.«
»Ist schon gut, hab‘ ‘nen schönen Abend, Nimue.«
Sofort schnellten an beiden Seiten Türen aus dem Holzrahmen, so schnell, dass Nimue rückwärts springen musste, um ihnen auszuweichen. Sie schlossen sich gleichzeitig mit einem tiefen Atemzug der Spiegeldame. Kurz darauf schlief sie ein.
Nimue war verblüfft über ihre Künste. Noch nie zuvor hatte sie ein Kleid gereinigt.
»Ob sie noch mehr kann, wovon ich nichts weiß?«, wunderte sich Nimue. Da wurde ihr plötzlich klar, dass sie seit fast Jahrzehnten mit der Spiegeldame in diesem Zimmer zusammenlebte und nichts über sie wusste, zumindest nicht, dass sie außer einem Spiegelbild und einem allzu oft frechen Mundwerk auch andere Fähigkeiten besaß. Noch nicht einmal die Türen hatte sie bis zu diesem Tag gesehen, die aus feinstem Mahagoni bestanden. Zudem hatten sie Intarsien über die ganze Länge hinweg. Die Holzverzierungen stellten eine große Blume jeweils in der Mitte der Tür dar. Ringsherum waren kleinere, die sich an den Stängeln miteinander verbanden. Die äußeren Blumen hatten die Farbe Helllila, während die innere unbemalt war.
Nimue musterte den geschlossenen Spiegel noch eine ganze Weile, bis sie bemerkte, dass es Zeit zum Abendmahl war. Gleich darauf machte sie sich auf den Weg zum Tafelsaal, denn an diesem Tag wollte sie auf keinen Fall zu spät kommen.
Auf dem Schlossgang fiel ihr ein Piepsen auf, das mal lauter, mal leiser ertönte. Jeweils dreimal »piep, piep, piep«, bis es vermeintlich die Richtung wechselte. Einmal klang es, als ob es hinter ihrem Rücken wäre, dann vor ihr, dann neben ihr rechts oder mal links. Sie konnte keinen Ort definieren, von dem es mit Bestimmtheit ausging. Sie zuckte mit den Schultern und ging weiter, doch gleichzeitig schärfte sie ihren Gehörsinn. Als sie das Geräusch intensiver wahrnahm, erkannte sie, dass dies von einem Wesen ausgehen musste und es nicht die Holzbalken oder andere im Gang vorhandenen Gegenstände sein konnten.
»Wer und wo bist du?«, fragte sie daraufhin harsch.
Nichts. Keine Reaktion, außer einem erneuten Piepen.
»Zeig dich«, forderte sie das unbekannte Wesen auf. Da entdeckte sie vor sich einen Lichtkegel, der in der Dunkelheit der Abenddämmerung schwach schimmerte. Die Lichtquelle schwankte derart stark hin und her, dass sie keinen Körper ausfindig machen konnte.
»Wer bist du und warum verfolgst du mich? Sprich endlich!«, rief sie aufgebracht.
Gleich darauf sah sie ein kleines Wesen direkt auf sie zu stolzieren, das je Schritt klarer und sichtbarer wurde, wobei das Licht um es herum zunehmend verblasste.
»Mea culpa, Eure Hoheit, ich wollte Sie nicht verärgern«, antwortete es mit weicher Stimme.
»Mea culpa?«, fragte sie nach.
»Meine Schuld, Eure Hoheit.«
»Ach so, sag das doch gleich.«
»Ich möchte mich vorstellen, Eure Hoheit.«
»Das hört sich doch gut an«, bemerkte Nimue nun mit einem Lächeln.
»Ich bin ein Geist, genauer gesagt ein Plagegeist, und kann es den Menschen und anderen Wesen oft schwer machen. Ich liebe es, sie zu ärgern und ihnen Sachen zu verlegen oder sie zu kitzeln oder Dinge, die sie tragen, anzustupsen, sodass sie ihnen auf den Boden fallen.«
»Das ist aber nicht nett, Geist.«
»Na ja, wir sind Lichtgeister und manchmal, da rütteln wir die Körper der guten Seelen auf, um im Alltag nicht einzuschlafen.«
»Was meinst du damit?«, fragte sie wenig überzeugt von seiner Theorie.
»Wir plagen die Menschen so lange, bis sie anfangen, ihre Wahrnehmungsfähigkeit in ihrer Feinheit wieder zu empfinden, um ihre vermeintliche Ungeschicklichkeit zu beenden. Sie erkennen unerwartet wahre Strukturen in oder um etwas herum.«
»Strukturen, um etwas herum?«
»Manchmal verschließt der sich stetig wiederholende Alltag und dessen geistige Nachlässigkeit die Augen vor der Wirklichkeit. Also, träge Menschen sehen nicht so gut wie schwungvolle Menschen. Oder Zauberwesen, denen geht es da ja nicht anders«, erklärte der Geist.
»Und was sehen sie dann nicht?«, wollte Nimue wissen.
»Die Wahrheit in Dingen, wie zum Beispiel Verträgen, Untaten von vermeintlich lieben Freunden oder Partnern oder, oder, oder, da gibt es so eine lange Liste, dass wir hier noch ewig stehen könnten.«
Das war das Stichwort für Nimue. Ewig hatte sie keine Zeit und wahrscheinlich war sie jetzt eh schon wieder zu spät dran.
»Wie heißt du und was willst du?«, fragte sie dennoch.
»Mein Name ist Plagosius und ich würde gerne mit meiner Familie zu deinem Fest kommen.«
»Wie viele?«
»17, Eure Hoheit.«
»Gut,