Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter

Die Chiemsee Elfen - Yvonne Elisabeth Reiter


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      »Der Arme!«

      »Ja, er hat­te sich gro­ße Vor­wür­fe ge­macht. Um den Kö­nig da­vor zu schüt­zen, bau­te er eine Schutz­hül­le: die Holz­ku­gel. Die­se hat die glei­che Form wie der Stein. Viel­leicht soll­te man Holz­trop­fen sa­gen. Ob­wohl, je­der nennt sie Holz­ku­gel. Sie ist am obe­ren Ende an ei­nem dun­kel­brau­nen Le­der­band be­fes­tigt und wirkt auf den ers­ten Blick wie ein Amu­lett. Im engs­ten Sin­ne han­delt es sich auch um einen An­hän­ger, denn so kann man den Stein mit sich her­um­tra­gen, ohne dass sei­ne in­ten­si­ven Ener­gi­en den Kör­per schwä­chen. An­sons­ten soll­te er so auf­be­wahrt wer­den, dass er höchst­mög­lich wir­ken kann.«

      »Und er nimmt wirk­lich die Ener­gi­en sei­nes Be­sit­zers an?«

      »Ja, das tut er. Jah­re spä­ter ha­ben die Dun­kelel­fen den Stein aus der kö­nig­li­chen Kam­mer ge­raubt. Man sagt, dass er in der Hand von Donn­tu­a­gh, dem Kö­nig der Dun­kelel­fen, eine an­de­re Fa­r­be an­ge­nom­men hat. Das Rad der Schöp­fung dreh­te sich um und schloss das Licht in sich ein. So nahm es auch das Licht der Erde mit sich. Die Zau­ber- und Men­schen­welt litt un­ter dem Son­nen­ver­lust ge­nau­so wie es tau­sen­de Jah­re zu­vor die Dra­chen­fa­mi­lie er­leb­te, nur war die­ses Mal der Schat­ten noch dunk­ler. Es wur­den kei­ne Fes­te mehr ge­fei­ert, kein Wein mehr ge­trun­ken und das Es­sen war nur noch in ge­rin­gen Men­gen vor­han­den. Es war furcht­bar kalt und die Kör­per der Men­schen, Tie­re und Zau­ber­we­sen schmerz­ten per­ma­nent. Zu die­ser Zeit war das Le­ben auf der Erde noch nicht so weit ent­wi­ckelt, wie es heu­te ist. Trotz­dem, die Men­schen und Tie­re spür­ten die­sen Wan­del eben­so wie die Zau­ber­we­sen. Die Na­tur hat­te sich ver­än­dert und gab ih­nen im­mer we­ni­ger Le­bens­raum. Vie­le Men­schen muss­ten ster­ben, weil Bee­ren ver­gif­tet wa­ren oder fried­li­che Tie­re plötz­lich wild wur­den. Es war eine grau­sa­me Zeit und dann, dann kam der Men­schen­jun­ge.«

      »Ein Men­schen­jun­ge?«

      »Ja, er war noch ganz klein, so etwa drei Men­schen­jah­re alt und hat­te be­son­ders licht­vol­le Ener­gi­en. Die glei­chen, wie du sie hast, Ni­mue. Er konn­te dunk­le Bar­rie­ren durch­bre­chen, und als der Kö­nig der Dun­kelel­fen ein­mal un­acht­sam war, da lief der klei­ne Jun­ge ge­nau zu die­sem Zeit­punkt in sei­ne Höh­le hin­ein und fand den Stein. Er woll­te nur spie­len und wuss­te nicht, was er da in sei­nen Hän­den hielt. Er nahm ihn mit zu sei­ner Fa­mi­lie und ver­wahr­te ihn in sei­ner Schatz­kis­te. Die Dun­kelel­fen hat­ten kei­ne Ah­nung, wer den Stein ge­stoh­len hat­te und fin­gen an, ihn zu su­chen. Doch durch den neu­en Be­sit­zer dreh­te sich das Rad der Schöp­fung er­neut, füll­te den Stein mit Licht und er­wärm­te die Erde. Das Le­ben wur­de wie­der an­ge­neh­mer, für die Men­schen wie auch die Zau­ber­welt. Der Jun­ge hat­te kei­ne Ah­nung, was er be­saß oder da­mit be­wirk­te. Als er äl­ter wur­de, ver­steck­te er den Stein in­stink­tiv und hü­te­te ihn wie einen gro­ßen Schatz. Ei­nes Ta­ges dann, so sagt man, wur­de er von ei­ner ihm un­be­kann­ten Stim­me zu den Lich­tel­fen des Kö­nig­reichs Shen­ja ge­ru­fen, um dem Kö­nig die­sen Stein zu über­ge­ben. Er wuss­te nicht, war­um er das tun soll­te, hin­ter­frag­te die Stim­me trotz­dem nicht. Er ging auf eine lan­ge Rei­se. Auf die­ser muss­te er sich ei­ni­gen Ge­fah­ren stel­len, doch er sieg­te in je­der Schlacht. Sein Glau­be und der Wunsch, die­sen Stein zu über­ge­ben, hat­ten ihn stark ge­macht. Er fand un­se­ren El­fen­stamm und über­reich­te den Di­a­man­ten. Er selbst wur­de mit den Ener­gi­en der licht­vol­len Zau­ber­welt be­schenkt.« Ya­vi­ra ver­stumm­te für eine Wei­le aus Er­schöp­fung. Die vie­len Wor­te streng­ten sie stark an.

      Ni­mue stell­te sich der­wei­len die Fra­gen: »Wer könn­te das sein? Ken­ne ich ihn wo­mög­lich oder einen sei­ner Nach­fah­ren viel­leicht?« Sie schüt­tel­te den Kopf. Ihr war klar, dass sie ihn nicht ken­nen konn­te. Kei­ner der Hal­bel­fen im Reich kam für sie da­für in­fra­ge, und doch konn­te sie sich täu­schen.

      Nach ei­ner Wei­le hol­te Ya­vi­ra tief Luft. Dar­auf­hin er­zähl­te sie wei­ter: »Ir­gend­wann er­fuhr die Schat­ten­welt von der Ge­schich­te, die nun von Dhuorc, dem Kö­nig der Dun­kel- und Schat­te­n­el­fen, aufs Här­tes­te re­giert wur­de. Ihm wur­de mit­ge­teilt, dass der Stein im Kö­nig­reich Shen­ja war und so bil­de­te er ein Kriegs­heer aus und über­fiel un­ser Kö­nig­reich, um den Stein des Ori­so­lus zu er­obern. Un­se­re Vor­fah­ren wur­den vor­ge­warnt. Den­noch stell­ten sie sich dem Kampf. Das ers­te Ge­fecht en­de­te zu ih­ren Guns­ten. Das zwei­te for­der­te vie­le Op­fer. Als dann die Dun­kel- und Schat­te­n­el­fen die Ko­aks, Fa­ka­ne und wei­te­re böse We­sen auf­rie­fen, ih­nen zu hel­fen, muss­ten sie flie­hen. Un­se­re El­fen­krie­ger wa­ren deut­lich in der Min­der­heit. Das Ziel war zu die­ser Zeit nur noch, das Le­ben zu er­hal­ten und den Stein in Si­cher­heit zu wis­sen. Wäh­rend ih­rer Flucht tra­fen sie im­mer wie­der auf Krie­ger, die den Stein des Ori­so­lus er­obern woll­ten, und ei­nes Ta­ges pas­sier­te es, dass Dhuorc die Holz­ku­gel fei­er­lich in sei­nen Hän­den hielt. Ein gu­ter Zau­be­rer vor Ort hat­te von dem Kampf um den Stein er­fah­ren und rann­te zum Schlacht­feld. Er sah den Kö­nig sach­te mit der lin­ken Hand über den da­mals klei­nen sicht­ba­ren Rie­gel strei­chen. Dhuorc woll­te ge­ra­de das Schloss ent­rie­geln, als der Zau­be­rer die Ku­gel mit ei­nem Schlie­ßungs­zau­ber be­leg­te. Der Ver­schluss ver­schwand vor sei­nen Au­gen. Er dreh­te und wen­de­te die Ku­gel in alle Rich­tun­gen, aber sie blieb ver­schlos­sen. Dhuorc schrie laut vor Wut, was den Bo­den er­zit­tern ließ. Er leg­te den Zau­be­rer in Ket­ten und fol­ter­te ihn so lan­ge, bis er dar­an sta­rb. Der Zau­be­rer ver­lor nie­mals ein Wort über den Ge­gen­zau­ber oder die ma­gi­sche For­mel, mit der er sie be­leg­te. Auf den ers­ten Blick soll­te nie­mand mehr in der Lage sein, die Ku­gel zu öff­nen.«

      »Wie soll dann ir­gend­je­mand auf die­ser Welt in der Lage sein die­se Ku­gel zu öff­nen?«, frag­te Ni­mue ir­ri­tiert.

      »Nach­dem der Zau­be­rer den Zau­ber­spruch aus­ge­spro­chen hat­te, kam ihm ein Elf un­se­res Hee­res zur Hil­fe. Noch be­vor Dhuorcs Krie­ger ihn in sei­ne Hän­de be­ka­men, flüs­ter­te er ihm zu, dass nur der den Zau­ber lö­sen kön­ne, der nicht nur mit der ma­gi­schen For­mel ver­bun­den ist, son­dern sie auch lö­sen kann.«

      »Ma­gi­sche For­mel?«, frag­te Ni­mue.

      »Ja, eine ma­gi­sche For­mel. Dhuorc glaub­te, dass der Zau­be­rer un­se­rem Kö­nig die Lö­sungs­for­mel be­reits vor der Er­obe­rung mit­teil­te und über­fiel un­se­re Fa­mi­lie noch ein­mal, die­ses Mal in Corn­wall.«

      »Und da­bei sta­rb sei­ne Frau Ba­ra­bel, nicht wahr, Mama?«

      »Ja, mei­ne Lie­be, so ist es. Ich habe ge­hört, dass sie Dhuorc über­lis­tet hat, um ih­ren Mann zu ret­ten.«

      »Das war ganz schön mu­tig, Mama.«

      Ya­vi­ra nick­te. »Da­bei nahm sie die Holz­ku­gel an sich. Dhuorc hat sich mit ih­rem Tod ge­rächt.«

      »Seo­ras wird sie nie ver­ges­sen, Mama, er ist so trau­rig ohne sie.«

      »Er liebt sie noch ge­nau­so wie am ers­ten Tag, an dem er sie ken­nen­lern­te. Man er­zählt sich, es war Lie­be auf den ers­ten Blick. Solch eine Lie­be kann auch der Tod nicht zer­stö­ren.«

      Ein lau­tes Don­nern von Hu­fen un­ter­brach die bei­den.

      »Was war das?«, woll­te Ni­mue wis­sen.


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