Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter

Die Chiemsee Elfen - Yvonne Elisabeth Reiter


Скачать книгу
Es soll­te ihr hell­gel­bes Kleid sein. Ihre Emp­fin­dung war un­be­schreib­lich klar, deut­li­cher als je­des aus­ge­spro­che­ne Wort es hät­te sein kön­nen. Sie mach­te sich kei­ne Ge­dan­ken dar­über, wo­her die­ser Im­puls kam, son­dern freu­te sich, eine schnel­le Ent­schei­dung ge­trof­fen zu ha­ben.

      Ent­schlos­sen sag­te sie: »Schrank, kann ich bit­te das hell­gel­be Kleid ha­ben?«

      Ihre Wor­te wa­ren noch nicht ganz aus­ge­spro­chen und schon öff­ne­ten sich die Tü­ren, be­glei­tet von ei­nem lau­ten, knar­ren­den Holz­ge­räusch. Sie sah das ge­wünsch­te Kleid, das wie von Geis­ter­hand aus der Rei­he her­vor­rag­te, und nahm es an sich.

      Der Schrank be­merk­te: »Das Kleid, so edel wie du, mei­ne El­fen­prin­zes­sin. Es soll dich an ei­nem schö­nen Abend schmü­ckend be­glei­ten.« Dar­auf­hin gin­gen die Tü­ren wie­der zu.

      »Dan­ke, lie­ber Schrank.«

      Se­kun­den spä­ter war Ni­mue hin­ter ei­nem Pa­ra­vent aus Ma­ha­go­ni ver­schwun­den. Dort zog sie sich um. Mit ei­nem woh­li­gen Ge­fühl stell­te sie sich kurz dar­auf vor den Spie­gel. Das blas­se Gelb schim­mer­te im Ker­zen­licht und sie spür­te die edle Baum­wol­le ge­schmei­dig auf ih­rer Haut lie­gen. Das Ober­teil hat­te dün­ne Trä­ger und ver­schmolz bei­na­he mit ih­rem Kör­per. Der Rock war weit und lang. Nur noch ein paar Ze­hen spitz­ten dar­un­ter her­vor. Am Rü­cken wa­ren un­sicht­ba­re El­fen­flü­gel be­fes­tigt, de­ren Er­schei­nung nur im Ker­zen­licht auf­fla­cker­te. Die­ses Kleid hat­te ihre Groß­mut­ter selbst ge­näht. Es stand ihr ein­zig­ar­tig gut und so er­wähn­te die Spie­gelda­me: »Schön siehst du aus, Ni­mue.«

      Ni­mue freu­te sich über das Kom­pli­ment und be­dank­te sich bei ihr. Dann ging sie in das Büro ih­res Groß­va­ters. Dort an­ge­kom­men, sah sie ihn an sei­nem Schreib­tisch sit­zen.

      »Hal­lo, mei­ne Klei­ne, schon fer­tig, wie ich sehe.«

      Sie nick­te. »Ich woll­te mit dir spre­chen, Opa.«

      Nach ei­ner leich­ten Kopf­be­we­gung nach un­ten wand­te er sich wie­der dem Buch zu, das di­rekt vor ihm auf dem Schreib­tisch lag. Es war groß und hat­te hell­bei­ge Blät­ter mit schwa­r­zer Tin­te dar­auf.

      Ni­mue be­wun­der­te den Rand des Um­schlags, der dick und aus feins­tem brau­nem, sehr al­tem Le­der war. Sie konn­te sich nicht er­in­nern, das Buch schon ein­mal ge­se­hen zu ha­ben, und so wan­der­ten ihre Bli­cke lang­sam über die Sei­ten. Da­bei fin­gen ihre Au­gen an, das Buch zu fi­xie­ren. Ir­gen­d­et­was zog ihre Auf­merk­sam­keit re­gel­recht an. Sie fühl­te, wie sich ihre Bli­cke ver­selbst­stän­dig­ten. Es war ihr ur­plötz­lich nicht mehr mög­lich, ihre Au­gen von dem Werk ab­zu­wen­den.

      Aar er­kann­te dies und lä­chel­te. »Um was geht es denn?«

      Ni­mue muss­te ih­ren Kopf mit ei­nem hef­ti­gen Ruck weg­zie­hen, um das Buch nicht mehr an­zu­star­ren. Da­nach setz­te sie sich auf einen Stuhl, der ge­gen­über von Aars Oh­ren­ses­sel am Ka­min stand. Von die­sem aus konn­te sie ih­ren Groß­va­ter gut se­hen. Er blick­te im­mer noch auf die ge­öff­ne­ten Sei­ten, und doch wuss­te Ni­mue, dass er ih­ren Wor­ten auf­merk­sam lau­schen wür­de.

      »Ich war heu­te im Wald, Opa, bei der Ei­che, und habe me­di­tiert. Aaro mein­te, dass ich auf dem Weg zu mei­nem in­ne­ren Selbst war. Kann das sein?«

      »So, so, die Ei­che mein­te das«, be­merk­te er schmun­zelnd. »Was hast du da­bei er­lebt, mei­ne Klei­ne?«

      »Ich weiß es nicht, aber schön war es schon. Ich habe ver­sucht, nicht mehr zu den­ken, und ir­gend­wie war das echt schwie­rig, und dann sag­te Stúh­ly, dass ich mich auf einen Stein kon­zen­trie­ren soll­te, der vor mir lag. Da­nach war al­les an­ders. Ich dach­te nichts mehr und fühl­te eine Wär­me, die mei­nen Kör­per ent­spann­te. Es war, als ob ich durch eine traum­haf­te, den­noch mir ver­bor­ge­ne Land­schaft wan­deln wür­de. Dort zeig­te sich mir ein Schwan. Gleich da­nach sah ich auch das Was­ser, in dem er schwamm. Der Schwan war wun­der­schön, Opa.« Sie hielt kurz inne. »Eine Stim­me habe ich aber nicht ge­hört. Wie soll ich nur mei­ne in­ne­re Stim­me fin­den?«

      »Wie hast du dich da­bei ge­fühlt?«

      »Gut. Es war so ähn­lich wie frü­her, bei Mama und Papa, wenn ich in ih­rem Bett zum Ku­scheln lag oder wenn du oder Oma mich ganz fest drückt. Auf je­den Fall war es schön.«

      »Du hast dich be­schützt, ge­liebt und auf­ge­ho­ben ge­fühlt. Du bist dem ur­sprüng­li­chen rei­nen Zu­stand dei­ner See­le nä­her­ge­kom­men. Die­ser be­steht aus wah­rer Lie­be. Seit dei­ner Ge­burt kann ich sie in dei­nen Au­gen strah­len se­hen. Die­se fei­nen Emp­fin­dun­gen wer­den dir ein gu­ter Weg­wei­ser sein.«

      »Aber die in­ne­re Stim­me, Opa?«, frag­te sie mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen.

      »Die in­ne­re Stim­me ist dein Ge­fühl. Du wirst kei­ne Lau­te in dei­nen Oh­ren hö­ren, wie du mei­ne oder an­de­re Stim­men hörst. Es ist in dir. Manch­mal be­steht aus­schließ­lich das Ge­fühl, und manch­mal fühlst du und ver­wan­delst dei­ne Emp­fin­dun­gen in Wor­te.«

      »Das Was­ser, in dem der Schwan schwamm, hat mich an un­ser Brun­nen­was­ser er­in­nert, nur zeig­te es sich viel kla­rer«, spru­del­te es dann aus ihr her­aus.

      »Ja, die Quel­le dei­ner See­le.«

      »Und der Schwan?«, frag­te Ni­mue.

      »Frag ihn doch, viel­leicht ist er dein See­len­tier. Jede Elfe hat ein See­len­tier. Zu un­ter­schied­lichs­ten Zei­ten zei­gen sie sich ih­ren Schütz­lin­gen. Viel­leicht woll­te dir der Schwan mit­tei­len, dass er dein See­len­tier ist. Oder hast du ein an­de­res?«

      »Nein, habe ich nicht. Zu­min­dest weiß ich nichts da­von. Ich wuss­te ja bis ge­ra­de eben nicht ein­mal, dass es See­len­tie­re gibt.«

      »Du könn­test ihn fra­gen, war­um er sich dir zeigt.«

      »Das ma­che ich gleich mor­gen, Opa«, er­klär­te sie ent­schlos­sen.

      Ni­mue lehn­te sich zu­rück in den Stuhl und ver­lor sich in ih­ren Ge­dan­ken. »Die in­ne­re Stim­me ist also ein Ge­fühl«, dach­te sie. »Wie kann sie mir dann den rich­ti­gen Wunsch mit­tei­len?« Erst woll­te sie Aar da­nach fra­gen. Dann je­doch sah sie ihn eine auf­ge­schla­ge­ne Sei­te so in­ten­siv stu­die­ren, dass Ni­mue ihn nicht noch ein­mal stö­ren woll­te. Sie ent­schied sich für einen spä­te­ren Zeit­punkt und be­ob­ach­te­te ihn beim Le­sen.

      Für sie stell­te er die Voll­kom­men­heit ei­nes El­fen dar. Er war ei­ni­ge Zen­ti­me­ter grö­ßer als sie. Hat­te lan­ges, hell­brau­nes Haar. Sei­ne spit­zen Oh­ren rag­ten über die Haa­re hin­aus und wa­ren an den En­den et­was schrum­pe­lig. Das Haar glänz­te im Ker­zen­licht, wo­bei sie ei­ni­ge Licht­re­fle­xe durch sein Ge­sicht lau­fen sah. Sei­ne Au­gen wa­ren groß und von ei­nem Blau, wel­ches nicht kla­rer und rei­ner hät­te sein kön­nen. Er hat­te eine lan­ge, ge­ra­de Nase und sein Mund war fein, und doch hat­te er kei­ne schma­len Lip­pen, wie es für El­fen üb­lich war. Sei­ne Haut­fa­r­be war bläu­lich, da er nur sel­ten an Land ging, mit ei­nem brau­nen Schim­mer dar­in. Er trug meis­tens einen grü­nen Geh­rock mit Gür­tel, eine brau­ne Hose und al­tes, ge­bun­de­nes Le­der als Schu­he.

      »Willst du wis­sen, Ni­mue,


Скачать книгу