Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter

Die Chiemsee Elfen - Yvonne Elisabeth Reiter


Скачать книгу

      »Was, Mama?«, woll­te sie un­ge­dul­dig wis­sen.

      »Ob du die ers­te Kö­ni­gin un­se­res Rei­ches Shen­ja wirst und die Holz­ku­gel für das Licht öff­nest.«

      Ni­mue fiel das Kinn nach un­ten.

      »Ich, Kö­ni­gin? Und wel­che Holz­ku­gel?«

      »Es ist eine klei­ne Holz­ku­gel, die seit Jahr­tau­sen­den nicht mehr ge­öff­net wor­den ist, be­zie­hungs­wei­se kann sie nicht ge­öff­net wer­den, da sie durch einen ma­gi­schen Zau­ber ver­schlos­sen wor­den ist.«

      »Aha«, staun­te Ni­mue.

      »Die Ku­gel be­steht aus feins­tem Ma­ha­go­ni und hat auf­grund des Zau­bers kei­ne sicht­ba­re Öff­nung mehr. Er­ken­nen kannst du sie nur an der In­tar­sie, wel­che eine Rose dar­stellt. Nie­mand, so scheint es, ist in der Lage, die­se Ku­gel zu öff­nen. Man sagt, dass der Zau­ber nur von dem Zau­be­rer selbst ge­löst wer­den kann und …« – Ya­vi­ra hielt kurz inne, um ihre Wort­wahl zu über­den­ken – »die­ser ist je­doch schon lan­ge ver­stor­ben und hat kei­ne fä­hi­gen Nach­fah­ren hin­ter­las­sen.«

      »War­um hat er das ge­macht und was hat er ge­nau ver­zau­bert?«

      »Er war ein gu­ter Zau­be­rer, der zu der Zeit leb­te, als un­ser Volk von den Dun­kelel­fen aus Crid­he ver­trie­ben wur­de. Der Kö­nig­stamm Shen­ja hat­te da­mals einen Stein, ge­nau­er ge­sagt einen Di­a­man­ten, der auf­grund sei­ner Rein­heit hell strahl­te.«

      »Einen Di­a­man­ten?«, staun­te Ni­mue er­neut, »Wie hat der aus­ge­se­hen?«

      »Sei­ne Form glich ei­nem Trop­fen. In der Mit­te konn­te man eine links­dre­hen­de Spi­ra­le er­ken­nen, die in ei­nem sanf­ten Gold­schim­mer glänz­te. Die Spi­ra­le sym­bo­li­siert die Ein­heit von al­lem Be­ste­hen­den. Von der Stel­le der Ur­schöp­fung aus­ge­hend, die di­rekt in der Mit­te liegt, er­hellt das Licht mehr und mehr sei­ne Um­ge­bung. Sein Name ist: Stein des Ori­so­lus.«

      »Hat die Links­dre­hung et­was mit den Schne­cken­kö­ni­gin­nen zu tun?«

      Ya­vi­ra lach­te und schüt­tel­te da­bei den Kopf. »Nein, ich den­ke nicht. Na­tür­lich kann man das ver­mu­ten, denn die Kö­ni­gin­nen, also die Schne­cken mit ei­ner Links­dre­hung, gibt es un­ter ei­ner Mil­li­on nur ein­mal, und das ist schon eine Be­son­der­heit. Ihr Ge­häu­se, oder wie es die Schne­cken selbst nen­nen, ihr Schutz­man­tel, hebt sich von den Mil­li­o­nen rechts­dre­hen­den ab. Du bist eine schlaue Elfe, Ni­mue.« Ya­vi­ra stups­te ihre Toch­ter an der Nase an. »Ich glau­be je­doch, dass mehr der Name auf den Ur­sprung des Steins hin­deu­tet als die Dre­hung der Spi­ra­le. So­lus ist das Licht, das im Ur­sprung, also Ori, durch einen Fun­ken ent­stan­den ist. Die­ser Fun­ke hat das Le­ben ent­zün­det, so steht es ge­schrie­ben.«

      »Der muss ja wun­der­schön sein«, ver­mu­te­te Ni­mue ver­blüfft.

      »Ja, das ist er, und weißt du, von wem sie die­sen Stein ge­schenkt be­kom­men ha­ben?«

      Ni­mue schüt­tel­te den Kopf.

      »Vom Dra­chen­füh­rer Dracóran. Vor Tau­sen­den von Jah­ren ha­ben wil­de Ko­aks das Kö­nig­reich über­fal­len und ein­ge­nom­men. In der Nähe des Rei­ches war eine Höh­le, in der eine Dra­chen­fa­mi­lie leb­te. Die­se wa­ren Freun­de des Kö­nigs. Nach der Be­set­zung be­frei­ten die Dra­chen das Kö­nig­reich von ih­ren An­grei­fern. Lei­der je­doch sta­rb Dracórans Fa­mi­lie da­bei. Nur er war noch am Le­ben, al­ler­dings schwer ver­letzt. Wäh­rend er im Ster­ben lag, ging der El­fen­kö­nig zu ihm und pfleg­te ihn bis zum letz­ten Atem­zug. Kurz be­vor er sta­rb, überg­ab er dem Kö­nig die­sen Di­a­man­ten mit der Bot­schaft, dass der Stein be­son­de­re Kräf­te be­sit­zen und das Reich Shen­ja be­schüt­zen wür­de.«

      »Wo­her stammt der Stein?«

      »Das wis­sen wir nicht. Was wir al­ler­dings wis­sen ist, wie er zu der Dra­chen­fa­mi­lie ge­lang­te. Dracóran er­zähl­te dem Kö­nig, dass er selbst die­sen Stein vor lan­ger Zeit in der Tie­fe des Mee­res ent­deckt hat­te. Ein Licht, das aus dem Meer strahl­te, hat­te ihn an­ge­zo­gen. Als er da­nach tauch­te, fand er die­sen Stein. Er nahm ihn an sich, er­kann­te je­doch nicht auf An­hieb sei­ne Macht. Aus die­sem Grund leg­te er ihn in eine gro­ße Pi­ra­ten­kis­te, in der be­reits eine Men­ge Schmuck lag, und so ver­gaß er ihn für ei­ni­ge Jah­re. Als die Dun­kel­welt mehr und mehr das Land un­ter einen Schat­ten leg­te, ver­rin­ger­te sich die Nah­rung er­heb­lich. Men­schen, Tie­re und an­de­re We­sen versta­r­ben. Ei­nes Abends saß Dracóran ver­zwei­felt bei sei­nen Schät­zen und über­leg­te, was er tun könn­te, um sei­ne Fa­mi­lie vor dem Hun­ger­tod zu ret­ten. Da rüt­tel­te sich et­was in der Pi­ra­ten­kis­te, so hef­tig, dass sie sich hin- und her­be­weg­te. Als er hin­ein­sah, lag der Di­a­mant strah­lend oben­auf. Er strahl­te so hell, dass er den gan­zen Raum er­leuch­te­te. Dracóran nahm ihn in sei­ne Kral­le und da ge­sch­ah es: Der Stein ver­band sich mit sei­ner po­si­ti­ven Ener­gie. Da­bei dehn­te sie sich aus und füll­te da­mit sei­ne Um­ge­bung. Gleich­zei­tig er­wach­te die Na­tur mit all ih­rer schö­nen Viel­falt. Er sah nie­der­ge­schla­ge­ne Men­schen auf­ste­hen, ge­nau­so wie das Licht die Le­bens­geis­ter der Tie­re und an­de­re We­sen aufs Neue weck­te. So wur­de auch sein gro­ßer Wunsch er­füllt, denn sei­ne Kin­der hat­ten bald wie­der ge­nü­gend zu es­sen.«

      »Und die Schat­ten­welt?«

      »Die­se wuss­te erst gar nicht, wie es zu die­ser schnel­len licht­vol­len Ver­än­de­rung kom­men konn­te. Doch sie hat­ten vom My­thos des Steins be­reits ge­hört und wa­ren sich ei­nig, dass der Dra­che die­sen ge­fun­den ha­ben muss­te. Das er­öff­ne­te ein neu­es Pro­blem für Dracóran, denn die Dun­kel- und Schat­ten­welt woll­te den Stein für ihre Zwe­cke nut­zen.«

      »Wie­so? Er ist doch licht­vol­ler Na­tur, oder?«

      »Nein, mei­ne Lie­be, er un­ter­stützt die Ener­gie sei­nes Be­sit­zers. Da­bei spielt der kör­per­li­che Erst­kon­takt eine gro­ße Rol­le.«

      »Aha«, staun­te Ni­mue und ver­sank in ihre Ge­dan­ken. In die­sen ließ Ya­vi­ra ihre Toch­ter für einen Mo­ment in Ruhe ver­wei­len.

      »War­um hat Dracóran den Stein nicht ein­fach ge­tra­gen, als der gro­ße Kampf ge­gen die Ko­aks statt­fand? Das Licht hät­te ihn und sei­ne Fa­mi­lie doch ge­stärkt.«

      »Hier be­stand ein gra­vie­ren­des Pro­blem. Die­ser Stein ist nicht dazu da, um ihn her­um­zu­tra­gen. Du weißt ja, Ni­mue, dass zu viel von et­was, auch wenn es gut ist, wie­der ins Ge­gen­teil um­schla­gen kann. Ich mei­ne da­mit, dass nur der Erst­kon­takt zwi­schen dem Stein und sei­nem neu­en Be­sit­zer wich­tig ist.«

      »Ich weiß nicht, was du da­mit meinst, Mama.«

      »So­lus ist das Licht im Ur­sprung Ori, das die Ur­schöp­fung dar­stellt.«

      Ni­mue nick­te.

      »Wir ha­ben zwei Ur­vä­ter, das weißt du doch, oder?«

      »Ja, das Gute und das Böse wur­de als Zwil­lings­paar ge­bo­ren.«

      »Ge­nau, also kön­nen bei­de die Ur­schöp­fung dar­stel­len.«

      »Du meinst, Mama, dass beim Erst­kon­takt


Скачать книгу