Sherlock Holmes - Seine Abschiedsvorstellung. Arthur Conan Doyle

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Zweifel ein riskantes Unternehmen; sonst hätte sie nicht ›Gott schütze Sie‹ hinzugefügt. ›D.‹ – das könnte uns auf die Sprünge helfen.«

      »Der Mann war Spanier. ›D.‹ steht vermutlich für Dolores, der Name ist in Spanien sehr häufig.«

      »Gut, Watson, ausgezeichnet – nur leider völlig ausgeschlossen. Eine Spanierin würde einem anderen Spanier auf spanisch schreiben. Diese Mitteilung stammt also mit Sicherheit von einer Engländerin. Nun, im Moment bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in Geduld zu fassen, bis dieser treffliche Inspektor wiederkommt, um uns abzuholen. Einstweilen aber wollen wir froh und dankbar sein, daß ein gütiges Geschick uns für ein paar flüchtige Stunden von den unerträglichen Strapazen des Müßiggangs erlöst hat.«

      Noch ehe unser Polizeibeamter aus Surrey wieder zu uns zurückgekehrt war, traf die Antwort auf Holmes' Telegramm ein. Holmes las sie durch und wollte sie schon in sein Notizbuch stecken, als sein Blick auf mein erwartungsvolles Gesicht fiel. Mit einem Lachen warf er sie mir zu.

      »Wir bewegen uns in gehobenen Kreisen«, bemerkte er.

      Das Telegramm enthielt eine Liste von Namen und Adressen:

      Lord Harringby, The Dingle; Sir George Ffolliott, Oxshott Towers; Mr. Hynes Hynes, J. R, Purdey Place; Mr. James Baker Williams, Forton Old Hall; Mr. Henderson, High Gable; Rev. Joshua Stone, Nether Walsling.

      »Dies ist ein sehr simples Verfahren zur Eingrenzung unseres Operationsfeldes«, sagte Holmes. »Zweifellos hat Baynes mit seinem Sinn für Methodik bereits einen ähnlichen Weg eingeschlagen.«

      »Ich verstehe nicht ganz.«

      »Nun, mein lieber Freund, wir waren bereits zu dem Schluß gediehen, daß es sich bei der Botschaft, die Garcia bei Tisch erhielt, um eine Verabredung oder ein Stelldichein gehandelt hat. Nun denn, falls die naheliegende Lesart die richtige ist und man, um sich zu diesem Treffen zu begeben, eine Haupttreppe emporsteigen und die siebte Tür in einem Korridor aufsuchen muß, so ist es völlig klar, daß das betreffende Haus sehr groß sein muß. Und mit ebensolcher Gewißheit läßt sich sagen, daß dieses Haus nicht mehr als ein oder zwei Meilen von Oxshott entfernt sein kann, da Garcia in diese Richtung gegangen ist und, nach meiner Auslegung der Tatsachen, rechtzeitig in Wisteria Lodge5 zurückzusein hoffte, um sich seines Alibis zu bedienen, das nur für die Zeit bis ein Uhr gelten würde. Da die Anzahl großer Häuser im engeren Umkreis von Oxshott begrenzt sein muß, habe ich die naheliegende Methode angewandt, den von Scott Eccles erwähnten Häusermakler anzufragen, ob er mir eine Liste davon zusammenstellen könnte. In diesem Telegramm hier sind sie nun alle aufgeführt, und in einem von ihnen muß das andere Ende unseres verschlungenen Fadens liegen.«

      Es war kurz vor sechs Uhr, als wir in Begleitung von Inspektor Baynes im hübschen Dorf Esher in der Grafschaft Surrey eintrafen. Holmes und ich hatten uns für eine Übernachtung gerüstet und fanden im Bull behagliches Quartier, Sodann machten wir uns zusammen mit dem Detektiv auf den Weg nach Wisteria Lodge. Es war ein kalter, dunkler Märzabend; ein scharfer Wind wehte und peitschte uns den Nieselregen ins Gesicht; es paßte alles zusammen mit der öden Allmende, durch die wir unserem tragikumwitterten Ziel entgegenstrebten.

      Nach einem kalten und trübseligen Marsch von einigen Meilen kamen wir an ein hohes, hölzernes Tor, welches sich auf eine düstere Kastanienallee öffnete. Wir folgten der geschwungenen, überschatteten Einfahrt zu einem gedrungenen, finster wirkenden Haus, das sich nachtschwarz gegen den schiefergrauen Himmel abhob. Aus dem Fenster links neben der Eingangstür drang schwacher Lichtschimmer.

      »Ein Constable hält die Stellung«, sagte Baynes. »Ich will mal eben ans Fenster klopfen.« Er stapfte über das Rasenstück und pochte mit der Hand gegen die Scheibe. Durch das beschlagene Glas hindurch konnte ich undeutlich erkennen, wie ein Mann aus seinem Sessel neben dem Kaminfeuer aufsprang, und gleichzeitig drang ein gellender Schrei aus dem Zimmer. Einen Augenblick später öffnete uns ein schwer atmender und totenblaßer Polizist die Tür; die Kerze in seiner Hand zitterte und schwankte.

      »Was ist los, Walters?« fragte Baynes barsch.

      Der Mann wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.

      »Bin ich froh, daß Sie hier sind, Sir. Das ist ein langer Abend gewesen, und meine Nerven sind wohl auch nicht mehr das, was sie mal waren.«

      »Ihre Nerven, Walters? Ich wußte gar nicht, daß Sie so was haben.«

      »Nun, Sir, das liegt an diesem einsamen, stillen Haus und diesem komischen Zeugs in der Küche. Und als Sie dann ans Fenster geklopft haben, da hab ich gedacht, es sei zurückgekommen.«

      »Was sei zurückgekommen?«

      »Wenn Sie mich fragen, Sir, dann war's der Teufel. Es war am Fenster.«

      »Was war am Fenster, und wann?«

      »Das ist jetzt etwa zwei Stunden her. Es war eben dunkel geworden. Ich hab in meinem Stuhl gesessen und gelesen. Ich weiß nicht genau, was mich von meinem Buch aufblicken ließ, aber auf jeden Fall war da ein Gesicht, das mich durch die untere Fensterscheibe hindurch anstarrte. Guter Gott, Sir, das war vielleicht ein Gesicht! Das wird mich noch im Traum verfolgen.«

      »Tz, tz, Walters; so redet doch kein Constable der Polizei.«

      »Ich weiß, Sir, ich weiß; aber es ist mir wirklich durch Mark und Bein gegangen, das kann ich nun einmal nicht abstreiten. Es war weder schwarz noch weiß, Sir, noch sonst von irgendeiner Farbe, die ich kenne, sondern ein ganz komischer Farbton, wie Lehm mit einem Spritzer Milch darin. Und dann seine Größe, Sir – es war zweimal so groß wie Sie. Und wie es aussah – große starrende Glotzaugen und eine Reihe weißer Zähne wie ein hungriges wildes Tier. Ich sage Ihnen, Sir, keinen Finger konnte ich rühren und keinen Atemzug tun, bis es weghuschte und nicht mehr zu sehen war. Dann bin ich hinausgerannt und habe das Gebüsch durchsucht, aber Gott sei Dank war da niemand mehr.«

      »Würde ich Sie nicht als tüchtigen Mann kennen, Walters, dann müßte ich Ihnen hierfür einen Rüffel geben. Und wenn es der Teufel in Person wäre, nie darf ein Constable im Dienst Gott danken, daß er ihn nicht dingfest machen konnte. Das Ganze war doch wohl nicht bloß ein Hirngespinst oder ein Anfall von Nervenschwäche?«

      »Dies zumindest läßt sich sehr einfach feststellen«, sagte Holmes und zündete seine kleine Taschenlampe an. »Ja«, meldete er nach einer kurzen Untersuchung des Rasenstücks, »Schuhgröße zwölf6, würde ich sagen. Wenn alles an ihm von derselben Größenordnung ist wie seine Füße, so muß es allerdings ein Riese gewesen sein.«

      »Und was ist weiter mit ihm passiert?«

      »Es macht den Anschein, daß er sich durch das Gebüsch zur Straße durchgeschlagen hat.«

      »Nun gut«, sagte der Inspektor mit ernster und nachdenklicher Miene, »wer immer das gewesen sein mag, und was immer er gewollt hat, jetzt ist er jedenfalls nicht da, und es gibt Dringlicheres zu erledigen. Mr. Holmes, wenn es Ihnen recht ist, werde ich Sie nun durchs Haus führen.«

      Eine eingehende Durchsuchung der verschiedenen Schlafzimmer und Salons hatte keine Ergebnisse gezeitigt. Offensichtlich hatten die Mieter wenig oder gar nichts mitgebracht und das Haus mitsamt dem ganzen Inventar, bis hin zu den geringsten Kleinigkeiten, übernommen. Eine ganze Menge Kleider mit dem Etikett von Marx & Co., High Holborn, war zurückgelassen worden. Telegraphische Nachforschungen hatten bereits ergeben, daß die Firma Marx über ihren Kunden lediglich zu sagen wußte, daß er stets pünktlich bezahlt hatte. An persönlichen Habseligkeiten fand sich allerlei Krimskrams, ein paar Pfeifen, mehrere Romane, zwei davon auf Spanisch, ein altmodischer Zündnadelrevolver und eine Gitarre.

      »Das alles gibt nichts her«, sagte Baynes, der mit der Kerze in der Hand von einem Raum zum andern stapfte. »Jetzt aber, Mr. Holmes, möchte ich Sie bitten, Ihre volle Aufmerksamkeit der Küche zuzuwenden.«


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