BOHÈME. Jonas Zauels

BOHÈME - Jonas Zauels


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kommen nur geladene Gäste rein.“ „Nimm es nicht persönlich Schätzchen, der Club gehört den Chevaliers“, redet mir Ferdinand indes freundlich zu. „Audrey kann damit also machen, was sie möchte. Und die ist schon sehr speziell, wenn es darum geht, wer reinkommt.“

      „Und wenn sie mich eingeladen hat?“

      „Nicht möglich!“, lacht Laetitia. „Audrey Chevalier würde einen Neuling wie dich im Leben nicht einladen! Nicht einmal ich war dort drin, und ich bin seit zwei Jahren auf jeder Veranstaltung von ihr.“

      „Sie meinte, ich kann dich mitbringen.“

      „Sie meinte was?!“ Laetitia ist komplett entgeistert und wird wohl nie wieder mit mir reden. – Was eigentlich nicht allzu schlimm ist. Dass sie natürlich mitkommt, um auf mich aufzupassen, ist das einzige, das sie noch in meine Richtung fallen lässt.

      Der Club, der kreativerweise Le Club heißt, ist ein wahrer Wanderzirkus. Wo man auch hinguckt, sind bunte Gestalten mit aufwendigen Kleidern oder feinen Maßanzügen, mit bunten Frisuren und skurrilen Accessoires. Musik, die sich anhört wie beatunterlegter Chanson, säuselt angenehm laut durch die dunklen Boxen, während das Publikum nur vornehm zurückhaltend mitwippt und sich an bunte Cocktailgläser und an lange, dünne Zigaretten klammert. Laetitia macht den Eindruck, im siebten Himmel zu sein. Aufgeregt wedelt sie mit ihrem feinen Stil durch die steingemauerte Lokation von Gast zu Gast und scheint jeden zu kennen und zu achten. Mich wundert es sehr, dass sie nicht früher schon einmal hier gewesen ist.

      Auf einer mit rotem Kunstleder bezogenen Couch mache ich es mir bequem und versuche mich von dem Alkohol auszuruhen. Mir ist nicht schlecht, aber ich merke, wie mein Kopf matt und langsam wird. Nach nicht einmal zwei Minuten kommt allerdings Ferdinand schon wieder mit zwei Martini Gläsern an und setzt sich zu mir.

      „Wir müssen damit aufhören, sonst komme ich heute nicht mehr nach Hause“, sage ich streng und nehme das Getränk an mich.

      „Warum hängst du denn so in den Seilen? Willst du was nachlegen?“

      „Nachlegen?“

      „Koks, Schätzchen“

      „Oh nein, nein, so etwas mache ich nicht.“

      „Was du nicht sagst. Jeder macht das.“

      „Jeder? Laetitia und du etwa auch?“

      „Guck doch nicht so schockiert, was meinst du, warum alle so aufgedreht, fröhlich-wach hier herumstolzieren?“

      Vor meinen Augen verwandeln sich die jungen, schönen Gäste von jetzt auf gleich in abgewrackte, aufgesetzte Junkies. Tote Blicke, ausdruckslose Masken, wie eine Geistergesellschaft wackeln sie zum Takt der Musik. Ferdinand erscheint normal. Sofern man einem exzentrischen Schauspieler, der wohl in irgendeiner Rolle hängengeblieben ist, als normal bezeichnen kann.

      „Das ist das Geheimnis hinter all dem Glanz? Drogen?“

      „Du kommst wohl ganz eindeutig nicht von hier. Und doch lässt du dich darauf ein. Weil du selbst weißt, dass mehr dahintersteckt. Es ist die Kunst. Die freie Kunst, die man im Stillen für sich produziert und dann mit den Gleichdenkern, den Gleichgesinnten teilen kann. Es sind alles Kreative, die du hier siehst. Musiker, Modedesigner, Tänzer, Schriftsteller, Maler – und natürlich und ganz besonders; Schauspieler. Deswegen war Laetitia hier noch nie. Sie ist nur reich und schön. Aber entgegen der allgemeinen Vorstellung, reicht das nicht immer aus. Was mich zu der Frage bringt: Wie hast du dein Ticket ergattert?“

      „Ich male.“

      „Natürlich tust du das. Aber bist du auch gut?“

      „Die Frage sollte ich wohl kaum selbst beantworten.“

      „Na fein, dann zeig mir was.“

      „Warum will unbedingt jeder gleich was sehen?“

      „Siehst du, das ist es, was uns ausmacht. Es geht nur um die Kunst. Wenn dich hier jemand nach einer Kostprobe fragt, dann kannst du dir sicher sein, dass er die auch wirklich will. Die Kunst steht im Fokus; die sagt so viel mehr über dich, als jedes Gespräch.“

      Das wirkt für mich, als sei ich auf einen Haufen gelangweilter Reicher gestoßen, die sich verzweifelten Idealismus einreden, damit ihr Leben spannender wird, ein Gedanke, den ich natürlich nicht offen äußern kann. Immerhin ist Ferdinand ein lustiger Bursche.

      Wenn ich trinke, werde ich zum Kleptomanen und lasse jeden Mist mitgehen. Einen Löffel, schlecht riechendes Männerparfum, ja, sogar mal eine Zitrone. Als ich mehr schwankend als gehend, Ferdinand hinterher, den Club verlasse, trage ich eine Flasche Fusel unterm Arm. Mies versteckt und gefährlich nah am Herunterfallen, sodass jeder sich umdrehen würde, während ich noch auf die Scherben und die Pfütze auf der Straße blicken würde. Klar, gehört sich nicht. Weiß ich.

      Ferdinand freut sich trotzdem und fragt auch nicht weiter nach. Der Fusel ist Tequila, schmeckt fürchterlich und ich wünschte mir, auch diesmal eine Zitrone geklaut zu haben. Wir hängen uns irgendwo auf die Straße und trinken und lachen und reden. Meist über ihn und sein Theater. Über mich, mein neues Ich, gibt es ja noch nicht viel zu erzählen. Ferdinand sollte einmal in New York am Broadway auftreten, hat die ganze Nacht gefeiert und am nächsten Tag den Flieger verpasst. Bevor er sich entschuldigen konnte, war er dann schon raus aus dem Projekt und ersetzt. Ob die Geschichte stimmt, weiß ich nicht. Er redet und raucht. Macht er eigentlich immer. Auch noch, als sich hinter den Dächern langsam das pure Morgenrot durch den Dunst über Paris erhebt und langsam die ganze Stadt in ein goldenes Glitzern färbt. Den Sonnenaufgang sieht man viel zu selten. Früher habe ich an jedem einzelnen meiner Geburtstage, in aller Früh meine Mutter aus dem Bett geschmissen, weil ich den Tag nicht erwarten konnte. In jedem Jahr aufs Neue hat sie mich auf den kleinen Hügel hinter unserem Haus gebracht, und wir haben einfach nur dort oben gesessen und auf den sich erhebenden Sonnenball gewartet. Sie hat immer gesagt: „Wenn der erste Lichtstrahl durchbricht, darfst du dir etwas wünschen.“ Es ist der schönste Start in mein neues Jahr gewesen, den ich mir hätte wünschen können. Also habe ich ihn mir immer wieder aufs Neue gewünscht, für das nächste Jahr und das nächste, bis in alle naiv kindliche Unendlichkeit. Bis meine Mutter mich irgendwann nicht mehr hat begleiten können.

      „Weißt du, wo Laetitia ist?“, frage ich den Jungen.

      „Die ist schon vor Stunden weg.“

      Ich habe Hunger und kein Geld. Trotzdem steige ich in das nächste Taxi, zu benebelt, um mir um irgendetwas Sorgen zu machen. Es ist, als wären alle Sorgen weg. Als wäre ich nun wirklich Florence. Was soll mir da schon passieren?

      Als wir endlich ankommen, ist mir schlecht und ich versuche dem Taxifahrer zu erklären, dass ich kein Geld dabei habe, weshalb ich mir in der Stadt auch nichts zu essen kaufen konnte, obwohl ich echt Hunger hätte. Der Taxifahrer antwortet irgendwas, das ich nicht verstehe und reicht mir ein Snickers. Ich steige aus; er fährt weg, und ich stehe ein weiteres Mal draußen vor der mächtigen Tür, während alle anderen drinnen schon schlafen. Ich klingel, wahrscheinlich aus alkoholisierter Gleichgültigkeit vor den Konsequenzen.

      Wie ich reingekommen bin, weiß ich nicht mehr. Wie ich durch das Labyrinth in mein Zimmer gekommen bin, noch viel weniger. Das Einzige, das mir durch den Kopf geht, ist das grelle Klingeln des Weckers, die damit verbundenen Schmerzen und der Wunsch, dass sich das alles vielleicht doch noch um einen Traum handelt. Tut es nicht. Der Wecker klingelt weiter, und meine Kopfschmerzen werden nicht weniger, als ich ihn ausmache. Halb acht. So wie ich mich fühle, habe ich ungefähr zehn Minuten geschlafen. Ich liege komplett bekleidet im viel zu weichen Bett und denke darüber nach, ob ich duschen oder lieber noch liegen bleiben soll. Am Ende gewinnt der Anstand oder vielleicht auch die Angst vor einem abwertenden Kommentar der Madame Dupont und ich schleife mich unter die Dusche. Meine Haut ist trocken und gereizt. Mein Kopf dröhnt, und meine Zunge fühlt sich an wie Schleifpapier.

      Laetitia kommt gerade herein, als ich aus dem Bad trete. Ich habe nur ein Handtuch um und würde mich wahrscheinlich bloßgestellt fühlen, wenn ich nicht so sehr von meinem körperlichen Befinden abgelenkt wäre. Das Mädchen sieht zu meiner Überraschung


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