BOHÈME. Jonas Zauels

BOHÈME - Jonas Zauels


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waren Shoppen, also zieh das hier an. Ach und kein Wort zu der Party.“

      Ich bin zu müde, um ihr zu widersprechen und wüsste ohnehin nicht, was ich sagen soll, füge mich also und gehe mit ihr gemeinsam, fein gekleidet, in den Frühstückssaal. Der Herr des Hauses sitzt bereits am Tisch und begrüßt uns freundlich, aber ernst hinter der aufgeschlagenen Zeitung. Camille Dupont ist außer Haus. Zum Glück. Sie löst in mir ein ungutes Gefühl aus. Irgendwann kommt die Haushälterin herein, deren Namen ich mir noch immer nicht merken kann, und blickt mich böse an. Ich gucke gleich wieder auf meinen Teller, esse weiter, während Laetitia unruhig auf ihrem Stuhl herumrutscht und kaum ein halbes Stück Brot anrührt.

      Gabriel Dupont ist ein uriger Typ. Den Kopf in der Zeitung und das Croissant unberührt auf dem Teller, murmelt er Unverständliches in seinen dichten Bart, während er sich immerzu die Kaffeetasse an den Mund führt, sodass die Haushälterin Schwierigkeiten hat, mit dem Nachfüllen hinterherzukommen. Irgendwann wendet er sich wie aus dem Nichts an seine Tochter und fragt, ob wir einen schönen Abend hatten. Diese bejaht höflich; ich nicke zustimmend. Er steckt sich eine Pfeife an, blättert eine Seite weiter in seiner großen Tageszeitung und ist sogleich wieder in sie vertieft.

      Als er die Zeitung weggelegt hat und auch mit dem Croissant fertig ist, schlägt die alte Standuhr neun, und eine große Holztüre öffnet sich prompt, durch welche Camille Dupont mit großen, bestimmten Schritten eintritt und mit reichlich ernster Stimme einen guten Morgen wünscht.

      „Wir müssen mit euch reden“, spricht Gabriel Dupont mit langen, schwerwiegenden Worten, während seine Frau neben ihm Platz nimmt.

      Ich blicke Laetitia an. Sie blickt mit großer Anstrengung an mir vorbei und wird unruhig. Das wars, denke ich mir und packe in Gedanken meine sieben Sachen wieder zusammen. Nach einem Tag schon wieder hinauszufliegen, stört mich weniger, nur hätte ich zuvor lieber ausgeschlafen.

      „Also es gibt natürlich einen Grund, warum du, Florence hier zu Gast bist“, beginnt Gabriel mit seiner tiefen, weichen Stimme und verunsichert mich damit nur noch mehr.

      „Florence, deine Eltern wären auch gerne dabei gewesen, aber du weißt ja am besten, warum sie gerade nicht können“, ergänzt die Mutter. Ich nicke langsam, weil mir nichts Besseres einfällt und blicke fragend von einem Gesicht zum anderen.

      „Kinder“, setzt der Hausherr wieder an, zögert und sieht uns beiden abwechselnd ernst und freundlich in die Augen, „Kinder, ihr beide wart im Waisenhaus und wurdet schon in frühen Jahren adoptiert. Darüber haben wir ja ausgiebig gesprochen, Laetitia, und Florence, auch Monsieur und Madame Fontaine haben mit dir darüber viele lange Gespräche geführt, wie sie berichten.“

      Ich blicke Laetitia fragend an und zucke fast zusammen, als ich ihre tränengefüllten Augen sehe. Ich weiß nicht, ob es am Kater liegt, an meiner falschen Vergangenheit – und der Tatsache, dass ich ganz bestimmt nicht adoptiert wurde – oder einfach nur an meiner fehlenden Auffassungsgabe. Jedenfalls verstehe ich nicht, wohin das Gespräch führen soll.

      „Laetitia, Florence, vielleicht ist es euch selbst schon ein bisschen aufgefallen, die Ähnlichkeit. Nun ja, ihr seid Schwestern. Mädchen –“, der Mann macht eine enorm lange Pause, zumindest kommt mir das so vor, bis er endlich hinzufügt: „Ihr seid Zwillinge.“

      Ich muss unverhofft lachen, aus Verzweiflung, aus Absurdität, aus Panik und natürlich wegen meines Katers. Durch die Übermüdung kommt man in die post-alkoholisierte Phase der Albernheit, in der alles lustig ist, in der man absolut dämlich und kindisch und albern ist, schlechte Witze macht, über alles lacht und nichts so richtig aufnehmen kann. In der Phase stecke ich gerade, außerdem, um die Absurdität auf die Spitze zu treiben, in einer falschen Identität fest und stehle jemandem das erste, einmalige und niemals nachzuholende Aufeinandertreffen zweier, von Geburt an getrennter Schwestern. Zwillingsschwestern. Dabei finde ich Zwillinge absolut schräg. Die meisten zumindest. Bei näherer Betrachtung sind das zwei Menschen, bei denen jeweils eine Hälfte fehlt. Das Zwillingsprinzip von zwei sich ergänzenden Menschen, wirkt also andersherum. Ich lache. Laetitia blickt stumm lächelnd zu mir herüber, mit einem Ausdruck fröhlicher Verwunderung, während die Eltern, vielmehr Adoptiveltern, ernst dreinblicken.

      Nach dem Frühstück lege ich mich hin und schlafe fünf Stunden durch. Als ich aufwache, steht Laetitia vor meinem Bett und blickt auf mich hinunter. Ich erschrecke. Ihre dunklen, frechen Augen blinzeln fröhlich verliebt auf.

      „Guten Morgen, Schwester.“

      DREI

      Frankreich. Nein, Paris. Das schöne Paris. Die Stadt der Liebe, der Einzigartigkeit, die Stadt der Künste! Arthur kann es gar nicht erwarten, aus dem Flieger zu steigen und endlich wieder in seine geliebte Stadt zu stürmen. Die herrlich, dick warme Luft, die Menschenmassen, die Autos, der Verkehr und das stetige Hupen und Rauchen. Zwei Jahre Grönland, Kälte und fremde Kultur liegen hinter ihm. Zwei Jahre ohne viel Kontakt zu seiner Heimat. Die langen zotteligen Haare gehen nahtlos in den dichten, langen Bart über und umhüllen das braune, sonnengegerbte Gesicht. Die Klamotten sind verwaschen, viel zu warm und passen ganz offensichtlich nicht zu dem schicken Pariser Sommer-Stil. Das einzige Gepäckstück ist ein großer Rucksack, an dem jede Menge Gegenstände herunterhängen. Wie der streunende Hund eines Penners wird er angeguckt, vielmehr auffällig angestrengt ignoriert. Bloß nicht hinsehen, bloß nicht in die Augen.

      Die Pariser sind unhöflich, grüßen nicht, helfen nicht, machen sich keine Gedanken um ihren Nächsten. Es herrscht Anonymität. Endlich wieder ein Ort, an dem man alleine sein kann, an dem man seine Ruhe hat.

      „Zur Rue Bonaparte, sechstes Arrondissement bitte.“

      „Raus! Hier gibt es keine Freifahrten!“, feuert der Taxifahrer gleich mit hartem Akzent los und macht Anstalten, Arthur mit ungeschickten Bewegungen zum Gehen zu bringen. Dieser hält ihm schnell einen Schein entgegen, lächelt freundlich und genießt die bunten Lichter von Paris in der aufgehenden Nacht, während sich das Taxi quälend langsam durch den zähen, grauen Verkehr drängelt. Der schlechtgelaunte Fahrer schwatzt irgendetwas Unverständliches in sein Funkgerät. Irgendetwas Unverständlicheres kommt zurück und Arthur fühlt sich so zu Hause wie lange nicht mehr. Wie sehr hat er doch diese wunderbar kaputte Stadt vermisst!

      „Hier ist es, hier können Sie mich rauslassen“, wendet er sich nach fast einer Stunde Fahrt an den Mann am Lenkrad, welcher noch gut zweihundert Meter weiterbraust, um dann plötzlich voll in die Eisen zu gehen.

      „Herzlichen Dank, schönen Abend noch!“, wünscht der Junge halb ironisch, doch der Taxifahrer hört nicht hin und rast, sobald die Tür wieder zu ist, schon weiter. Arthur blickt sich um, schlendert entspannt an den schönen Häuserfassaden mit den eingefahrenen Markisen entlang, hin zu der Wohnung, die er vor fast genau zwei Jahren so erwartungsvoll verlassen hat.

      Es ist dunkel im dritten Stock. Dunkel und warm. Die Luft ist stickig und ein Hauch von fremdem Parfum liegt in ihr. Arthur stellt seinen Rucksack ab und öffnet ein Fenster. Sofort dringt die Musik von der Straße herein. Motoren. Stimmen. Irgendwo bellt ein Hund. Dazu die warme Abendluft. Arthur bleibt im Dunklen am Fenster stehen und blickt fasziniert auf das Lichtermeer, das sich vor ihm in regelmäßigen Wellen ausbreitet, nie zur Ruhe kommt.

      „Hände hoch und keine Faxen!“ Arthur erschrickt.

      Unbemerkt ist jemand hinter ihn getreten und hält ihm einen harten Gegenstand an den Rücken. „Ich werde nicht zögern abzudrücken!“, ruft der Unbekannte laut und selbstsicher, während Arthur die Stimme trotz der Überraschung endlich zuordnen kann.

      „Ferdinand, ich kann mir schlecht vorstellen, dass sich was an deinem Pazifismus geändert hat“, lacht Arthur gelassen und dreht sich um. Vor ihm steht der junge Mann sprachlos erstarrt mit erhobener Karotte in der Hand.

      „Nicht möglich! Arthur! Bruderherz, wie siehst du denn aus?“

      „Und du erst. Sieh dich an, kein Stück verändert, wie ist das nur möglich.“

      Das Licht geht an, als die beiden sich drücken, und eine junge, schöne


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