Landsby. Christine Millman

Landsby - Christine Millman


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      »Hallo Jule«, höre ich ihn sagen, bevor er in sein Schlafzimmer stapft, um sich umzuziehen. Viel mehr wird er nicht reden. Wir sprechen nur das Nötigste. Das war schon immer so, selbst als meine Mutter und mein Bruder noch lebten. Meist lief die Unterhaltung über meine Mutter. Sie war es, die die Familie zusammenhielt.

      Ich nehme den Topf vom Herd und stelle ihn auf den gestreiften Häkeltopflappen, den mein Vater von einer Mission in die Außenwelt mitgebracht hat. Seltsamerweise mag ich ihn, obwohl er bunt ist - ganz im Gegensatz zu meiner Kleidung, die über die Jahre verwaschene Blau- und Grautöne angenommen hat. In der Kleiderkammer könnte ich mir Neue holen, doch ich mag nicht aussehen wie ein Pfau und bin zudem ein Gewohnheitstier und hänge an meinen Sachen. Nur dieser kreischbunte Häkeltopflappen, der hat es mir angetan.

      Mein Vater kommt zum Tisch und setzt sich. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn und durch sein millimeterkurz geschorenes Haar kann ich die Kopfhaut sehen.

      »Soll ich das Fenster öffnen?«, frage ich, während ich seinen Teller mit Linsensuppe fülle.

      Er sieht kurz auf und nickt, meidet jedoch meinen Blick. Das miese Gefühl in meiner Magengrube verstärkt sich. »Ist was?« Die Frage soll beiläufig klingen, doch mein Inneres bebt vor Anspannung. Mein Vater wäre nicht mein Vater, wenn er keine Zukunftspläne für mich hätte und genau das macht mir Sorgen. Ganz bestimmt stellt er sich meine Zukunft anders vor als ich.

      Vorausgesetzt ich bin gesund.

      Er zuckt mit den Schultern. »Wir reden nach dem Essen, in Ordnung?«

      Das ist der Beweis. Er führt etwas im Schilde und hat endlich vor damit herauszurücken. Mein Appetit hält sich entsprechend in Grenzen, deshalb würge ich den Eintopf nur widerwillig runter, aber ich esse auf, denn Nahrungsmittel sind knapp. Es wäre eine Schande, Essen zu verschwenden. Ich kratze sogar den Teller aus, auch wenn jeder Bissen nach Pappe schmeckt und mir im Hals steckenzubleiben scheint.

      Nach dem Essen räume ich das schmutzige Geschirr in die Spüle, hantiere dann hektisch am Wasserhahn herum, aus dem es eher tropft als fließt. Naja. Ich sollte mich nicht beschweren. Für die meisten Koloniebewohner ist fließendes Wasser purer Luxus.

      »Ich muss dir etwas mitteilen«, sagt mein Vater hinter meinem Rücken.

      »Was denn?« Ich werfe einen flüchtigen Blick über die Schulter und versuche, locker zu klingen, dabei rast mein Puls, als wäre ich die Treppen hinaufgerannt.

      Er deutet auf meinen Stuhl. »Setz dich. Den Spülkram machst du später.«

      Beklommen nehme ich Platz. «Was ist los? Musst du auf eine Mission in die Außenwelt?« Das ist nicht abwegig und wäre definitiv das kleinere Übel. Die Mutanten versuchen immer wieder, den Vorratsspeicher zu plündern. Vielleicht hat die Neue Armee endlich Informationen über ihren Unterschlupf bekommen und will ihnen ein für alle Mal den Garaus machen.

      »In zwei Wochen wirst du volljährig«, beginnt er.

      Mist. Keine Mission. Es geht um mich. Sichtlich nervös fährt er sich über den Bürstenhaarschnitt. Die Falten in seinem Gesicht erscheinen mir schärfer, als hätten sie sich von einem Augenblick zum anderen tiefer in seine Haut gegraben. Die Lippen wirken noch schmaler als sonst.

      Ich sage nichts. Warum auch? Dass ich achtzehn werde, weiß ich selbst und auch, dass ich dann auf den Virus und meine Zeugungsfähigkeit getestet werde. Seit Wochen denke ich an kaum etwas anderes.

      »Als Kommandant der Neuen Armee trage ich große Verantwortung«, fährt mein Vater fort. Dabei sieht er mich an, als warte er auf meine Zustimmung. Natürlich gebe ich ihm recht, auch wenn ich die Sache nicht annähernd so ernst nehme wie er.

      »Manchmal muss ich unangenehme Entscheidungen treffen und das Wohl der Gemeinschaft über meine persönlichen Interessen und Wünsche stellen.«

      Was soll das Geschwafel? Worauf will er hinaus? »Schon klar. Aber inwiefern betrifft das mich?«

      Sein Blick gefriert und richtet sich nun direkt auf mein Gesicht. Ich erschauere. So betrachtet er seine Soldaten, wenn er sich ihres absoluten Gehorsams versichern will. Der Knoten in meinem Bauch verdichtet sich zu einem harten Klumpen.

      »Nachdem deine Mutter starb, habe ich dich heimlich testen lassen«, sagt er.

      Ich merke, wie ich erbleiche. »Wie denn?«

      »Erinnerst du dich daran, als sie dir Blut abgenommen haben, um herauszufinden, ob du dich bei ihr angesteckt hast?«

      »Ja und?«

      »Nach dem negativen Befund habe ich meine Beziehungen spielen lassen und ein komplettes Blutbild angeordnet.« Ein kleines Lächeln kräuselt seine Lippen. »Du bist nicht nur kerngesund, sondern gehörst scheinbar auch zu den Wenigen, die in der Lage sind, Kinder zu gebären.«

      Selbstzufrieden sieht er mich an. Eine dunkle Ahnung steigt in mir empor, in welche Richtung sich das Gespräch entwickeln könnte. Plötzlich ist mein Mund staubtrocken und meine Hände fühlen sich an wie Eisklumpen.

      »Natürlich müssen weitere Untersuchungen folgen, um sicherzugehen«, fährt er fort, »aber wenn sich die Hoffnung bestätigt, sehe ich es als deine und meine Pflicht an, dass du dich nach Beendigung deiner Schulausbildung dem Reproduktionsprogramm anschließt.«

      Entsetzt starre ich ihn an. Wie lange hatte ich mich davor gefürchtet und gehofft, dass die Pläne meines Vaters nur halb so schlimm sein würden. Dass er mir eine langweilige Stelle in der Verwaltung besorgt hätte oder im Labor. Stattdessen stellt sein Plan alles in den Schatten, was ich mir ausgemalt habe.

      Es fällt ihm schwer, das kann ich sehen, doch er behält seinen strengen Blick. Darin hat er Übung. »Das ist eine große Ehre, Jule. Du und ich, wir müssen ein Vorbild sein, um andere dazu zu animieren, es uns gleichzutun.«

      Natürlich fährt er dieses Argument auf. Wer am Reproduktionsprogramm teilnimmt, wird geachtet und geehrt, die Familie bekommt Essensmarken und eine Wohnung in den Blocks, wo es fließendes Wasser gibt und Elektrizität. Dennoch tut es niemand gerne. Ich meine - wer hat schon Lust, sein Leben hinter den Mauern des medizinischen Zentrums zu verbringen und sich zehn Jahre lang Embryonen in die Gebärmutter pflanzen zu lassen? Ehre oder nicht - wie kann ein Vater das für seine Tochter wollen?

      »Vergiss es«, wehre ich ab. »Ich mache das nicht.«

      Er schiebt seinen Arm über den Tisch und nimmt meine Hand. Eine beschwichtigende, liebevolle Geste, doch sie wirkt aufgesetzt, wie eine einstudierte Choreografie. Als Nächstes kommt der verständnisvolle Blick, das Seufzen.

      »Du bist in der Lage, Großes für die Kolonie zu leisten, Jule. Diese Möglichkeit darfst und wirst du nicht verschwenden.«

      Er klingt freundlich aber bestimmt. Ich zucke zurück, ertrage es nicht, von ihm berührt zu werden. »Warum nicht? Niemand kann mich zwingen. Außerdem haben wir das nicht nötig. Wir haben alles, was wir brauchen.«

      »Das ist richtig«, gibt er zu, »doch die Zahl der Unfruchtbaren steigt. Wir brauchen Frauen wie dich. Das weißt du.« Ein Anflug von Sorge huscht über sein Gesicht. »Da ich Mitbegründer des Reproduktionsprogramms bin, erwartet man Ergebnisse von mir. Wie könnte ich meinen Einsatz besser demonstrieren als durch deine Anmeldung?«

      Aha. Daher also weht der Wind. Er steht unter Erfolgsdruck. Trotzig verschränke ich die Arme vor der Brust. »Ich will keine Freiwillige sein.«

      »Es ist keine Frage des Wollens, sondern der Notwendigkeit. Die natürliche Geburtenrate liegt bei einem Prozent. Ohne Nachwuchs stirbt die Menschheit aus.«

      Die Information ist mir nicht neu. Nicht nur mein Vater jammert über fehlenden Nachwuchs, auch in der Schule ist das Thema ausgiebig behandelt worden. Der mutierte Masernvirus, die Hitze und die verseuchten Landstriche haben die Menschheit an den Rand des Aussterbens gebracht. Aber warum sollte es meine Aufgabe sein, die Erde zu bevölkern?

      »Das ist mir egal«, beharre ich. »Ich will nicht in euer blödes Zuchtprogramm.«

      »Nenn


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