Landsby. Christine Millman

Landsby - Christine Millman


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sorgen, dass du gesund bleibst und die zehn Jahre unbeschadet überstehst. Bei deiner Rückkehr wärest du eine Heldin.«

      Seine Tochter die Heldin. Das hätte er gerne. Ich denke an die Frauen, die am Zuchtprogramm teilgenommen haben. Sie sind verhärmt und wirken alt und verbraucht, wie ein Gaul, den man auf den Feldern geschunden hat. Helden stelle ich mir anders vor. Wahrscheinlich hat mein Vater das bereits geplant, als er meine Blutergebnisse bekommen hat und es nicht mal für nötig befunden, mich darüber zu informieren. Warum auch? Ich bin ja nur seine Tochter, wertlos, wie meine Mutter und dazu nicht halb so gutaussehend. Meine verlorene Zukunft zieht an mir vorbei wie ein Wunschtraum, der nie in Erfüllung gehen wird. Eigentlich sollte ich einen netten Ehemann finden mit einem guten Job. Eine Wohnung, groß genug, damit meine Freundin Manja bei mir einziehen kann. Sie wohnt nämlich in der Wellblechsiedlung und dort ist es verdammt ungemütlich.

      Ich fixiere meinen Vater. »Sei ehrlich, Papa, habe ich überhaupt eine Wahl?«

      Er zögert, verlagert unbehaglich sein Gewicht. Das Knarzen des Stuhls dröhnt in meinen Ohren. Ich sitze und warte. Schweigend. Meine Finger verkrampfen sich ineinander.

      »Nein«, gibt er schließlich zu. »Die Sache ist beschlossen.«

      In meinem Kopf ist alles leer. Ich schiebe den Stuhl zurück und stehe auf. Mein Körper fühlt sich steif an, unbeweglich, als hätte ich mich seit Ewigkeiten nicht gerührt. Die Tür zieht mich magisch an.

      Raus. Ich muss hier raus.

      »Wo gehst du hin?«, höre ich meinen Vater fragen.

      Ich drücke die Klinke nach unten, sehe nicht zurück. »Weg.«

      2

      Ich laufe ohne Ziel, habe keine Ahnung, wohin mich meine Füße tragen. Erst als ich die Brücke am Fluss überquere und in der Ferne die Wellblechhütten auftauchen, wird mir klar, dass ich mich auf den nördlichen Sektor zubewege. Das Grün wird spärlicher, verschwindet zwischen Staub, Steinen und trockener Erde. Die Hütten liegen ungeschützt auf einer flachen Ebene. Nicht mal Wüstengras wächst hier. Der Anblick der mit Wellblech gedeckten, windschiefen Behausungen, die wie ausgemusterte Soldaten in einer langen Reihe stehen, entspricht meiner Stimmung: trostlos. Es ist mir ein Rätsel wie Menschen so leben können. Immer noch besser, als in die Außenwelt verbannt zu werden, sagt mein Freund Paul stets, obwohl er in letzter Zeit nicht mehr so überzeugend klingt wie noch vor ein paar Jahren.

      Zielstrebig bahne ich mir einen Weg durch das Hüttengewirr. Menschen sitzen unter auf Pfähle gespannte Plastikplanen, die Schatten spenden sollen, aber unter denen es sicher unvorstellbar heiß ist. Viele hier haben keinen Job und sind auf Mildtätigkeit angewiesen. Manche schicken ihre Kinder zur Neuen Armee oder ins Seuchenzentrum außerhalb der Kolonie, wo sie irgendeiner geheimnisvollen Arbeit nachgehen. Kranke zu pflegen kann es nicht sein - seit Jahren gibt es keine Infizierten mehr. Niemand weiß, was sie dort tun und die Angestellten sprechen nicht darüber, dafür sorgt die großzügige Entlohnung. Auch wer eine reproduktionsfähige Tochter oder einen zeugungsfähigen Sohn hat, und sie dem Programm überlässt, schafft es hier raus. Fruchtbare Frauen werden umschmeichelt und hofiert, damit sie freiwillig teilnehmen und viele tun es tatsächlich gerne. Völlig unverständlich für mich. Scheinbar ist mein Gemeinschaftssinn nicht allzu ausgeprägt oder ich bin nicht arm genug.

      Die Hütte, in der meine Freundin Manja wohnt, ist genauso armselig und farblos wie alle anderen und Manja sieht aus wie ein Junge. Drahtig und flachbrüstig, mit kurzen, aschblonden Haaren und kantigem Gesicht. Paul, unser Freund aus dem Westsektor, ist bei ihr. Sie stehen vor der Hütte und schrauben an einem rostigen Mofa herum. Die Füße stecken in dünnen Zehensandalen und sind staubig und geschunden. Ich kann nicht erklären, warum, aber in dem Augenblick beschließe ich, ihnen nichts von den Plänen meines Vaters zu erzählen. Von jeher steht Manja dem System kritisch gegenüber, sie würde mich dazu drängen, die Teilnahme zu verweigern.

      »Hey Sommersprosse«, begrüßt Manja mich. »Mit dir habe ich gar nicht mehr gerechnet.«

      Ich zucke mit den Schultern. »Ich wollte raus.«

      Manja verdreht die Augen und deutet auf die Wellblechhütten. »Wem sagst du das.«

      Wie üblich spüre ich einen Anflug von schlechtem Gewissen angesichts Manjas Lebenssituation, doch im Gegensatz zu sonst unterdrücke ich es nicht. Dass es anderen wesentlich schlechter geht als mir, lässt meine eigenen Sorgen schrumpfen. Wenigstens muss meine Freundin nicht ins Zuchtprogramm. Fünf Wochen zuvor ist sie achtzehn geworden und hat die Tests bereits hinter sich. Sie wird nicht müde, darüber zu reden, wie demütigend sie es fand, durchgecheckt zu werden wie ein Stück Vieh. Paul ist neunzehn und wurde vor einem Jahr für bedingt zeugungsfähig befunden, was bedeutet, dass ihn die Regierung im Auge behält und erwartet, dass er versucht, Nachwuchs zu zeugen. Dafür hat er eine Liste mit p,assenden Partnerinnen bekommen, damit er sein Potenzial nicht an eine Unfruchtbare verschwendet. Er gibt sich Mühe, das muss ich ihm lassen, bisher jedoch ohne Erfolg.

      »Das Kind, das letzte Woche geboren worden ist, ist gestorben«, sagt Paul zu mir. »Zuerst wirkte es gesund, doch seine Organe funktionierten nicht richtig. Keine Ahnung warum. Hast du das gewusst?«

      Komisch. Warum schneidet er das Thema gerade jetzt an? Als wüsste er von der Unterredung mit meinem Vater oder könnte Gedanken lesen. Ich schüttle den Kopf. »Mein Vater informiert mich nicht über Misserfolge.«

      Schnaubend wischt Manja sich mit einer ölverschmierten Hand über die Wange und hinterlässt einen schwarzbraunen Streifen. »Typisch für ihn. Man kann die Natur nicht austricksen. Wenn wir aussterben sollen, dann werden wir das. Da können die gar nichts gegen machen.«

      »Was habt ihr mit dem Mofa vor?«, frage ich, obwohl ich es natürlich sehe. Ich will einfach nur das Thema wechseln, bevor ich noch mit meinem Elend herausplatze.

      »Zum Laufen bringen«, antwortet Paul. Er beugt sich vor und greift nach dem Schraubenschlüssel. Blonde Haarsträhnen fallen in seine Stirn.

      »Bald haben wir‘s. Es startet schon«, fügt Manja hinzu und betätigt die Zündung. Das Ding knattert und hustet dunklen Rauch aus, dann springt es tatsächlich an.

      »Ich bin beeindruckt«, lobe ich, werfe einen Blick in die Runde und beuge mich näher. »Habt ihr Pilze?«

      Manja legt den Finger an die Lippen. Paul sieht sich hektisch um. Niemand ist in der Nähe, die meisten sitzen beim Abendessen. Ein paar Soldaten der Neuen Armee patrouillieren am Rand der Wellblechsiedlung, doch sie sind zu weit entfernt, um uns zu hören.

      »Manja hat das Zeug beim Wasserturm versteckt«, flüstert er. »Wenn wir hier fertig sind, können wir einen Abstecher machen.«

      Ich halte den Daumen hoch, um meine Zustimmung zu signalisieren. Der Tag ist so beschissen, dass ich einen kleinen Trip gut gebrauchen kann.

      Mit einem Stottern und Husten säuft der Motor des Mofas ab. Manja stößt einen unwilligen Laut aus und wischt ihre Hände an einem Lappen ab, der nicht so aussieht, als würde er noch irgendwas reinigen, ölverschmiert, wie er ist.

      »Vielleicht solltest du dir lieber die Hände waschen«, schlage ich vor.

      Manja zuckt mit den Schultern. Wasser und Seife gehören definitiv nicht zu den Dingen, denen sie besondere Bedeutung beimisst.

      Seit dem großen Sterben wird der Wasserturm nicht mehr genutzt. Paul behauptet, er sei mindestens zweihundertfünfzig Jahre alt. Wenn das stimmt, hat das Ding sich gut gehalten. Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue nach oben. Kaum vorstellbar, dass der riesige, stählerne Behälter an der Spitze des Turmes irgendwann tatsächlich gefüllt war. Dass es eine Zeit gab, in der Wasser in Hülle und Fülle vorhanden war.

      Hintereinander klettern wir die schmale Leiter hinauf. Rost bröselt auf meinen Kopf, den Manja über mir mit ihren Füßen löst. Ich drehe das Gesicht weg, vermeide aber zugleich, nach unten zu sehen. Die Höhe ist mir nicht geheuer.


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