Copacabana. Dawid Danilo Bartelt

Copacabana - Dawid Danilo Bartelt


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und die Beschwerden der tropischen Natur, um begreifen zu können, wie wohlthätig ein Bad unter diesem Himmelsstriche wirkt. Wie wäre es sonst auch möglich gewesen, daß dieser Theil der Erde von Menschen bewohnt wurde, die nackend gingen, wie die Natur sie schuf, hier, wo Alles zur Plage der Menschen lebt … Aber das Meer, die Flüsse, jeder Bach schützen gegen diese rastlosen Verfolgungen und so sehen wir die Urvölker, welche unter den Wendezirkeln wohnen, mehr im Wasser lebend als auf der Erde, und Kleider gänzlich verschmähend, weil sie wohl wissen, daß diese keine Sicherheit gewähren.«

       Strandgäste in Copacabana (1918)

      Medizinische Erfordernis und freiwillig-lustvolles Erleben begegnen sich in der Folgezeit jeden Morgen am Strand, und der Zwang hebt sich im Vergnügen auf. 1838 werben Schulen für höhere Töchter in Glória und Botafogo mit der »frischen und reinen Luft« und dem therapeutischen Meeresbad für die Mädchen. »Herrliche Bademöglichkeiten bot Botafogo«, erinnert sich der britische Diplomat William Gore Ouseley an seinen Rio-Aufenthalt in den 1830er Jahren:

      »Auch bei schlechtestem Wetter keine zu hohen Wellen, der Strand sanft abfallend, das Wasser seicht. Bestens geeignet vor allem für die Damen. Daher reihte sich im Sommer Badezelt an Badezelt, für die Familien, die sich in diesen sicheren und vor allem fischreichen und für die Kleinschiffahrt geeigneten Wassern tummelten, da sie vor Strömungen geschützt waren.«

      König João und seine Familie haben später, ohne Käfig, in den ruhigeren Wassern von Botafogo gebadet. Sein Sohn Pedro zog Flamengo vor und nahm die Gastfreundschaft des englischen Botschafters in Anspruch, um sich in dessen Villa umzuziehen. Kidder und sein Mitreisender James Cooley Fletcher beschreiben zwei Jahrzehnte später den nahegelegenen Strand von Flamengo als »beliebteste Badeanstalt« Rios. Sie legen ihren Fokus auf die Organisation des Bades, die im europäischen Seebad im Vordergrund steht. Den Badestrand als Sehnsuchtsort hätten sie fast übersehen, wenn nicht Kinder und Sklaven sie mit Geschrei darauf gestoßen hätten. Das nach ärztlicher Vorschrift durchgeplante Bad kennt weiterhin Regeln, aber kaum noch Scheu. »Bevor die Sonne über die Bergrücken lugt, strömen Männer, Frauen und Kinder zum Strand, um ein Bad im klaren Salzwasser zu genießen.« Sklaven schlagen Zelte in den Sand, in denen die Damen ihre Badekleidung aus schwarzem Tuch anlegen. »Die Damen sind gut bekleidet«, urteilen die Pfarrer, »jedoch ohne die Koketterie, die wir aus französischen Bädern kennen, wo die Damen sich der passenden Garderobe ebenso hingebungsvoll widmen wie der für den Ballsaal. Für die Herren gelten polizeiliche Bekleidungsvorschriften, doch einige hindert dies nicht, sich im Badeanzug in die Wellen zu werfen.« Kinder rennen durch die Brandung und kreischen vor Vergnügen, wenn eine Welle sie auf den Sand wirft. Zuweilen ruft ein Spaßvogel »Da! Ein Hai!« und lacht über die Frauen, die auf den Strand zurückhasten.

      »Um sieben Uhr steht die Sonne schon hoch am Himmel, und das ganze weiße Getümmel ist fort. Doch hier und da sieht man einen lockigen Kopf zwischen den Wellen auftauchen, dessen wollige Bedeckung der Angst vor einem Sonnenstich trotzt. Die Negerinnen, die ihre Herrinnen begleiten, baden zur selben Zeit wie diese. In mondhellen Nächten ist die See schwarzgefleckt: Das sind die Köpfe der Sklaven aus der Nachbarschaft. Sie plantschen und kreischen und vergnügen sich nach Herzenslust. Sie alle können bemerkenswert gut schwimmen, und es erfreut, ihre juchzenden Stimmen zu vernehmen, so fröhlich, als kennten sie weder Sorge noch Leid.«

      Kidders und Fletchers Beschreibung ist die vielleicht erste, die in Richtung der heutigen offiziellen brasilianischen Selbstwahrnehmung geht: der Strand als Ort der offenbar verwirklichten sozialen wie rassischen Demokratie. Der Strand ist sogar den Sklaven zugänglich, wenn auch vor allem nachts und vielleicht nicht völlig legal. Doch die schwarzen Dienerinnen dürfen offenbar morgens kurz ins Wasser, zeitgleich mit ihren Herrinnen. Die räumliche Segregation des Strandes ist strikt: Es gibt Abschnitte für die Dienerschaft, so wie es einen für die Lasttiere gibt. Unklar bleibt, ob der Gesellschaftsabschnitt nach Geschlechtern getrennt war, doch ist dies wahrscheinlich. »Gut gekleidet« waren die Damen, wenn das Badekostüm aus dunkelblauem Serge oder Wollflanell mit weißem Band (oder, gewagter, einem roten Saum) die Beine mindestens bis über das Knie, die Schultern und den Hals bedeckte und sie so vor Sonne, Wind und Skandalen schützte. Schuhe aus Segeltuch waren im Wasser üblich wie Hauben oder Hüte.

      Und noch eines können wir schließen: Für einige, ja für viele war das Bad im Meer vermutlich schon lange ein Vergnügen. Zwar begegneten auch im brasilianischen Volk viele dem Meer mit Zurückhaltung oder Abscheu. Volkskundler wie Luís da Câmara Cascudo haben zusammengetragen, dass Fischer im Meer eine Persönlichkeit sahen, und zwar eine wankelmütige, außerdem sei das Meer »nicht getauft und daher heidnisch«. Andere wiederum betrachteten das Meer als Heiligtum, das nicht durch badende Frauen verunreinigt werden dürfe. Vor solchem Strand fange man keine Fische mehr. Im Umgangsbrasilianisch ist der Strand negativ konnotiert; »am Strand gestorben« ist ein wenig aussichtsreiches Geschäftsvorhaben, und wer sich verziehen soll, geht »am Strand singen«.

      Dennoch dürfen wir vermuten, dass Sklaven und Arme zwar allen möglichen Zwängen unterworfen waren, aber nicht jenen gesellschaftlichen, die das Meeresbad lange zur reglementierten Veranstaltung unter ärztlichem Blick verengten. Einige können schwimmen, weil sie es schon als Kinder gelernt haben, und sie erfreuen sich an der Besonderheit des Meeres, der Bewegung der Wellen und den Kräften der Brandung. Für sie war der Strand schon geboren, als sein Embryo im Abendland noch im Schlick der mythischen Angst schlummerte. Für Küstenbewohner warmer Breiten dürften Meer und Strand immer schon alles gleichzeitig gewesen sein: Arbeitsplatz, an dem tödliche Unfälle nicht selten waren, und Quelle der Freude. Immerhin sind Strände, auch die schönen, in Brasilien immer (mehr oder weniger) öffentlich zugänglich gewesen. Vielleicht waren sie nicht im Wasser, aber ein paar Stunden am Strand konnten für die Armen schon des 18. und 19. Jahrhunderts zu den wenigen erreichbaren, da kostenlosen Vergnügungen gehören – wenn sie denn den Strand als Ort des Vergnügens erkannten.

      Dass sich für bürgerliche Brasilianer der Kontakt mit den Wellen zur Lust ausbildete, erschwerten – aber verhinderten keineswegs – der Überfluss beziehungsweise der Mangel zweier anderer Natureinflüsse: Sonne und Süßwasser. Die Frauen pflegten die Blässe, sich zu schminken widersprach dem damaligen Ehrbegriff einer Dame. Da die Sonne der Blässe entgegenwirkte, begegneten sie den Wellen im Ganzkörperschutz. Und ein Meeresbad verlangt eigentlich nach einer Dusche, da sonst das angetrocknete Salz auf der Haut, zumal mit frischem Schweiß vermischt, zu Juck- und anderen Hautreizungen führt. In der Stadt Rio de Janeiro fehlte es aber im Verlauf seiner Geschichte fast immer an Süßwasser. Seine Flüsse waren schnell verseucht und verödet, der Transport von Wasser aus den Bergen mühsam und prekär. Noch bis ins 20. Jahrhundert gehörten zum Straßenbild fahrbare Wassertanks, die ihr Gut nach Litern verkauften.

      Rio kennt also um die Jahrhundertmitte bereits mehrere eingerichtete Badeorte. Eine Amtsmitteilung von 1850 empfahl der Bevölkerung dringend wiederholte Meeresbäder zum Schutz vor Epidemien. Einige Jahre lang ankerte im Hafenbecken nahe des von Ausländern bevorzugten Hotel Pharoux eine schwimmende Badeanstalt; in zwei Reihen standen darauf je 16 Individualkabinen, getrennt nach Damen und Herren. »Alle Kabinen haben eine eigene Tür, die rechteckigen Badewannen sind zwei Meter auf 1,20 Meter groß und sehr sauber«, schrieb der Diplomat José Maria da Silva Paranhos 1851 an einen Freund im Ausland.

      »Jede Kabine bietet alles, was man zum An- und Entkleiden sowie zum Verschnaufen braucht: Strohstuhl, Fußmatte und Bügel. Das Wasser läuft beständig durch die Gitter an den Längsseiten; Licht und Luft kommen ausreichend hinein durch das Fenster, das auf das Meer hinaus geht. Jede Kabinenreihe verfügt über eine Toilette, die der Damen zusätzlich über ein Kosmetikkabinett.«

      Man konnte natürlich auch einfach Badekleidung anlegen und von der Plattform ins Meer springen, auf der sich »Bankreihen befinden, die 300 Personen bequem Platz bieten, auf daß sie die gute Luft atmen, den Blick auf den Hafen genießen und die angenehmen Klänge eines Klaviers vernehmen können«. Solche Einrichtungen wie die Individualkabinen dienten allerdings weniger dazu, die Bequemlichkeit, als vielmehr die guten Sitten zu befördern. »Das Badeschiff steht Personen aller sozialen Schichten offen, solange sie die Regeln von


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