Copacabana. Dawid Danilo Bartelt

Copacabana - Dawid Danilo Bartelt


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er sich an einem sanft geschwungenen weißen Sandstrand befindet, der ihn auch anders entzücken könnte.

      Auch das Buch des Deutschen Carl Schlichthorst über Rio de Janeiro, wie es ist legt vor allem Zeugnis ab über Schlichthorst und wie es ihm geht: schlecht natürlich, ist er doch ein arbeitsloser Soldat, der in Brasilien auf Reichtum und eine steile Karriere in der Kaiserlichen Armee hoffte und sich nun stattdessen, vor Heimweh krank, als Fremdenlegionär niedrigeren Patents und als Dolmetscher durchschlagen muss. Das Selbstbewusstsein, mit dem er seine mehr visionären als beobachtenden Beschreibungen dem Leser präsentiert, verhält sich proportional zum Mangel an Portugiesischkenntnissen. Das verschafft uns Einsichten von unfreiwilliger Komik. So sei die außerordentliche Fruchtbarkeit der Brasilianerinnen, die angeblich nicht selten zwölf bis 16 Kinder gebären, dem Zusammentreffen dreier Umstände zu verdanken: Die Frauen sitzen mit untergeschlagenen Beinen, sie schnüren sich nicht die Brüste ab, wie in Europa üblich, und sie baden sehr häufig. Die örtliche Geographie erfährt bei Schlichthorst eine einzigartige Benennung, und so wird aus Copacabana »Punto da Cabana«. Aus seinen Träumen von einer baldigen Heimreise weckt ihn sanft ein »liebliches Negermädchen«, das eine in Brasilien ansonsten unbekannte »Marimba« spielt und dieses schwere Standinstrument aus Holz und Kalebassen überraschend zwischen den Fingern hält; ein Mädchen »in der Blüthe ihrer Jahre, von herrlichstem Gliederbau, Augen wie Sterne, einem Mund, frisch wie eine eben aufgebrochene Rosenknospe, und Zähnen, welche Perlen an Glanz und Weiße übertreffen«. Sie übergibt das Instrument einer zweiten Frau, »dem Gewichte nach auch eine wahre afrikanische Schönheit«, und beginnt einen »Faddo« zu tanzen, womit der Fado gemeint sein dürfte, der im 18. Jahrhundert immerhin in einer brasilianischen tanzbaren Variante bekannt war. Das Ganze schaut sich Schlichthorst nach eigener Auskunft »mit aller Behaglichkeit eines westindischen Pflanzers« an, gemütlich auf einer Bank vor der Kirche ausgestreckt und eine Zigarre rauchend. Das »schöne Mohrenkind« singt zum Tanze dem Deutschen zufolge dieses Lied: »Auf Erden giebt’s kein Paradies! / Doch wär’ am Cariocanerstrand / Mein heißgeliebtes Vaterland, / Ich träumt’, ich wär’ im Paradies!«

      Es ist hier nicht die Absicht, sich über den Autor lustig zu machen, sondern zu belegen, wie die Reisenden des 19. Jahrhunderts auch reisten: auf dem Eisbrecher ihrer Vorstellungen, der noch jedes Gestade erreicht hat. Indem sich in und an Copacabana seine erotischen Phantasien entzünden, macht Carl Schlichthorst allerdings eine für den Ort zukunftsweisende Vorläufererfahrung.

      Der König geht baden Die späte Lust am Strand in Rio de Janeiro

       Der Sand dieses Strandes ist weiß, wie die Schaumkronen der Wellen, die sich auf ihm brechen. Wer es liebt, vom tiefen, starken Grollen der Wellen unterhalten zu werden, die vom grünen Atlantik heraufrollen, wird kaum einen besseren Ort dafür finden. Und wer einmal die erhabene Herrschaft der Wellen genossen hat, die sich hier beeilen, ihm zu Füßen zu liegen, wird sich danach sehnen, diese Szene wieder und wieder zu erleben.

      Reverend Kidder, der Methodist aus Darien, New York, hat unter den Reisenden seiner Zeit wohl den zärtlichsten und zukunftsträchtigsten Blick auf Copacabana. Man ahnt, welch pure, intime und trotzdem verdrängte Lust am Strand in diesen Worten mitschwingt. Doch die niedergeschriebene Geschichte des Meerbades in Brasilien beginnt nicht mit dem Seufzer des Ästheten angesichts der ihn umgebenden Erhabenheiten. Ihr Anfang ist weitaus nüchterner, man möchte fast sagen: klinisch. Zepter und Äskulapstab gingen eine prägende Verbindung ein, als den Herrscher des portugiesischen Weltreiches João VI. um 1817 – der Berichterstatter Calmon gibt kein genaues Datum an – im brasilianischen Exil eine Zecke biss.

      Der Biss entzündete sich, den König warf ein hohes Fieber darnieder, der Hof fürchtete um sein Leben. Die Ärzte verordneten ein Salzwasserbad, was – wie wir noch sehen werden – keineswegs ein altbewährtes Heilverfahren war. König João VI. hatte das Meer vor der Tür, also ließ er eine große Holzkiste – vermutlich eher eine Art Holzkäfig – fertigen und sich darin am Strand von Caju von einigen starken Seeleuten ins Wasser tragen, sodass er sich gesichert und etwa hüfthoch dem therapeutischen Fluidum aussetzen konnte.

      Der König stieg also nicht freiwillig ins Wasser. Und in der Tat kam selbst in der positiv wahrgenommenen Landschaft Rios im 19. Jahrhundert der Badestrand praktisch nicht vor.

      Der Strand, den wir mit »Copacabana« assoziieren, ist ganz jung. Die »Traumstrände« waren zwar schon immer da, nur träumte niemand von ihnen.

      Kaum einer der großen Seefahrer aus Portugal wäre wohl auf die Idee gekommen, freiwillig im Meer zu baden. Cabral, Gonçalves und Co. konnten nicht verstehen, dass die brasilianischen Indios so oft und offenbar mit Vergnügen in die Flüsse sprangen und sich ausgiebig reinigten, aber auch gerne in der Brandung ihres Ozeans plantschten.

       Die Angst des Europäers vor dem Meer

      Über Jahrhunderte hinweg ging den Europäern ein Bad im Meer wider alle Vernunft, aber auch wider allen Mythos. Denn das Meer war offen, noch nicht von Menschen durch- und vermessen und geprägt von einem unberechenbaren Chaos, das in der Vorstellungswelt der Zeitgenossen unter seiner Oberfläche tobte. Die mythologische Meeresfauna kennt gewaltige Schlangen, Wale oder den Leviathan, den biblischen Drachen. Überhaupt prägt die Bibel das Bild vom Meer als Hort von Unordnung und Instrument göttlicher Strafe, so zum Beispiel durch die Sintflut.

      »Sein Brausen, sein Brüllen, die tosenden Ausbrüche seines Zorns können immer aufs neue als Erinnerung an die Sündhaftigkeit der ersten Menschen verstanden werden, die in den Fluten untergehen mußten«, wie es der Kulturhistoriker Alain Corbin in Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste 1750 – 1840 (im französischen Original: Le territoire du vide) beschreibt.

      Man darf nicht vergessen, dass die Mythologie höchst realen Verlusterfahrungen entsprach. Seefahrt war ein äußerst riskantes Unternehmen. Piraten, vor allem aber Stürme lauerten auf die Mutigen. Im Zeitalter der Entdeckungsreisen hatte sich die Schiffstechnik verbessert, doch zugleich nahmen Entfernungen und Wagnis zu. Die Flotte unter dem Kommando Pedro Álvares Cabrals, die im April 1500 Brasilien »entdeckte« und dann nach Indien weitersegelte, startete in Lissabon am 9. März 1500 mit 13 Schiffen. Am 23. Juni 1501 hatten es sechs, möglicherweise gar nur vier Schiffe geschafft, nach Lissabon zurückzukehren.

      Noch bis etwa 1840 standen die Meereskatastrophen im Zentrum der Naturgeschichte der Erde und dann der Geologie. Im Angesicht des Meeres bleibt die Naturbetrachtung nicht bei der Naturwissenschaft stehen; Meer ist im Wortsinn Metaphysik. Erst die Expeditionen der Frühen Neuzeit, die ein ganzes Weltbild umstoßen, weil ihr Entdeckergeist das grenzenlose Meer einhegt, und die Ordnungsleistungen der Kartographie (wie die Erfindung der Längengrade im 18. Jahrhundert) machen den Ozean für das aufgeklärte Individuum beherrschbar.

      »Küste«, »Ufer« und »Strand« hingegen scheinen fest umrissene und abgrenzbare Fix- und Orientierungspunkte zu sein. Doch auch die Küste ist ein Raum mit unscharfen Rändern, an denen sich die Elemente in unterschiedlicher Weise durchdringen.

      Die Definition des Strandes im Duden trägt dieser Unsicherheit Rechnung: »Das flache und sanft ansteigende Ufer des Meeres, seltener eines Flusses oder Sees, das beim höchsten Wasserstand gewöhnlich noch überflutet wird; im allgemeinen besteht es aus Sand und kann von unterschiedlicher Länge und Breite sein; wird häufig mit dem Wort ›Küste‹ gleichgesetzt, bezeichnet aber nicht so sehr das rein sachlich Festgestellte und Gegebene, sondern beschreibt das dem Sprecher in irgendeiner Weise freundlich oder belebt erscheinende Ufer.«

      Der Strand ist also weniger ein Faktum oder eine topographische Gegebenheit, sondern eher das Ergebnis einer Haltung. Der Strand ist ein kulturelles Produkt mit einer eigenen veränderlichen Materialität, jenseits von Sand, Salzluft, Sonnenschein und Brandung – und in Europa galt die Küstenlinie, das Grenzgebiet des monströsen Meeres, eben lange als ein Panoptikum der Katastrophen, an dem Wrackteile und Leichen einzusammeln waren. Und noch im 17. und 18. Jahrhundert glaubten Mediziner fest daran, dass das Meer Fäulnis errege.

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