Copacabana. Dawid Danilo Bartelt

Copacabana - Dawid Danilo Bartelt


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das Jesuskind auf dem Arm. Yupanqui wollte das Bild künstlerisch festhalten, doch mangels Fähigkeit und Kenntnis scheiterte der erste Versuch. Er ging in die Silberminenstadt Villa Imperial (Potosí), brachte sich das Bildhauerhandwerk bei und schuf eine Holzstatue. Am 2. Februar 1582, dem Tag der Jungfrau von Candelária, wurde das Bildnis in der Kapelle von Copacabana aufgestellt.

      Einige Wundergeschichten später hatte sich die »Jungfrau von Copacabana«, wie sie alsbald hieß, ersten Ruhm erworben. Insgesamt werden ihr 132 Wunder zugeschrieben. Der Synkretismus in Yupanquis Vision verfehlte seine integrierende Wirkung nicht. Die Pilger strömten nur so nach Copacabana, um der katholischen Heiligen mit sonnenkultischer Vergangenheit zu huldigen. Die meisten entstammten der indigenen Bevölkerung. Die Jungfrau leistete so einen wichtigen Beitrag zur kolonialen Mission. Schon 1614 musste eine größere Kapelle gebaut werden. Sie wich um 1670 einer Kirche, der noch heute bestehenden Basilika von Copacabana. Der 1650 gebaute Altar zeigt auf seinem Sockel Sonnenjungfrauen des Inka-Kults sowie eine Gestalt der Aymara-Mythologie, einen Menschenkopf mit leuchtend türkisblauen Augen, Schlangenhaaren und einem Raubkatzenschnurrbart: kjopac kahuaña, der »Blaue Seher«.

      Nuestra Señora de Copacabana wird vor allem von Bolivianern und Peruanern verehrt, aber sie hat Gläubige in anderen Ländern Lateinamerikas sowie in Spanien, Portugal und Italien. Neben der vor allem in Mexiko und Mittelamerika verehrten Jungfrau von Guadalupe ist sie die bedeutendste Mariengestalt Amerikas.

      Wann genau ein Bildnis der Jungfrau von Copacabana Rio erreichte, ist unklar. Es sollen peruanische Schmuggler gewesen sein, die sie von den Silberminen Potosís über Buenos Aires und übers Meer nach Rio mitbrachten und dort ließen, bevor sie ihre gegen das Silber eingetauschten Waren einschifften. Darunter waren auch die Sklaven, die dann ab Buenos Aires das Schmuggelgut nach Bolivien zu tragen hatten.

      Ebenso wenig wissen wir, wann Fischer die kleine Kapelle ganz im Süden des Strandes auf einer abgeflachten Felsspitze errichteten, wo heute das Fort von Copacabana die zuweilen aufrührerischen Wellen bewacht. Doch der erste Aufenthaltsort der Heiligen mit Migrationshintergrund war eine Kirche in der Stadt. Dort erhielt eine Kopie der berühmten Statue vom Titicaca-See einen Altar in der Igreja da Santa Casa. 1637 musste die Jungfrau einer Nebenbuhlerin weichen. Nossa Senhora do Bonsucesso, nach der die Kirche auch bis heute benannt ist, nahm den Platz der Migrantin ein. Mitte des 17. Jahrhunderts wird die Jungfrau in der Landpfarrei Suruhy, unweit des anderen Endes der Bucht von Guanabara gelegen, aktenkundig. Dann verschwand sie im historischen Untergrund und tauchte erst 1732 wieder auf, in der ersten Nachricht von ebenjener Kapelle am Strand.

      Auch hier wusste die Heilige für sich zu sorgen: Als das Kirchlein aus Lehm und Stroh über ihr zusammenzubrechen drohte, trug sie durch die Rettung eines anderen zu ihrer eigenen bei. Bischof Dom Antônio do Desterro war 1746 von Angola in die Erzdiözese Rio de Janeiro abgeordnet worden. Die Reise über den Atlantik verlief gut, und fast war der neue Bischof am Ziel, als er auf Höhe des Südendes von Sacopenapan in Seenot geriet. Gefährlich nahe ans Ufer abgetrieben, sah er auf der Felsspitze die Kapelle. In seiner Not gelobte Dom Antônio, sie zu restaurieren, sollte er den Wellen entkommen. Der Bischof überlebte und hielt sein Gelöbnis. Und die Heilige entfaltete ihren Charme weiter derart, dass alsbald ihr Name auf jenen Strand überging. Aus Sacopenapan wurde Copacabana.

       Hauptstadt Portugals, Hauptstadt des Sklavenhandels: Rio im 19. Jahrhundert

      1763 wurde Rio Hauptstadt des Vizekönigreiches Brasilien, einer der größten Kolonien der »Neuen Welt«. Um 1800 hatte diese Hauptstadt etwa 43.000 Einwohner. Die Gestalt der alten Kolonialstadt veränderte sich. Die wehrhafte Festung ohne Planung und mit wenig Siedlungsraum begann, dem Modell der offenen Barockstadt zu weichen. Es entstanden Gebäude und Plätze, die der Repräsentation dienten statt einem merkantilen oder militärischen Zweck, sowie Parkanlagen, Gärten, breite Straßen und Villen. Das Geld dazu kam vom Meer und aus den Bergen. Über den Atlantik kamen die Handels- und Sklavenschiffe. Der Hafen war der Umschlagplatz einer Wirtschaft, die auf dem Export beruhte: Holz und Zuckerrohr zunächst, dann Edelmetalle und Kaffee. Basis des wirtschaftlichen Fortschritts war aber ebenso der Import Hunderttausender von Menschen schwarzer Hautfarbe, die nicht freiwillig kamen und ihr Menschsein schon verloren hatten, als sie an der Westküste Afrikas in den Schiffsbauch gestoßen wurden. Die afrikanische Beute blieb nur zu einem kleinen Teil vor Ort – als Haussklaven, Hilfsarbeiter in Hafen und Gewerbe oder in den Zuckerrohrplantagen der Region. Die meisten wurden weiterverkauft in die nach 1720 entdeckten Goldlager in den Bergen des heutigen Minas Gerais, was nichts anderes bezeichnet als die »Allgemeinen Minen«. Politische Dynamik ging von dort aus, wie durch die erste – alsbald niedergeschlagene – Unabhängigkeitsbewegung, die sich unter dem »Zahnzieher« Tiradentes 1789 in Vila Rica, dem heutigen Ouro Preto, formierte. Am Goldhandel verdiente Rio aber kräftig mit.

      Die 43.000 Cariocas nahmen es weitgehend überrascht zur Kenntnis, dass sich im Januar 1808 der portugiesische Hofstaat nach Brasilien verfügte. Wohl niemand hätte sich vorstellen können, dass er 13 Jahre bleiben würde. Im März traf Prinzregent João mit seiner Entourage in Rio ein – und mit was für einer: Die Bevölkerung wuchs schlagartig um ein Drittel! Allen Schönredereien zum Trotz waren João und die Seinen vor den Truppen Napoleons, der in jener Zeit im Zenit seiner Macht stand, geflohen. Rio de Janeiro wurde so übergangsweise Hauptstadt des portugiesischen Weltreiches – das es noch immer war, wenn auch eines im freien Fall. Doch erst 1815 wurde dies amtlich, als Brasilien zum gleichberechtigten Teil des Vereinigten Königreiches von Portugal, Brasilien und den Algarven erhoben wurde. 1818 ließ sich der Prinzregent in Rio als João VI. zum König dieses Reiches krönen. Ein Jahr vorher hatte Prinz Pedro die Habsburgerin Leopoldine geehelicht. Nach der Rückkehr des Hofes nach Portugal sagte sich Pedro 1822 von seinem Vater los, und Brasilien von Portugal. Als Statthalter in Rio verblieben, erklärte er die Unabhängigkeit und sich selbst zum ersten Kaiser von Brasilien.

      Daran war João VI. sicher nicht unschuldig, und vielleicht schlug er bereits den ersten Nagel in den Sarg der alten Zustände, als er eine Druckerpresse nach Brasilien mitbrachte und – absurd spät – das Totalverbot für Druckerzeugnisse aufhob. Nun konnten auch in Brasilien Zeitungen erscheinen, und damit potenzierte sich nicht nur die Menge an verfügbarer Information, sondern auch die Umschlagzeit von Austausch und Diskussion unter Intellektuellen. Ebenfalls neu war, dass Brasilien nun eine zentralisierte Verwaltung erhielt. Es entstanden Vorläuferinstitutionen des nationalen kulturellen Gedächtnisses, wie die Königliche Bibliothek (später die Nationalbibliothek), ein Botanischer Garten, ein erstes Museum. Das ließ – wieder ungewollt – bei einheimischen Geschäftsleuten, Literaten, Angehörigen freier Berufe und hohen Beamten das Bewusstsein keimen, dass Brasilien tatsächlich eine Einheit, vielleicht sogar eine Nation sei. Der Anstoß zur Unabhängigkeit ging aber von Portugal aus: Auf Druck einer liberalen Bewegung in Portugal, die eine Verfassung für die Monarchie forderte, musste João VI. 1821 nach Lissabon zurückkehren. Als die dortige Ständeversammlung auch Kronprinz Pedro zurückbeorderte und zugleich den Freihandel, die neuen zentralen Institutionen in Brasilien abschaffen und die einzelnen Provinzen wieder direkt portugiesischer Autorität unterstellen wollte, wurden in Rio Rufe nach Unabhängigkeit laut. Letztlich auch, um Brasilien für die Bragança-Dynastie zu sichern, entschloss sich Pedro, in Brasilien zu bleiben und sich selbst als Oberhaupt eines formal unabhängigen Gebiets auf den Kaiserthron zu setzen.

      Die wirtschaftlichen Erwägungen der Pflanzeraristokratie und einheimischer Geschäftsleute und das politische Kalkül eines Teils der brasilianischen königlichen Beamten hatten damit die brasilianische »Nation« aus der Taufe gehoben. Eine Nation, die gleichsam auf dem Verwaltungswege begründet wurde: Der neue Kaiser löste die verfassungsgebende Versammlung alsbald auf und verfügte eine Verfassung nach seinem Gusto, die bis 1889 gelten sollte. So blieb das junge Brasilien eine Nation der Wenigen. Wählen, wo es nichts zu wählen gab, durften nur Männer über 25 Jahren mit einem bestimmten Mindestjahreseinkommen. Das waren 1872 fünf Prozent der Bevölkerung.

      Während die Frauen und die ärmeren Freien sich immerhin als Brasilianer fühlen durften, so traf das für die größte gesellschaftliche Gruppe nicht zu. Zu jener Zeit hatte Rio etwa 112.000 Einwohner. Fast die Hälfte davon waren Sklaven. Der Sklavenmarkt lag bis 1824 gleich am Hafen, mitten im Zentrum. Doch auch der Valongo,


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