Wenn Du gehen musst .... Doris Kändler
ihr, dass sie mich jederzeit anrufen könne. Sie nickte nur noch sehr zaghaft und dann schien sie in die tiefsten Träume zu fallen.
Als ich das Zimmer verließ, fragte ich mich, wann sie den Brief, den ich ihr zuvor auf den Nachttisch gelegt hatte, denn lesen und ob ich überhaupt eine Antwort darauf bekommen würde. Es war meine Art alles sagen zu können, was ich zu sagen hatte. So und nicht anders kannte sie mich nun mal.
Liebe Sandy,
ich habe lange hin und her überlegt, was ich Dir schreiben könnte. Irgendwie war ich total blockiert. Vielleicht auch, weil der Schock noch viel zu tief sitzt.
All die Erinnerungen an unsere gemeinsamen Jahre kommen hoch. Manchmal sind sie traurig, doch meistens muss ich lachen. Wir beide haben so viel miteinander durch gemacht. Und jetzt??? Jetzt müssen wir uns verabschieden.
Das ist unfair und viel zu früh.
Trotzdem danke ich Gott in jeder Sekunde, dass ich mich verabschieden darf.
Ich danke Dir, dass Du mich bei Dir haben willst. Das macht mich sehr stolz.
Ich habe Dir gestern am Telefon bereits gesagt, dass ich leider nichts ändern kann. Aber ich kann Dich auf Deinem Weg begleiten, solange Du mich mitnimmst und mitnehmen kannst. Und ich schwöre, das werde ich auch tun.
Ach, wenn ich doch was ändern könnte. Dann würde ich das tun. Sofort. Dann würde ich ins Jahr 1989 zurückreisen. Da war noch alles noch so verdammt einfach.
Dann würden wir:
Durch unser Dorf ziehen und es unsicher machen.
Meinen Kassettenrekorder mit doofem Blödsinn bequatschen.
Meinen Vögeln das Sprechen beibringen.
Uns über andere Mädchen lustig machen.
Uns das Maul über doofe Jungs zerreißen.
Liebesbriefe schreiben.
Uns mit anderen Mädchen prügeln.
Heimlich Zigaretten bei Deinen Eltern klauen.
Unsere Eltern zur Weißglut treiben.
Schule schwänzen.
Uns als Tanja oder Claudia ausgeben.
Mit meinem Hund Mona in die Disko gehen.
Uns mit Selbstbräuner einschmieren und scheiße aussehen.
Zusammen im Bett liegen und träumen.
Uns gegenseitig den Rücken kraulen.
Unsere intimsten Geheimnisse teilen.
Nicht auf die falschen Kerle reinfallen.
Ich könnte Bücher mit solchen Sätzen füllen.
Damals waren wir so dicke Freundinnen. Ich habe mich oft gefragt, wann sich das verändert hat. Und wieso es so kommen musste. Doch es ist eigenartig Sandy. Immer wenn ich von Dir gesprochen habe, hieß es :“Das ist meine beste Freundin, seit ich 10 Jahre alt war.“
Ich habe niemals anders von Dir gesprochen. Selbst dann nicht, wenn sich unsere Wege mal wieder für eine Zeit getrennt hatten. Und auch nicht zuletzt, als gar nichts mehr funktionierte. Selbst da warst Du immer „Meine beste Freundin, seit ich 10 Jahre alt war.“
Es hatte sich also niemals etwas an dem Gefühl verändert. Lediglich die Umstände waren anders.
Gestern habe ich meinem Freund von uns erzählt. Von der Zeit, als wir uns nicht ausstehen konnten. Als wir uns geprügelt und sogar bespuckt haben. Und mir fiel ein, wie einfach es war, als wir uns entschlossen hatten, uns doch zu mögen. Wir haben uns an diesem Abend erst gezofft. Erinnerst Du dich?
Und als Christiane und Sandy nach Hause mussten, und wir aber noch draußen bleiben durften, hast Du mich einfach mit einem etwas schroffen Ton gefragt: „Kommst de noch mit zu mir?“
Ich habe gar nicht lange überlegt. Ich habe einfach schroff zurück „Jo“ gesagt. Kannst Du dich noch daran erinnern?
Von diesem Moment an, waren wir unzertrennlich. Es gab keinen Tag, den wir ohne den Anderen verbracht haben. Und wenn einer von uns nach Hause musste, dann haben wir abends auf jeden Fall noch mal telefoniert.
Das war äußerst wichtig und lebensnotwendig!!!!
Es gibt so viele Momente, die ich erzählen kann. So viele Dinge, die wir miteinander geteilt haben. Das ist Wahnsinn.
Eigentlich haben sich unsere Wege nie wirklich getrennt, wir sind nur immer mal wieder eine Zeit lang parallel zueinander gelaufen und haben den Blickkontakt verloren. Aber irgendwo war immer die Kreuzung, die uns wieder auf den gleichen Weg gebracht hat.
Ich möchte, dass Du weißt, wie wichtig Du für mich bist. Es immer warst. Ich habe Dich immer geliebt und das werde ich immer tun. Und genau dieses Gefühl gebe ich Dir mit.
„Weil Du meine beste Freundin bist, seit ich 10 Jahre alt war.“
Ich habe Dich unendlich lieb.
Deine Dodi
Es ist, wie es ist...
Im Auto angekommen sackte ich völlig fertig in mich zusammen. Gott sei Dank rief mein Lebensgefährte an. Er befand sich in einer Gaststätte um die Ecke und wollte mit mir gemeinsam zu Mittag essen. Das war das Beste, was mir passieren konnte. In diesem Augenblick hielt ich die Stille der Einsamkeit nicht aus. Und so fühlte ich mich... EINSAM!
Als er mich sah, spürte er sofort, wie schlecht es mir ging. Wortlos nahm er mich in den Arm. Es traf ihn wohl sehr, als er mein Gesicht und meine verlorene Fassung sah. Zu diesem Zeitpunkt waren wir seit 2,5 Jahren ein Paar und er hatte Sandy in all der Zeit nur ein einziges Mal gesehen. So selten waren unsere Treffen damals. Dennoch wusste er aus meinen Erzählungen, dass sie die EINE BESONDERE Freundin für mich war, auch wenn ich sie von all meinen Freundinnen am seltensten sah.
Wie der Teufel es wollte, kam der Inhaber des Lokals zu uns an den Tisch und erzählte von schlimmen Zeiten, die hinter ihm lagen. Er kannte meinen Lebensgefährten schon viele Jahre, weshalb er sehr tief ins Detail ging. Er erzählte sehr ausführlich von einer an Krebs erkrankten Verwandten, für die es keine Hoffnung gegeben hatte. Diese Bekannte habe sich angeblich Olivenblätter aus der Heimat kommen lassen, und sei nach dem unentwegten Kauen der Blätter völlig genesen.
Ein Funke Hoffnung erfüllte mein Herz. Dem Gespräch der Männer konnte ich nicht mehr folgen, da meine Gedanken längst in eine andere Richtung abschweiften. Ich nahm mir vor, über dieses Naturheilverfahren im Internet nachzulesen. Später könnte ich Sandy anrufen und ihr sagen, ich würde diese Blätter bestellen. Ich konnte doch die Hoffnung nicht einfach so aufgeben.
Nachdem der Mann seiner Arbeit wieder nachging, sprachen mein Freund und ich über meine Eindrücke bei Sandy. Er, der sonst so pröbsche und eher unnahbare Mann erschien mir wahrhaftig gerührt. In dieser Situation schossen selbst ihm einige Tränen in die Augen. Auf der einen Seite war es sicherlich mein Schmerz, der ihn zutiefst traf. Auf der anderen Seite konnte er sich anhand meiner Erzählungen aber auch ein Bild von meiner sterbenden besten Freundin machen.
Ganz gespannt wartete er nun auf meine fachlich fundierte Meinung. Hier war ich jedoch persönlich betroffen und hatte plötzlich das Gefühl, nichts mehr zu wissen. Tief in meinem Inneren wusste ich allerdings, welcher Weg uns allen nun bevorstand.
Sandy war stets der Anker in meinem reißenden Strom der Gefühle. Und nun entdeckte ich Stück für Stück, dass ich diese Position nun nicht für sie erfüllen konnte. Es war zu hart für mich, sie beim Sterben zu begleiten. Ich konnte den Anblick ihres Sterbens nicht ertragen. Es war schrecklich für mich.
Wie sollte ich mich nun verhalten? Sollte ich jeden Tag mit ihr telefonieren? Sollte ich wegbleiben, damit sie meine Tränen nicht sah? Ich wusste es nicht.
Den Weg zurück nach Hause fuhr ich damals wohl eher instinktiv. Ich konnte