Tiloumio. Maari Skog
die Verantwortung für seine Kinder nicht übernehmen zu müssen. Es ist überhaupt ein Wunder, dass er sich in seiner freien Zeit, wenn wir bei ihm waren, die Mühe gemacht hat, uns deutsch beizubringen.«
Pascal stößt sich vom Geländer ab und setzt sich neben mich. Die Hände hält er wie zum Gebet gefaltet, weit von sich gestreckt.
»Glaubst du, dass alles, was passiert, vorherbestimmt ist?«, fragt er plötzlich.
Ich bin auf die Frage nicht vorbereitet. »Wie kommst du darauf?«
Pascal sieht auf die Öffnung seiner Bierflasche und klopft mit den Fingern auf den Flaschenhals.
»Kann ich dir nicht sagen. Ich habe nur so ein komisches Gefühl. Mir ist gerade durch den Kopf gegangen, dass wir uns nie begegnet wären, wenn Butz dich nicht gewittert hätte. Das ist, als ob es so sein sollte. Vielleicht will das Schicksal ja, dass ich dir helfe. Du solltest mit nach Deutschland kommen. Dort kannst du neu anfangen. Ich würde auch vorher mit dir nach Abisko fahren, um deinen Wagen zu holen.«
»Das geht nicht«, entfährt es mir schnell. Die Aussicht auf einen Neuanfang verlockt mich zwar, aber dass Pascal mit mir nach Abisko fahren will, behagt mir ganz und gar nicht. Ich spüre die aufkommende Erklärungsnot und greife nervös zu dem Päckchen Zigaretten in meiner Jackentasche.
»Für die Schrottgurke würde nichts mehr rausspringen, und weshalb sollten wir den Weg auf uns nehmen, wenn sowieso nur ein Verlustgeschäft entsteht?«, versuche ich zu argumentieren, »Außerdem muss ich mich um Turia kümmern. Ich habe sie im Stich gelassen. Das lässt mir einfach keine Ruhe.«
Eine Spur Enttäuschung huscht über Pascals Gesicht, weicht dann aber Verständnis.
»War sie es, die dir eine Nachricht geschrieben hat?«, fragt er und mustert mich eingehend.
Offensichtlich ahnt er, dass ich ihm immer noch Einiges verschweige. Ich weiche seinem Blick aus. Es ist nicht nur die Furcht davor, dass mich Pascal möglicherweise für meine Tat verurteilen könnte, sondern auch die Angst, dass genau das Gegenteil von dem passiert.
Mein Bauchgefühl sagt mir, dass er sich zu etwas Unüberlegtem hinreißen lassen würde, wenn er erfährt, was ich getan habe.
Etwas, was zu meinen Gunsten ausfallen und meine still gehegten Rachegelüste zwar abmildern, aber Pascal in etwas hineinziehen würde, was ihn eventuell zum Verhängnis werden könnte.
Ich schüttele abwehrend den Kopf.
»Sie hat mir nur ihre neue Handynummer durchgegeben. Aber sie geht nicht ran.«
»Dann versuch doch, sie zuhause anzurufen. Bei deinem Vater oder bei deinen geisteskranken Stiefeltern.«
Ich stütze die Ellenbogen auf den Beinen ab und rauche hastig. Die Zigarette in meiner Hand zittert.
»Würde ich ja gerne. Aber es geht nicht. Ich kann nicht. Verstehst du? Ich kann das einfach nicht. Sie hat mir geschrieben, dass ich das nicht machen soll«, versuche ich zu erklären.
Pascals Augen verziehen sich zu schmalen Schlitzen und signalisieren mir, dass er mir nicht glaubt.
»Vertraust du mir? Wenn es so ist, dann erzähl mir alles. Ich merke nämlich, dass da etwas ganz gewaltig zum Himmel stinkt.«
Ich vergrabe mein Gesicht zwischen den Knien und antworte nicht. Ich will nicht, dass Pascal enttäuscht von mir ist, und gleichzeitig merke ich, wie eine kalte Wut in mir hochsteigt, immer hitziger wird und zu brodeln beginnt.
»Du spinnst ja. Was willst du denn hören? Ich kann einfach nicht so agieren, wie ich gerne möchte. Ich kann einfach nicht«, wiederhole ich und merke, wie ich mehr und mehr in die Ecke gedrängt werde.
»Und wieso zum Teufel kannst du nicht? Warum willst du nicht deinen Wagen abholen und bei deiner Schwester anrufen? Glaubst du etwa, dass dein Daddy oder dein Stiefdaddy dir durch den Hörer den Schädel einschlagen werden? Erkläre es mir, damit ich es verstehe.« Pascal ist unnatürlich laut geworden, und ich kann es voll und ganz nachvollziehen.
Ich halte mein Gesicht weiterhin zwischen den Knien verborgen und balle die Hände zu Fäusten, beschämt wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hat.
»Was ist denn jetzt?«, höre ich Pascal ungeduldig fragen. »Warum kannst du das alles nicht? Was ist denn, verdammt noch mal, passiert? Wolltest du jemanden mit der Knarre umbringen?«
Er packt mich an den Schultern. Ich schlage seine Hände weg, stehe in Windeseile auf und will vor ihm in den Regen flüchten. Doch Pascal ist schneller und versperrt mir den Weg.
»Sag die Wahrheit«, fordert er eindringlich. »Wolltest du, oder hast du vielleicht sogar ...?«
Ich lasse ihn den Satz nicht zu Ende bringen.
»Ja, ich habe! Ich habe jemanden getötet, und ich musste es tun! Ich wurde gejagt wie ein Vieh und ich musste ... ich konnte nicht ...«, schrie ich die Worte heraus, die mich augenblicklich aus der Ecke befreien, in die mich Pascal zuvor gedrängt hat.
Ich hebe die Arme und stoße ihn von mir, um anschließend die Hände schützend vor mein Gesicht zu halten.
»Ich sollte umgebracht werden. Ich habe mich doch nur verteidigt. Ich will nicht ins Gefängnis. Ich will da nicht hin, dann bringe ich mich lieber um.«
Durch einen Tränenschleier sehe ich den Revolver auf dem Boden liegen. Ich hebe ihn auf und halte ihn mir an den Kopf.
»Du kannst mich töten. Töte mich! Ich wollte das nicht, aber mir blieb keine andere Wahl«, sprudelt es aus mir heraus.
Die letzten Worte schluchze ich nur noch.
Unter mir beginnt sich der Boden zu drehen, sodass ich auf die Knie falle.
Wimmernd richte ich mich wieder auf.
»Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht ...«, schluchze ich wieder und wieder, überzeugt davon, dass mich Pascal der Verdammnis aussetzen wird.
Doch dann fühle ich, wie er mir den Revolver aus der Hand nimmt und die Arme um mich schlingt.
»Ach du Scheiße. Scheiße«, höre ich ihn leise flüstern.
Ich dem Moment weiß ich nicht, ob ich mich schämen, oder einfach nur erleichtert sein soll. Meine Beine fühlen sich wie Gummi an und lassen mich fast zu Boden gehen. Doch Pascal hält mich weiterhin fest.
Zu lange habe ich das gewichtige Geheimnis mit mir herumgetragen, es kommt mir fast wie ein schonungsloser, aber unrealistischer Albtraum vor. Nun trifft mich die Realität mit voller Wucht. Das Karussell in meinem Kopf hindert mich daran, einen klaren Satz zustande zu bekommen.
»Er wollte sich durch meinen Tod bereichern. Ein Spiel ... ich hatte die Knarre am Kopf und ... der wusste alles von mir, und ich weiß nicht warum. Woher ...«, schluchze ich haltlos und grabe mein Gesicht noch fester in Pascals Flanellhemd.
Das Reden kostet mich zu viel Kraft.
»Bei Gott im Himmel, was für eine Scheiße«, flüstert Pascal entsetzt und will mich vorsichtig von sich schieben.
Doch ich lasse ihn nicht los.
»Ist okay«, sagt er leise und legt wieder die Arme um mich. »Was für ein verdammtes Spiel? Was ...«, er spricht nicht weiter, weil ihm wahrscheinlich die Worte vor Fassungslosigkeit fehlen. »Du wirst nicht in den Knast wandern«, sagt er nach kurzem Schweigen schließlich. »Von mir wird niemand etwas erfahren. Du musst keine Angst haben, okay?«
Ich nicke und ziehe den Rotz hörbar hoch. Ein Stück weit beruhigt löse ich mich von Pascal und wische mir mit dem Jackenärmel übers Gesicht. Mein Atem geht immer noch stoßweise, und ich wage nicht, meinen Freund anzusehen.
Pascal umfasst meine Schulter.
»Ich gebe dir mein Ehrenwort darauf, dass ich dir helfen werde, die ganze Scheiße zu bereinigen. Ich werde dir erst mal etwas zu essen machen und dann ... Mann, Scheiße, ich muss das sacken lassen. So eine Scheiße ... verdammt.«
Wenig