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Tiloumio. Maari Skog
und habe unweit davon ein niedergebranntes Lagerfeuer gefunden, in dem Reste von verbranntem Stoff und Fieberglasgestänge lagen.«
»Verbrannt?«, frage ich entgeistert, »aber warum ... warum hätte ich das tun sollen?«
Pascal zuckt mit den Schultern.
»Möglicherweise hast du phantasiert. Du hattest hohes Fieber. Das wäre die einzige Erklärung. Aber so genau weiß ich das auch nicht.«
Er steht auf und holt eine Brieftasche sowie ein Handy aus dem Küchenschrank. Beides legt er vor mir auf den Tisch.
»Du hattest nur das bei dir und die zerrissenen Klamotten, die du noch anhast.«
Erstaunt starre ich auf meine Brieftasche und mein Handy. Das Display ist zerkratzt. Langsam, fast mechanisch fahre ich mit dem Daumen darüber. Dass mich mein Gedächtnis derart im Stich gelassen hat, erschüttert mich.
»Ich ... kann mich an nichts erinnern. Wie kann das sein?«, stoße ich hervor, mehr an mich selbst gerichtet, als an Pascal.
»Du hattest wahrscheinlich einen Blackout. Mach dir nicht so viele Gedanken darüber. Die Erinnerung wird mit Sicherheit zurückkommen. Dann, wenn du nicht mehr darüber nachdenkst. Die Hauptsache ist doch, dass du noch weißt, wer du bist. Das weißt du doch, oder?«, versucht er mich zu beruhigen.
Ich nicke langsam, was Pascal als Antwort zu genügen scheint. Er steht auf und stellt seine Tasse in die Spüle.
»Ich muss rüber und mich um die anderen Gäste kümmern. Ruh dich aus. Vor allem solltest du mal duschen. Dann wirst du bald wieder vollkommen hergestellt sein. Alles Weitere sehen wir dann«, sagt er und geht zur Tür.
Ich sehe ihm verwirrt nach, als die Tür knarrend ins Schloss fällt. Um mich herum wird es still und ich sehe an mir herab. Meine Klamotten fühlen sich klamm an. Angewidert stehe ich auf und gehe schwankend ins Badezimmer. Es ist ein winziger Raum, in dem man sich gerade so umdrehen kann. Alles ist sauber und ordentlich. Neben dem Waschbecken steht ein kleiner Schrank, gefüllt mit frischen Handtüchern. Ich betrachte mich im Spiegel, der über dem Waschbecken hängt. Mein Gesicht ist dermaßen schmal geworden, dass ich erschrocken meine Wangen abtaste. Dunkle Augenringe verleihen mir das Aussehen eines Zombies, und genauso fühle ich mich auch. Tot und leer mit einer körperlichen Funktionsfähigkeit, die auf ein Minimum herabgesetzt ist. Lebendig, ohne zu leben. Tot, ohne gestorben zu sein. Meine Haare sind von Schmutz und Fett filzig und haben einen gräulichen Farbton angenommen. Ich spare es mir, die Arme zu heben, um zu testen, ob ich nach altem Schweiß stinke. Mich überkommt ein widerliches Schamgefühl, wenn ich daran denke, dass Pascal mich so die ganze Zeit ertragen musste.
Mühselig mache ich mich daran, den Verband an meinem Bein zu entfernen, stelle mich anschließend unter die heiße Dusche und denke darüber nach, warum mein Gedächtnis mich im Stich gelassen hat. Vor allem frage ich mich, ob es Details gab, die ich preisgegeben habe, aber nicht hätte preisgeben dürfen. Es ist ein beunruhigender Gedanke, dass sich in meinen Erinnerungen ein weißer Fleck befindet, den ich nicht behaften kann. Vielleicht habe ich im Fieberwahn geplaudert. Auch wenn Pascal nicht den Eindruck macht, als ob etwas Außergewöhnliches passiert sei, ist mir klar, dass ich meinen Retter nicht gut genug einschätzen kann. Es ist durchaus möglich, dass er mehr über mich weiß, als mir lieb ist, und er bereit ist, zuzugeben. Vielleicht versteckt er sein Wissen nur hinter der freundlichen Fassade. Mir bleibt nichts anderes übrig, als argwöhnisch zu bleiben und jedes Wort mit Bedacht zu wählen.
Die Ungewissheit versetzt mir einen Stich. Aufgewühlt verlasse ich die Dusche und trockne mich mit ungelenken Bewegungen ab. Ich fühle mich wie eingerostet und kann nur mit Mühe einen Blick auf die Wunde am Bein werfen. Die Wundränder sehen aus wie rote, geschwollene Bänder. Dazwischen verhindert eine blutige Kruste, dass der Schnitt wieder zu bluten beginnt. Ich lasse den Verband weg und humpele ins Schlafzimmer zurück, wo ich erschöpft ins Bett sinke. Still liege ich da und weiß, dass ich noch lange nicht über den Berg bin. Es quält mich, dass Geist und Verstand ihre schneidige Schärfe zurückbekommen haben, während sich mein Körper wie der eines Greises verhält. Das hindert mich daran, dem inneren Sturm, der in mir tobt, ein Ventil zu bieten. Erneut versuche ich, mich zu erinnern.
Aus welchem Grund habe ich meine Ausrüstung verbrannt? Habe ich keinen Sinn mehr in meinem Unternehmen gesehen? Wollte ich sterben? Das kann es nicht sein. Ich bin vielleicht melancholisch, wenn nicht sogar depressiv, aber ich war noch niemals lebensmüde. Ich hatte wohl tatsächlich vorübergehend den Verstand verloren. Vielleicht, weil ich zu lange in der menschenleeren Weite gewesen bin und mit niemandem gesprochen habe, außer mit Steve. Vielleicht war sogar er nur eine Illusion. Der Teufel in Menschengestalt, der mich in meinen Halluzinationen heimgesucht hat. Oder war es die panische Angst, die er verursacht hat, und die mir letztendlich das Gefühl gab, mit einem seelenlosen Ungeheuer alleine zu sein?
Der weiße Fleck in meinem Kopf beinhaltet etwas, was mir das Gefühl gibt, etwas Wichtiges übersehen zu haben. Ich kann es nicht greifen.
Wie ich so daliege, kommt ein Funke Erinnerung hoch. Ich verspüre das Gefühl unendlicher Verlassenheit und Einsamkeit. Es vermischt sich mit einem widerlichen Geruch und lässt mich plötzlich im Nirgendwo stehen, wo es keine Konturen gibt, kein Licht und nicht einmal Boden unter den Füßen. Es ist, als ob die Erde unter mir von einem Ozean verschlungen wurde, dessen wässrige Zähne den Kontinent zerfressen haben. Und dieser Ozean, all das Wasser, wird vor meinen Augen in ein schwarzes Loch gesogen und nimmt mich nicht mit, weil es mich schlicht vergessen hat.
Mit rasendem Herzen krallen sich meine Finger in das Bettlaken. Ich beginne zu begreifen, dass ich aus einem bösen Traum aufgetaucht bin. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Ich wünsche mir, dass der gesamte Inhalt dieses verfluchten Sommers ein Albtraum ist. Aber ich kann mir geschehene Dinge nicht wegwünschen. Ich kann nur versuchen, sie zu vertuschen.
Mittlerweile ist es Ende August. Ich habe mich weitestgehend von meiner Verletzung erholt und weiß nicht, was mich noch an diesem Ort hält.
Ich könnte weiterziehen, wohin auch immer. Doch meine Angst vor dem, was ich getan habe, hält mich davon ab. Jedoch ist das nicht der einzige Grund, der mich davon abhält, das Wildniscamp zu verlassen.
Seitdem Pascal mich gerettet hat, kommt es mir vor, als ob er mit mir auf eine ganz besondere Weise verknüpft ist. Ich habe mich in den letzten Wochen immer wieder dabei ertappt, dass ich versucht habe, ihn richtig einzuschätzen, und wie sich eine heimliche Bewunderung für meinen Retter eingeschlichen hat.
Egal, was Pascal macht, ihm scheint alles leicht von der Hand zu gehen. Er wird nie laut oder ungeduldig, noch verliert er seinen Humor, wenn etwas nicht so klappt, wie er es sich vorstellt. Vielleicht ist es aber auch seine unbekümmerte und diskrete Art, mit meiner Trübseligkeit umzugehen, die mich davon abhält, ihm Lebewohl zu sagen.
Ich muss mir eingestehen, dass ich beginne, ihm zu vertrauen. Zumindest ein klein wenig. Nur deshalb habe ich zugelassen, dass er mich seinem niederländischen Chef Michi vorgestellt und mir die Verantwortung für die Huskys übertragen hat, die zum Wildniscamp gehören. Von den Gästen des Camps halte ich mich jedoch eisern fern. Ich will und kann mit niemandem reden. Auch bei meinen Begegnungen mit Michi bleibt es meistens nur bei einem kurzen Gruß. Der kleinste Fehler würde eine Kettenreaktion an Fragen in Pascal und auch Michi auslösen, sodass ich in Gedanken eine Liste erstellt habe, an die ich mich in brenzligen Situationen halte. Ich hasse dieses Lügengebäude, das auf keinen Fall niedergerissen werden darf. Es fängt schon damit an, dass ich mich mit falschem Namen vorgestellt habe. Das ist mir fast zum Verhängnis geworden, als mich Pascal vor einigen Tagen gerufen hat. Ich war auf dem Weg zum Zwinger gewesen, und habe auf den Namen Andreas nicht reagiert. Erst als sich mir eine Hand auf meine Schulter legte, bin ich erschrocken zusammengefahren. In dem Moment habe ich geschaltet, dass Pascal mich meinte.
Ein weiteres Problem ist, dass ich behauptet habe, Deutscher zu sein. Noch hat mich Pascal nicht gefragt, woher ich genau aus Deutschland komme. Schließlich kenne ich mich nicht so gut aus mit Städten und Ortschaften in Deutschland. Die Wahrscheinlichkeit,