Tiloumio. Maari Skog

Tiloumio - Maari Skog


Скачать книгу
ist, ist mir einfach zu hoch.

      Zudem kommt das Problem, dass ich mich nicht damit verraten darf, wenn ich schwedische Zeitungen lesen will. Pascal geht bisher davon aus, dass ich der norwegischen und schwedischen Sprache nicht mächtig bin. Dabei hätte ich zu gerne mal einen Blick in die Regionalzeitung geworfen. Einfach nur, um in Erfahrung zu bringen, ob vielleicht schon die Leiche meines Widersachers entdeckt worden ist. So aber bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit der Ungewissheit abzufinden.

      Manchmal ernte ich fragende Blicke von Pascal. In solchen Augenblicken distanziere ich mich von ihm und bleibe bis zum späten Abend vom Wildniscamp fern. Erst wenn ich mir sicher bin, dass mein neuer Freund schläft, schleiche ich in die Hütte zurück und lege mich auf die Couch.

      Die Tage sind bisher in rauschender Unruhe und Vorsicht vergangen. Die einzige Sorge, die von mir abgefallen ist, ist die Panik vor dem absoluten Alleinsein. Aber sonst kommt es mir vor, als ob ich einen Stein in meinem Inneren mit mir herumtrage, den ich nicht mehr loswerde.

      Ich sitze im Zwinger bei den Hunden und beobachte, wie sie miteinander balgen. Sie sind nicht mehr so träge, wie vor einigen Wochen, als die Hitzewelle nicht enden wollte. Der Winter hat angekündigt, dass er nicht mehr lange auf sich warten lässt, obwohl wir erst August haben. Vor einigen Tagen hat sich der erste Bodenfrost eingestellt und uns wissen lassen, dass die Uhren hier oben in Lappland anders ticken.

      Ich blicke in den Himmel. Ein Wolkenschleier hat das Blau in nicht sichtbare Sphären gedrückt und kündigt anhaltenden Regen an. Mein Bein schmerzt. Ich reibe über die verheilende Wunde, die feuerrot und empfindlich wie Pergamentpapier ist. Aus Angst, dass sie erneut zu bluten beginnt, höre ich auf und verdränge die Vorstellung daran. Wenn ich an einen kaum besiegbaren Blutstrom denke, schieben sich automatisch Bilder in meinem Kopf, auf denen das Blut meines Angreifers in die graue Erde des Bachbettes sickert. Ich will nicht daran denken und merke gleichzeitig, dass es mir nicht gelingt, meine Gedanken davon abzulenken. Sie ermahnen mich, das Schweigen zu brechen und die Wahrheit zu sagen, um endlich die Schuldgefühle herauszulassen.

      Ich blinzele und zwinge mich in die Wirklichkeit zurück, so bitter sie auch anmuten mag. Die Hunde lassen mich mein Schicksal für einige Augenblicke vergessen. Deshalb begnüge ich mich damit, ihnen weiterhin zuzusehen.

      Einige der Tiere waren am Anfang an mir emporgesprungen und haben mir feuchte Küsse gegeben. Aber ich habe schnell herausgefunden, wie das Rudel funktioniert und wie es sich mit der Rangordnung verhält.

      Ein Hund ist mir besonders ans Herz gewachsen. Eine zierliche, schwarze Hündin, deren Brust ein weißer Latz ziert. Ein Teil von ihrem rechten Ohr fehlt. Ich kann mir nur erklären, dass sie es bei einem Kampf verloren hat.

      Mit einem Kloß im Hals beobachte ich, wie Flicki, so heißt die Hündin, verängstigt in alle Richtungen blickt, während sie zu den Fressnäpfen schleicht. Sie ist so demütig gegenüber den anderen Hunden. Wenn ich den Zwinger betrete, wartet sie immer ab, bis sich die anderen Hunde von ihrem Begeisterungssturm beruhigt haben. Erst dann kommt sie in geduckter Haltung zu mir, um sich ihre Streicheleinheiten abzuholen.

      Die kleine Flicki erinnert mich an Turia. Es ist die Art, wie sie läuft und sich umsieht. Versteckte, geheimnisvolle Blicke, die unermüdlich in der Gegend umherirren, aber auch starr und gefroren in eine Richtung stieren können, regungslos und doch mit einem winzigen Rest von Stolz behaftet.

      »Du brauchst dir keine Sorgen um sie machen.«

      Ich zucke zusammen und richte mich erschrocken auf, falle aber sofort in die entspannte Haltung zurück, als ich erkenne, dass Pascal an der Ecke des Hundehauses steht und gelassen eine Zigarette raucht.

      »Es gibt Neuigkeiten«, fährt er vergnügt fort und bläst Rauchringe in die Luft.

      »Und die wären?«, frage ich, ohne den Blick von den Hunden abzuwenden.

      »Michi muss für ein paar Tage weg. Er will Freunde in Värmland besuchen und hat mich gebeten, den Laden für die Zeit zu übernehmen. Willst du mir helfen?«

      »Blöde Frage«, murre ich, »ich helfe dir doch schon die ganze Zeit, oder nicht?«

      Meine schnippische Antwort tut mir gleich darauf leid. Ich streife Pascal mit einem schuldbewussten Seitenblick und bemerke, dass er sich von meiner schlechten Laune nicht aus der Ruhe bringen lässt.

      »Ich weiß. Aber das meine ich nicht. Ich muss mich auch um den Souvenirshop kümmern und die Rezeption übernehmen, und da wollte ich dich fragen, ob du dich mit mir zusammen direkt um die Gäste kümmern willst.«

      Ich strecke das schmerzende Bein aus und verschränke die Arme vor der Brust.

      Alles in mir sträubt sich bei dem Gedanken, mit mehreren Menschen auf einmal in Kontakt treten zu müssen. Die Wunde am Bein beginnt zu pochen, und ich weiß im ersten Augenblick nicht, was ich antworten soll.

      »Ich weiß nicht«, sage ich zögernd, »ich halte das für keine gute Idee. Ich kann kaum englisch, geschweige denn schwedisch, und außerdem kann ich nicht so gut … naja, ich habe einfach keinen Bock auf Geselligkeit und gespielte Freundlichkeit. Das liegt mir nicht.«

      Ich weiche Pascals erwartungsvollem Blick aus, während er mir freundschaftlich in die Seite knufft.

      »Nun komm schon. Lass es dir noch einmal durch den Kopf gehen. Heute Nachmittag bin ich in der Rezeption, und wenn du auch kommst, dann wartet da auch ein Kaffee von der Marke Herztod auf dich, okay?«

      »Sehr witzig.«

      Ich sehe in Pascals heiteres Gesicht und frage mich, weshalb er nicht enttäuscht ist.

      »Ach komm schon, das wird lustig. Und wenn du mir nur Gesellschaft leistest, ohne mit den Gästen reden zu wollen«, versucht er mich weiter zu überzeugen.

      Ich gebe mich letztendlich geschlagen, obwohl mir nicht ganz wohl bei der Sache ist.

      »Na schön, wenn es dir so wichtig ist, dann komme ich nachher vorbei.«

      Zum Dank bekomme ich einen weiteren Knuff an die Schulter.

      »Super, ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann«, lacht Pascal und verschwindet ebenso schnell um die Ecke, wie er aufgetaucht ist.

      Am Nachmittag mache ich mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zum Souvenirshop, der gleichzeitig die Rezeption umfasst. Doch vorher schalte ich mein Handy für einen kurzen Moment an, um nachzusehen, ob eine Nachricht von Turia eingegangen ist. Das habe ich bisher täglich getan, ohne, dass es Pascal bemerkt hat. Ihn nach einem geeigneten Ladegerät zu fragen, traue ich mich nicht.

      Das Display leuchtet auf. Mein Herz fängt an zu rasen, als ich bemerke, dass der Akku nur noch minimale Leistung hat und mir damit deutlich macht, dass sich der Tag unvermeidlich nähert, an dem ich den Mund aufmachen muss. Das Handy stellt schließlich die einzige Kontaktquelle zu Turia dar, und die will ich auf keinen Fall verlieren.

      Auch dieses Mal bleibt das Gerät stumm und signalisiert mir, dass sich meine Schwester nicht gemeldet hat. Sorge und Schuldgefühle nagen an mir. Es vergeht kein Tag, an dem mich nicht Angst und Schuld mit einer solchen Wucht treffen, dass ich das Gefühl habe, die Kontrolle über mich selbst zu verlieren. Ich versuche die damit einhergehende Verzweiflung von mir zu schieben, verharre einen Moment, damit ich nicht in Versuchung gerate, etwas Dummes zutun.

      Dann verstaue ich das Handy in einer der Küchenschubladen und schlendere missmutig über die Wiese, hinüber zur Rezeption.

      Die wenigen Camper, die sich auf der Wiese ausgebreitet haben, sind ausgeflogen, was mir nur entgegenkommt.

      Als ich das Wäldchen durchquere, das Michis Wohnhaus und die Rezeption von der Campingwiese trennt, rieche ich, dass Pascal ein Feuer entfacht hat. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, versuche ich meinen Unwillen zu verbergen und sehe zu, wie er einen Kessel mit heißem Wasser von der Feuerstelle nimmt und mir einen Becher reicht, in dem der Kaffeesatz schwimmt.

      Vorsichtig nehme


Скачать книгу