Tiloumio. Maari Skog

Tiloumio - Maari Skog


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heißt du überhaupt?«, fragt er.

      »Ich heiße A ... Andreas«, antworte ich nach einem Augenblick des Zögerns und schnappe nach Luft.

      »Na schön, Andreas. Du wirst nebenan im Schlafzimmer schlafen und vor allem so lange dort liegenbleiben, bis es dir besser geht.«

      Er hilft mir, aufzustehen und führt mich in einen Raum neben der Wohnküche. Ein kleines, spartanisch eingerichtetes Zimmer. Ich setze mich mit zittrigen Knien auf die Bettkante. Mir wird schwarz vor Augen und ich merke, wie ich in mich zusammensinke.

      »Habe ich ... habe ich mich eigentlich schon bei dir bedankt?«, bringe ich gerade noch so über die Lippen.

      Dabei klingt meine Stimme, als ob ich meine Zunge nicht unter Kontrolle habe.

      »Das brauchst du nicht. Ist doch selbstverständlich. Wie gesagt, schlaf dich aus. Ich habe noch Einiges zu erledigen. Butz kann dir Gesellschaft leisten.« Pascal ruft den Hund zu sich und befiehlt ihm, sich vor das Bett zu legen. »Er ist derjenige, der dir das Leben gerettet hat, nicht ich.«

      Aus den Worten ist ein gewisser Stolz herauszuhören. Ich öffne kurz die Augen und sehe, wie Pascal milde lächelt und dann das Zimmer verlässt.

      Mich weckt Vogelgezwitscher. Ein Geräusch, das mich an Ferien erinnert. An Tage, die ohne Angst und Erniedrigung einhergingen und mein Martyrium in unregelmäßigen Zeitabständen unterbrochen haben.

      Ich habe für ein paar Sekunden keine Ahnung, wo ich bin, doch dann kehrt die Erinnerung schlagartig zurück. Es scheint früher Morgen zu sein, und mein Gedächtnis puzzelt mühselig die vergangenen Tage - oder waren es Wochen? - zusammen. Ich sehe das Blockfeld vor mir, und dass ich vergeblich versucht habe, Turia zu erreichen. Minimalistische Sequenzen fallen mir ein, die dunkel und unwirklich wie ein Albtraum heranschweben, sodass ich nicht sicher bin, ob das, woran ich mich erinnere, Wirklichkeit oder Traum ist. Ich weiß noch, dass ich immer tiefer in den Wald gelaufen bin und der Meinung war, Schritte hinter mir zu hören. Und dann war da der Hund.

      Ich hebe den Kopf und sehe mich um. Die mit Holz vertäfelten Wände sind weiß gestrichen. Ein mit Stuck verzierter Kleiderschrank aus dunklem Holz steht an der rechten Seite meines Bettes. Zu meiner Linken ist ein Fenster, das geöffnet ist. Die Wiese, die ich beim Blick nach draußen sehe, glitzert feucht, und die frische Luft, die hereinkommt, hat etwas Reinigendes. Ich atme tief ein und schließe die Augen. Ein leicht pulsierender Schmerz pocht in meiner Wade. Doch ich bin zu erschöpft, um den Verband abzutasten. Meine Glieder sind noch zu schwer und wollen sich nicht an der Regsamkeit meines Geistes beteiligen.

      Mir kommt in den Sinn, dass ich dem Tode zu nahe gekommen bin, und dass diese Erkenntnis dabei ist, seinen Tribut zu fordern. Den Schlüssel zur Tür in die Klarheit habe ich wahrscheinlich schon irgendwo hinter dem Blockfeld verloren. Noch bevor ich versucht habe, Turia zu erreichen. Ich war gefangen in einem Raum des Wahnsinns, jenseits von Vernunft und Pragmatismus. Das Gefühl, immer noch auf der Schwelle dieser Tür zu stehen, lässt mich nicht los. Ich habe das Gesicht zwar der Freiheit zugewandt, aber etwas hält mich davon ab, hinauszutreten. Es ist die Angst davor, dass meine Tat entdeckt wird. Sie schwebt als dunkler Schatten heran und zwingt mich, darüber nachzudenken, wie ich weiter mit meinem Geheimnis verfahren soll.

      Solange ich keine stichhaltigen Beweise über die Beweggründe meines toten Widersachers habe, kann ich mich nur bedeckt halten. Und diese Beweise bekomme ich nur heraus, wenn ich es irgendwie schaffe, Turia zu kontaktieren. Ich versuche mich damit zu beruhigen, dass meine Schwester clever ist und durch das, was sie schon erlebt hat, mit feinen Antennen ausgestattet ist. Sie ist mit den Jahren eine Meisterin darin geworden, sich nichts anmerken zu lassen. Vorausgesetzt, sie hegt den Verdacht, es mit Leuten zu tun zu haben, die ihre Hände gerne in Schmutz stecken. Wenn also unser Vater mit der Sache zu tun hat, dann ... sie vertraut und liebt ihn bedingungslos, trotz des Verrates, den er an mir begangen hat. Ich kann ihr das nicht verübeln, schließlich ist er auch ihr Vater, und sie hat nichts damit zu tun, dass mir die Wahrheit über meine Identität achtzehn Jahre lang verschwiegen wurde. Abgesehen davon ist es nicht meine Art, meinen Vater zu einem Ringkampf aufzufordern, und das zudem auf dem Rücken meiner Schwester, deren Existenz ein ganzes Universum für mich bedeutet. Hätte ich jemals das Gefühl gehabt, sie in den kaukasischen Kreidekreis zu stellen, wären meine Zuneigung und mein Vertrauen ihr gegenüber nicht echt gewesen. Dann wäre es mir nur um eitlen Stolz und Eigennutz gegangen.

      Hinter der Zimmertür regt sich etwas. Ich lausche den Schritten auf dem knarrenden Holzboden. Kurz danach höre ich das vertraute Geräusch einer Kaffeemaschine. Wie lange ist es her, dass ich so etwas gehört habe? Es muss eine Ewigkeit sein. Der Duft des frisch aufgebrühten Kaffees steigt mir in die Nase. Kaum spürbar, aber doch so intensiv, dass ich eine unbändige Lust darauf bekomme.

      Mühselig schäle ich mich unter der Decke hervor und setze mich auf. Mir wird erneut schwarz vor Augen. Deshalb bleibe ich sitzen und warte, bis mein Kreislauf in Gang kommt und ich wieder klar sehen kann. Als ich aufstehe, merke ich, wie wackelig ich auf den Beinen bin und befürchte, der Anstrengung, die mir die paar Schritte bis zur Tür bereiten werden, nicht standhalten zu können. Doch es funktioniert. Ich öffne die Tür und lehne mich an den Rahmen, da mich eine Welle der Übelkeit zu überrollen droht. Während ich mir die Augen reibe, höre ich die Stimme meines Retters vor mir.

      »Herzlichen Glückwunsch! Du hast genau neunundzwanzig Stunden und einundvierzig Minuten geschlafen.«

      »Wie bitte?«, frage ich verwirrt und blicke Pascal an, der am Küchentisch sitzt und grinsend an einer Tasse nippt.

      Um seine Augen sind Lachfältchen zu erkennen. Sie unterstreichen den Schalk, der mir aus seinem Blick entgegenspringt.

      »Ich habe ab und zu nach dir gesehen, weil ich befürchtete, du schaffst es nicht. Dabei hast du nur geschlafen. Die ganze Zeit. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass jemand so lange schlafen kann«, fuhr er fort, ohne auf meine Verwirrung einzugehen.

      Ich wanke zu dem Tisch hinüber und lasse mich auf einen Stuhl fallen. Den Kopf auf die Hände gestützt beobachte ich, wie mir Pascal eine Tasse Kaffee einschenkt und sie mir vor die Nase stellt. Dankbar greife ich danach und nehme vorsichtig einen Schluck.

      Das bittere Getränk läuft meine Kehle hinab und erweckt meine Lebensgeister. Unglaublich, dass so etwas Alltägliches wie eine Tasse Kaffee mich mit einem derartigen Glücksgefühl überschwemmen kann, wie ich es im Moment empfinde. Ich frage mich, ob es überhaupt jemanden gibt, der einer eigentlichen Selbstverständlichkeit so eine Bedeutung beimessen kann, wie ich es gerade tue.

      »Ich freue mich jeden Tag auf meinen Kaffee. Da bist du nicht der Einzige«, meint Pascal plötzlich mit freundlicher Gelassenheit und zwinkert mir zu.

      Ich sehe ihn finster an.

      »Glaubst du wirklich, dass du das miteinander vergleichen kannst?«, frage ich bitter.

      Pascal neigt den Kopf zur Seite und überlegt kurz.

      »Vielleicht siehst du das Leben aus einem anderen Blickwinkel, nach dem, was dir passiert ist. Und trotzdem ... jonglieren wir nicht ständig mit dem Tod bei dem, was wir tun?«

      »Woher willst du denn wissen, was mir passiert ist?«

      Ich stelle die Tasse ab. Meine Hände zittern. Hat Pascal mittlerweile herausbekommen, was geschehen ist? Panik springt mir in den Nacken. Ich merke, wie sich meine Mimik versteinert, und sehe Pascal scharf an. Bereit dafür, mich verbal verteidigen zu müssen.

      »Ich weiß nicht, was dir passiert ist. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob du es selbst weißt. Du warst schließlich wie von Sinnen, als ich dich gefunden habe und deine Sachen ...«

      »Meine Sachen ... was ist mit meinen Sachen? Hast du etwa geschnüffelt?«

      Pascal schüttelt beschwichtigend den Kopf, ohne mich aus den Augen zu lassen.

      »Nein, das ist nicht mein Stil«, beginnt er ruhig zu erklären. »Du scheinst deine Ausrüstung komplett verbrannt zu haben.


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